Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Die Neuzeit.
und letzten Eroberung festsetzte. Zwischen 1680 und 1690 don-
nern noch die Predigten gegen sie; 1692 hatte der Dresdner
Landtag nach langer Debatte festgestellt, daß die Geistlichen mit
gutem Gewissen Perrücken tragen durften, jedoch mit weniger
Aufwand und mehr Anstand, und zwei Jahre darauf beantwor-
tete zu Leipzig M. Johann Philipp Gros die Streitfrage dahin,
daß es ebensowenig sündlich sei, sich der Haare der Thiere zur
Bedeckung des Hauptes zu bedienen als der Wolle oder der
Felle. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts aber gilt das
eigene Haar schon für Hoffart. Gegen das Jahr 1720 ereignete
es sich, daß ein junger Candidat seine schönen schwarzen Haare
abschneiden und sich eine Perrücke machen lassen mußte, weil ein
Consistorialrath ihm den Vorwurf machte, er triebe Hoffart da-
mit. Nun konnte die Geistlichkeit von der Perrücke nicht wieder
loskommen. Sie hielt dieselbe das ganze achtzehnte Jahrhundert
fest, unbekümmert um Zopf und gepudertes Eigenhaar, denn
die Perrücke war nun einmal in den Geruch der Altehrwürdigkeit
gekommen, und nicht einmal der Sturm der Revolution schien
sie verwehen zu können.

Mit noch größerem Widerstand hatte die katholische Geist-
lichkeit zu ringen. Daß Pariser Abbes, die bekanntlich damals
zu den Galanten gehörten, schon früh selbst vorangingen, wissen
wir bereits. Die Päpste aber waren lange dagegen. Im Jahr
1688 trat die Perrücke im Bisthum Hildesheim in solcher Be-
deutung auf, daß die Priester darin das Meßopfer darbringen
wollten. Der Bischof wollte die Streitfrage nicht selbst ent-
scheiden und wandte sich deßhalb an die Nuntiatur zu Köln,
welche erwiderte, daß die Erlaubniß für einen Priester in der
Perrücke Messe zu lesen zu den Reservaten des Papstes gehöre.
Der Bischof versprach daher alles zu thun, um diese Sitte in
seiner Diöcese nicht aufkommen zu lassen. Im Jahr 1693 unter-
sagte ein päpstlicher Erlaß den Priestern und Geistlichen das
Tragen der Perrücke gänzlich. Dasselbe that Clemens XI. 1703,
indeß stieß er schon auf solchen Widerstand, daß er sein Verbot
auf die Meßpriester und Ordensgeistlichen beschränkte. Aber

III. Die Neuzeit.
und letzten Eroberung feſtſetzte. Zwiſchen 1680 und 1690 don-
nern noch die Predigten gegen ſie; 1692 hatte der Dresdner
Landtag nach langer Debatte feſtgeſtellt, daß die Geiſtlichen mit
gutem Gewiſſen Perrücken tragen durften, jedoch mit weniger
Aufwand und mehr Anſtand, und zwei Jahre darauf beantwor-
tete zu Leipzig M. Johann Philipp Gros die Streitfrage dahin,
daß es ebenſowenig ſündlich ſei, ſich der Haare der Thiere zur
Bedeckung des Hauptes zu bedienen als der Wolle oder der
Felle. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts aber gilt das
eigene Haar ſchon für Hoffart. Gegen das Jahr 1720 ereignete
es ſich, daß ein junger Candidat ſeine ſchönen ſchwarzen Haare
abſchneiden und ſich eine Perrücke machen laſſen mußte, weil ein
Conſiſtorialrath ihm den Vorwurf machte, er triebe Hoffart da-
mit. Nun konnte die Geiſtlichkeit von der Perrücke nicht wieder
loskommen. Sie hielt dieſelbe das ganze achtzehnte Jahrhundert
feſt, unbekümmert um Zopf und gepudertes Eigenhaar, denn
die Perrücke war nun einmal in den Geruch der Altehrwürdigkeit
gekommen, und nicht einmal der Sturm der Revolution ſchien
ſie verwehen zu können.

Mit noch größerem Widerſtand hatte die katholiſche Geiſt-
lichkeit zu ringen. Daß Pariſer Abbés, die bekanntlich damals
zu den Galanten gehörten, ſchon früh ſelbſt vorangingen, wiſſen
wir bereits. Die Päpſte aber waren lange dagegen. Im Jahr
1688 trat die Perrücke im Bisthum Hildesheim in ſolcher Be-
deutung auf, daß die Prieſter darin das Meßopfer darbringen
wollten. Der Biſchof wollte die Streitfrage nicht ſelbſt ent-
ſcheiden und wandte ſich deßhalb an die Nuntiatur zu Köln,
welche erwiderte, daß die Erlaubniß für einen Prieſter in der
Perrücke Meſſe zu leſen zu den Reſervaten des Papſtes gehöre.
Der Biſchof verſprach daher alles zu thun, um dieſe Sitte in
ſeiner Diöceſe nicht aufkommen zu laſſen. Im Jahr 1693 unter-
ſagte ein päpſtlicher Erlaß den Prieſtern und Geiſtlichen das
Tragen der Perrücke gänzlich. Daſſelbe that Clemens XI. 1703,
indeß ſtieß er ſchon auf ſolchen Widerſtand, daß er ſein Verbot
auf die Meßprieſter und Ordensgeiſtlichen beſchränkte. Aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0242" n="230"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/>
und letzten Eroberung fe&#x017F;t&#x017F;etzte. Zwi&#x017F;chen 1680 und 1690 don-<lb/>
nern noch die Predigten gegen &#x017F;ie; 1692 hatte der Dresdner<lb/>
Landtag nach langer Debatte fe&#x017F;tge&#x017F;tellt, daß die Gei&#x017F;tlichen mit<lb/>
gutem Gewi&#x017F;&#x017F;en Perrücken tragen durften, jedoch mit weniger<lb/>
Aufwand und mehr An&#x017F;tand, und zwei Jahre darauf beantwor-<lb/>
tete zu Leipzig <hi rendition="#aq">M.</hi> Johann Philipp Gros die Streitfrage dahin,<lb/>
daß es eben&#x017F;owenig &#x017F;ündlich &#x017F;ei, &#x017F;ich der Haare der Thiere zur<lb/>
Bedeckung des Hauptes zu bedienen als der Wolle oder der<lb/>
Felle. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts aber gilt das<lb/>
eigene Haar &#x017F;chon für Hoffart. Gegen das Jahr 1720 ereignete<lb/>
es &#x017F;ich, daß ein junger Candidat &#x017F;eine &#x017F;chönen &#x017F;chwarzen Haare<lb/>
ab&#x017F;chneiden und &#x017F;ich eine Perrücke machen la&#x017F;&#x017F;en mußte, weil ein<lb/>
Con&#x017F;i&#x017F;torialrath ihm den Vorwurf machte, er triebe Hoffart da-<lb/>
mit. Nun konnte die Gei&#x017F;tlichkeit von der Perrücke nicht wieder<lb/>
loskommen. Sie hielt die&#x017F;elbe das ganze achtzehnte Jahrhundert<lb/>
fe&#x017F;t, unbekümmert um Zopf und gepudertes Eigenhaar, denn<lb/>
die Perrücke war nun einmal in den Geruch der Altehrwürdigkeit<lb/>
gekommen, und nicht einmal der Sturm der Revolution &#x017F;chien<lb/>
&#x017F;ie verwehen zu können.</p><lb/>
          <p>Mit noch größerem Wider&#x017F;tand hatte die katholi&#x017F;che Gei&#x017F;t-<lb/>
lichkeit zu ringen. Daß Pari&#x017F;er Abb<hi rendition="#aq">é</hi>s, die bekanntlich damals<lb/>
zu den Galanten gehörten, &#x017F;chon früh &#x017F;elb&#x017F;t vorangingen, wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wir bereits. Die Päp&#x017F;te aber waren lange dagegen. Im Jahr<lb/>
1688 trat die Perrücke im Bisthum Hildesheim in &#x017F;olcher Be-<lb/>
deutung auf, daß die Prie&#x017F;ter darin das Meßopfer darbringen<lb/>
wollten. Der Bi&#x017F;chof wollte die Streitfrage nicht &#x017F;elb&#x017F;t ent-<lb/>
&#x017F;cheiden und wandte &#x017F;ich deßhalb an die Nuntiatur zu Köln,<lb/>
welche erwiderte, daß die Erlaubniß für einen Prie&#x017F;ter in der<lb/>
Perrücke Me&#x017F;&#x017F;e zu le&#x017F;en zu den Re&#x017F;ervaten des Pap&#x017F;tes gehöre.<lb/>
Der Bi&#x017F;chof ver&#x017F;prach daher alles zu thun, um die&#x017F;e Sitte in<lb/>
&#x017F;einer Diöce&#x017F;e nicht aufkommen zu la&#x017F;&#x017F;en. Im Jahr 1693 unter-<lb/>
&#x017F;agte ein päp&#x017F;tlicher Erlaß den Prie&#x017F;tern und Gei&#x017F;tlichen das<lb/>
Tragen der Perrücke gänzlich. Da&#x017F;&#x017F;elbe that Clemens <hi rendition="#aq">XI.</hi> 1703,<lb/>
indeß &#x017F;tieß er &#x017F;chon auf &#x017F;olchen Wider&#x017F;tand, daß er &#x017F;ein Verbot<lb/>
auf die Meßprie&#x017F;ter und Ordensgei&#x017F;tlichen be&#x017F;chränkte. Aber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0242] III. Die Neuzeit. und letzten Eroberung feſtſetzte. Zwiſchen 1680 und 1690 don- nern noch die Predigten gegen ſie; 1692 hatte der Dresdner Landtag nach langer Debatte feſtgeſtellt, daß die Geiſtlichen mit gutem Gewiſſen Perrücken tragen durften, jedoch mit weniger Aufwand und mehr Anſtand, und zwei Jahre darauf beantwor- tete zu Leipzig M. Johann Philipp Gros die Streitfrage dahin, daß es ebenſowenig ſündlich ſei, ſich der Haare der Thiere zur Bedeckung des Hauptes zu bedienen als der Wolle oder der Felle. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts aber gilt das eigene Haar ſchon für Hoffart. Gegen das Jahr 1720 ereignete es ſich, daß ein junger Candidat ſeine ſchönen ſchwarzen Haare abſchneiden und ſich eine Perrücke machen laſſen mußte, weil ein Conſiſtorialrath ihm den Vorwurf machte, er triebe Hoffart da- mit. Nun konnte die Geiſtlichkeit von der Perrücke nicht wieder loskommen. Sie hielt dieſelbe das ganze achtzehnte Jahrhundert feſt, unbekümmert um Zopf und gepudertes Eigenhaar, denn die Perrücke war nun einmal in den Geruch der Altehrwürdigkeit gekommen, und nicht einmal der Sturm der Revolution ſchien ſie verwehen zu können. Mit noch größerem Widerſtand hatte die katholiſche Geiſt- lichkeit zu ringen. Daß Pariſer Abbés, die bekanntlich damals zu den Galanten gehörten, ſchon früh ſelbſt vorangingen, wiſſen wir bereits. Die Päpſte aber waren lange dagegen. Im Jahr 1688 trat die Perrücke im Bisthum Hildesheim in ſolcher Be- deutung auf, daß die Prieſter darin das Meßopfer darbringen wollten. Der Biſchof wollte die Streitfrage nicht ſelbſt ent- ſcheiden und wandte ſich deßhalb an die Nuntiatur zu Köln, welche erwiderte, daß die Erlaubniß für einen Prieſter in der Perrücke Meſſe zu leſen zu den Reſervaten des Papſtes gehöre. Der Biſchof verſprach daher alles zu thun, um dieſe Sitte in ſeiner Diöceſe nicht aufkommen zu laſſen. Im Jahr 1693 unter- ſagte ein päpſtlicher Erlaß den Prieſtern und Geiſtlichen das Tragen der Perrücke gänzlich. Daſſelbe that Clemens XI. 1703, indeß ſtieß er ſchon auf ſolchen Widerſtand, daß er ſein Verbot auf die Meßprieſter und Ordensgeiſtlichen beſchränkte. Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/242
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/242>, abgerufen am 09.05.2024.