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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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4. Die Staatsperrücke u. d. absolute Herrschaft d. franz. Mode.
1729 wiederholte Benedict XIII. das allgemeine Verbot, und
der Cardinal Alberoni fiel deßhalb in Ungnade und mußte den
Hof meiden, weil er von der Perrücke nicht lassen wollte. Indeß
kehrte er nach dem Tode dieses Papstes wieder aus der Verban-
nung zurück, und seitdem scheint der Widerstand mehr und mehr
erloschen zu sein. Den Vorschriften des Dienstes wurde dadurch
genügt, daß die Perrücke oben eine Klappe erhielt, welche als
Tonsur zurückgeschlagen wurde. Im Jahr 1781 ist einer Ver-
ordnung zufolge im Bisthum Hildesheim die Perrücke bei der
Messe nicht mehr verboten, wohl aber der Zopf als etwas durch-
aus Unwürdiges.

Im Anfang ihrer Entstehung suchte die Perrücke möglichst
treu ein natürliches gelocktes Haar zu copiren. Da sie aber aus
einem nothwendigen Uebel zur Mode wurde, so mußte und wollte
sie sich auch von der Natur in besonderer, auffallender Weise
unterscheiden. Ihre wachsende Größe trug dazu bei, sowie nicht
weniger die antinaturalistische Zeitrichtung. In der Gestalt, wie
die Perrücke in der Mitte des Jahrhunderts nach Deutschland
kommt, ist sie unschwer vom Eigenhaar zu unterscheiden. Die
ersten Fürstenportraits, welche mit ihr geschmückt sind, zeigen
noch nicht die sanft herabwallende Masse einer geordneten Locken-
fülle, sondern ein rohes, wüstes Haargebäude mit kleinen, krau-
sen, wirren Löckchen oder einem wilden Durcheinander, welches
unfreundlich noch halb den rohen Kriegsgeist athmet und wie
ein unfertiges Machwerk aussieht, das sich erst aus dem Chao-
tischen gestalten will. Aber das galante Frankreich überwindet
bald diesen Ausfluß der schweren Zeit. Noch im Jahr 1663
trägt Ludwig XIV. selbst diese halbwilde Perrücke mit Locken,
die wirr über die Stirn hereinfallen, aber ein anderes Portrait
von 1672 in ganzer Figur und eines des Dauphin von 1675
zeigen, daß damals in Paris die neue Staatstracht, wie sie der
zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts angehört, und mit
ihr auch die Perrücke, die volle Ausbildung und Schönheit er-
reicht hatte. Wie aus einer sonnenlichten Wolke, nicht aus
dunklem Wetter, schaut das bartlose Gesicht aus seiner Umhüllung

4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
1729 wiederholte Benedict XIII. das allgemeine Verbot, und
der Cardinal Alberoni fiel deßhalb in Ungnade und mußte den
Hof meiden, weil er von der Perrücke nicht laſſen wollte. Indeß
kehrte er nach dem Tode dieſes Papſtes wieder aus der Verban-
nung zurück, und ſeitdem ſcheint der Widerſtand mehr und mehr
erloſchen zu ſein. Den Vorſchriften des Dienſtes wurde dadurch
genügt, daß die Perrücke oben eine Klappe erhielt, welche als
Tonſur zurückgeſchlagen wurde. Im Jahr 1781 iſt einer Ver-
ordnung zufolge im Bisthum Hildesheim die Perrücke bei der
Meſſe nicht mehr verboten, wohl aber der Zopf als etwas durch-
aus Unwürdiges.

Im Anfang ihrer Entſtehung ſuchte die Perrücke möglichſt
treu ein natürliches gelocktes Haar zu copiren. Da ſie aber aus
einem nothwendigen Uebel zur Mode wurde, ſo mußte und wollte
ſie ſich auch von der Natur in beſonderer, auffallender Weiſe
unterſcheiden. Ihre wachſende Größe trug dazu bei, ſowie nicht
weniger die antinaturaliſtiſche Zeitrichtung. In der Geſtalt, wie
die Perrücke in der Mitte des Jahrhunderts nach Deutſchland
kommt, iſt ſie unſchwer vom Eigenhaar zu unterſcheiden. Die
erſten Fürſtenportraits, welche mit ihr geſchmückt ſind, zeigen
noch nicht die ſanft herabwallende Maſſe einer geordneten Locken-
fülle, ſondern ein rohes, wüſtes Haargebäude mit kleinen, krau-
ſen, wirren Löckchen oder einem wilden Durcheinander, welches
unfreundlich noch halb den rohen Kriegsgeiſt athmet und wie
ein unfertiges Machwerk ausſieht, das ſich erſt aus dem Chao-
tiſchen geſtalten will. Aber das galante Frankreich überwindet
bald dieſen Ausfluß der ſchweren Zeit. Noch im Jahr 1663
trägt Ludwig XIV. ſelbſt dieſe halbwilde Perrücke mit Locken,
die wirr über die Stirn hereinfallen, aber ein anderes Portrait
von 1672 in ganzer Figur und eines des Dauphin von 1675
zeigen, daß damals in Paris die neue Staatstracht, wie ſie der
zweiten Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts angehört, und mit
ihr auch die Perrücke, die volle Ausbildung und Schönheit er-
reicht hatte. Wie aus einer ſonnenlichten Wolke, nicht aus
dunklem Wetter, ſchaut das bartloſe Geſicht aus ſeiner Umhüllung

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[231/0243] 4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode. 1729 wiederholte Benedict XIII. das allgemeine Verbot, und der Cardinal Alberoni fiel deßhalb in Ungnade und mußte den Hof meiden, weil er von der Perrücke nicht laſſen wollte. Indeß kehrte er nach dem Tode dieſes Papſtes wieder aus der Verban- nung zurück, und ſeitdem ſcheint der Widerſtand mehr und mehr erloſchen zu ſein. Den Vorſchriften des Dienſtes wurde dadurch genügt, daß die Perrücke oben eine Klappe erhielt, welche als Tonſur zurückgeſchlagen wurde. Im Jahr 1781 iſt einer Ver- ordnung zufolge im Bisthum Hildesheim die Perrücke bei der Meſſe nicht mehr verboten, wohl aber der Zopf als etwas durch- aus Unwürdiges. Im Anfang ihrer Entſtehung ſuchte die Perrücke möglichſt treu ein natürliches gelocktes Haar zu copiren. Da ſie aber aus einem nothwendigen Uebel zur Mode wurde, ſo mußte und wollte ſie ſich auch von der Natur in beſonderer, auffallender Weiſe unterſcheiden. Ihre wachſende Größe trug dazu bei, ſowie nicht weniger die antinaturaliſtiſche Zeitrichtung. In der Geſtalt, wie die Perrücke in der Mitte des Jahrhunderts nach Deutſchland kommt, iſt ſie unſchwer vom Eigenhaar zu unterſcheiden. Die erſten Fürſtenportraits, welche mit ihr geſchmückt ſind, zeigen noch nicht die ſanft herabwallende Maſſe einer geordneten Locken- fülle, ſondern ein rohes, wüſtes Haargebäude mit kleinen, krau- ſen, wirren Löckchen oder einem wilden Durcheinander, welches unfreundlich noch halb den rohen Kriegsgeiſt athmet und wie ein unfertiges Machwerk ausſieht, das ſich erſt aus dem Chao- tiſchen geſtalten will. Aber das galante Frankreich überwindet bald dieſen Ausfluß der ſchweren Zeit. Noch im Jahr 1663 trägt Ludwig XIV. ſelbſt dieſe halbwilde Perrücke mit Locken, die wirr über die Stirn hereinfallen, aber ein anderes Portrait von 1672 in ganzer Figur und eines des Dauphin von 1675 zeigen, daß damals in Paris die neue Staatstracht, wie ſie der zweiten Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts angehört, und mit ihr auch die Perrücke, die volle Ausbildung und Schönheit er- reicht hatte. Wie aus einer ſonnenlichten Wolke, nicht aus dunklem Wetter, ſchaut das bartloſe Geſicht aus ſeiner Umhüllung

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/243>, abgerufen am 24.11.2024.