heraus; die Fülle der blonden Locken, nicht steif, aber doch wohl geordnet, senkt sich vom Haupt herab, umfließt sanft die Schul- tern und ergießt sich tief den Rücken hinunter. Diese Perrücke war es, von welcher Ludwigs Leibperrüquier Binette absolu- tistischer noch als sein König sagte, "er mache die Köpfe aller Unterthanen kahl, um den Kopf des Monarchen zu bedecken."
In dieser Gestalt und Größe wurde die Perrücke, die Staats- oder Alongeperrücke, der gefeierte Liebling der Zeit, das Schlagwort, der prägnanteste Ausdruck ihres ganzen Wesens. Daß man sie Frankreich verdankte, darin waren alle Stimmen einig, die Verehrer wie die Gegner, so lange es noch solche gab. In unsern Augen, bei unsrer heutigen willkürlichen oder gar nachlässigen Behandlung des Haars, verbindet sich mit so überstattlicher Erscheinung gar leicht der Zug des Grotesk- komischen; ein ironisches Lächeln spielt um unsern Mund, und es ist uns, als ob die geistige Organisation darunter von eigen- thümlicher Beschaffenheit sein müßte. Bei den Zeitgenossen aber war sie der Heiligenschein, der Nimbus der Hoheit, Würde und Majestät; sie war das prächtige Bild der Sonne, die in freund- licher Größe die hellen Morgennebel durchbricht, und indem man des mähnenumlockten Löwen gedachte, des Königs der Thiere, verknüpfte sich mit ihr der Begriff allbezwingender Stärke. Wenn sie ihren Träger zu gemessener Bewegung verurtheilte, so ge- reichte das nicht zu ihrem Nachtheil, denn diese war ohnehin Vor- schrift am Hofe des großen Ludwig und somit ein nothwendiges Erforderniß der feinen Sitte. Von schönem Blond mußte die Perrücke sein: auch darin huldigte sie nur dem Zeitgeist. Denn wie in der wilden Kriegsperiode am Haar das finstre Schwarz, die Farbe des Cholerikers, sich der allgemeinen Vorliebe erfreut hatte, so mußte jetzt, da die Zeit milder und friedlicher, die Le- bensformen gesitteter und höfischer wurden, das sanfte, milde Blond wieder den Vorzug erhalten. Als dann die Negation der Freiheit noch stärker anwuchs und der Horizont des Lebens noch enger wurde, als im achtzehnten Jahrhundert abstarb, was das siebzehnte noch an Kraft und Energie übrig gelassen hatte, und
III. Die Neuzeit.
heraus; die Fülle der blonden Locken, nicht ſteif, aber doch wohl geordnet, ſenkt ſich vom Haupt herab, umfließt ſanft die Schul- tern und ergießt ſich tief den Rücken hinunter. Dieſe Perrücke war es, von welcher Ludwigs Leibperrüquier Binette abſolu- tiſtiſcher noch als ſein König ſagte, „er mache die Köpfe aller Unterthanen kahl, um den Kopf des Monarchen zu bedecken.“
In dieſer Geſtalt und Größe wurde die Perrücke, die Staats- oder Alongeperrücke, der gefeierte Liebling der Zeit, das Schlagwort, der prägnanteſte Ausdruck ihres ganzen Weſens. Daß man ſie Frankreich verdankte, darin waren alle Stimmen einig, die Verehrer wie die Gegner, ſo lange es noch ſolche gab. In unſern Augen, bei unſrer heutigen willkürlichen oder gar nachläſſigen Behandlung des Haars, verbindet ſich mit ſo überſtattlicher Erſcheinung gar leicht der Zug des Grotesk- komiſchen; ein ironiſches Lächeln ſpielt um unſern Mund, und es iſt uns, als ob die geiſtige Organiſation darunter von eigen- thümlicher Beſchaffenheit ſein müßte. Bei den Zeitgenoſſen aber war ſie der Heiligenſchein, der Nimbus der Hoheit, Würde und Majeſtät; ſie war das prächtige Bild der Sonne, die in freund- licher Größe die hellen Morgennebel durchbricht, und indem man des mähnenumlockten Löwen gedachte, des Königs der Thiere, verknüpfte ſich mit ihr der Begriff allbezwingender Stärke. Wenn ſie ihren Träger zu gemeſſener Bewegung verurtheilte, ſo ge- reichte das nicht zu ihrem Nachtheil, denn dieſe war ohnehin Vor- ſchrift am Hofe des großen Ludwig und ſomit ein nothwendiges Erforderniß der feinen Sitte. Von ſchönem Blond mußte die Perrücke ſein: auch darin huldigte ſie nur dem Zeitgeiſt. Denn wie in der wilden Kriegsperiode am Haar das finſtre Schwarz, die Farbe des Cholerikers, ſich der allgemeinen Vorliebe erfreut hatte, ſo mußte jetzt, da die Zeit milder und friedlicher, die Le- bensformen geſitteter und höfiſcher wurden, das ſanfte, milde Blond wieder den Vorzug erhalten. Als dann die Negation der Freiheit noch ſtärker anwuchs und der Horizont des Lebens noch enger wurde, als im achtzehnten Jahrhundert abſtarb, was das ſiebzehnte noch an Kraft und Energie übrig gelaſſen hatte, und
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III. Die Neuzeit.
heraus; die Fülle der blonden Locken, nicht ſteif, aber doch wohl
geordnet, ſenkt ſich vom Haupt herab, umfließt ſanft die Schul-
tern und ergießt ſich tief den Rücken hinunter. Dieſe Perrücke
war es, von welcher Ludwigs Leibperrüquier Binette abſolu-
tiſtiſcher noch als ſein König ſagte, „er mache die Köpfe aller
Unterthanen kahl, um den Kopf des Monarchen zu bedecken.“
In dieſer Geſtalt und Größe wurde die Perrücke, die
Staats- oder Alongeperrücke, der gefeierte Liebling der
Zeit, das Schlagwort, der prägnanteſte Ausdruck ihres ganzen
Weſens. Daß man ſie Frankreich verdankte, darin waren alle
Stimmen einig, die Verehrer wie die Gegner, ſo lange es noch
ſolche gab. In unſern Augen, bei unſrer heutigen willkürlichen
oder gar nachläſſigen Behandlung des Haars, verbindet ſich mit
ſo überſtattlicher Erſcheinung gar leicht der Zug des Grotesk-
komiſchen; ein ironiſches Lächeln ſpielt um unſern Mund, und
es iſt uns, als ob die geiſtige Organiſation darunter von eigen-
thümlicher Beſchaffenheit ſein müßte. Bei den Zeitgenoſſen aber
war ſie der Heiligenſchein, der Nimbus der Hoheit, Würde und
Majeſtät; ſie war das prächtige Bild der Sonne, die in freund-
licher Größe die hellen Morgennebel durchbricht, und indem man
des mähnenumlockten Löwen gedachte, des Königs der Thiere,
verknüpfte ſich mit ihr der Begriff allbezwingender Stärke. Wenn
ſie ihren Träger zu gemeſſener Bewegung verurtheilte, ſo ge-
reichte das nicht zu ihrem Nachtheil, denn dieſe war ohnehin Vor-
ſchrift am Hofe des großen Ludwig und ſomit ein nothwendiges
Erforderniß der feinen Sitte. Von ſchönem Blond mußte die
Perrücke ſein: auch darin huldigte ſie nur dem Zeitgeiſt. Denn
wie in der wilden Kriegsperiode am Haar das finſtre Schwarz,
die Farbe des Cholerikers, ſich der allgemeinen Vorliebe erfreut
hatte, ſo mußte jetzt, da die Zeit milder und friedlicher, die Le-
bensformen geſitteter und höfiſcher wurden, das ſanfte, milde
Blond wieder den Vorzug erhalten. Als dann die Negation der
Freiheit noch ſtärker anwuchs und der Horizont des Lebens noch
enger wurde, als im achtzehnten Jahrhundert abſtarb, was das
ſiebzehnte noch an Kraft und Energie übrig gelaſſen hatte, und
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/244>, abgerufen am 08.07.2024.
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