Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Hiermit aber stehen sie schon auf der Grenzscheide der nächstenPeriode, welche als die unbedingte Herrschaft des französischen Wesens zu betrachten ist. Der Krieg hatte nun bereits einige Jahrzehnte gedauert und Deutschland in allen Dingen den natio- nalen Halt verloren: es gab weder eine deutsche Politik noch eine deutsche Sitte; die vornehme Welt folgte der Fremde; kaum vermochte man noch die deutsche Sprache zu erkennen unter dem Ballast der Fremdwörter, für die sie nur das Gefäß zu sein schien. Der Bürgerstand folgte den höheren Ständen oder zog sich scheu und theilnahmlos in sich zusammen. Die Partei der Altfränkischen, der eigentlichen Patrioten, griff natürlich dieses Wesen in seiner Gesammtheit an, berücksichtigte aber dabei ganz insbesondere die Kleidung, weil sie dem inneren Scheinwesen den sichtbaren Ausdruck verlieh. Wenn sie jedoch den fremden Mo- den in der alten Tracht eine nationale Form entgegenzustellen glaubte, so beruhte das allerdings auf einer Täuschung, denn die alten Formen, die hier und da zur Amtstracht, zur Bürger- oder Volkstracht erstarrten, waren ja, wie wir sahen, ihrerseits Nach- ahmungen des spanischen Costüms gewesen. Von der eigentlich deutschen Tracht der Reformationsperiode war so gut wie nichts übrig geblieben. Drei Männer sind es vorzugsweise, welche wir in dieser Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 14
3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs. Hiermit aber ſtehen ſie ſchon auf der Grenzſcheide der nächſtenPeriode, welche als die unbedingte Herrſchaft des franzöſiſchen Weſens zu betrachten iſt. Der Krieg hatte nun bereits einige Jahrzehnte gedauert und Deutſchland in allen Dingen den natio- nalen Halt verloren: es gab weder eine deutſche Politik noch eine deutſche Sitte; die vornehme Welt folgte der Fremde; kaum vermochte man noch die deutſche Sprache zu erkennen unter dem Ballaſt der Fremdwörter, für die ſie nur das Gefäß zu ſein ſchien. Der Bürgerſtand folgte den höheren Ständen oder zog ſich ſcheu und theilnahmlos in ſich zuſammen. Die Partei der Altfränkiſchen, der eigentlichen Patrioten, griff natürlich dieſes Weſen in ſeiner Geſammtheit an, berückſichtigte aber dabei ganz insbeſondere die Kleidung, weil ſie dem inneren Scheinweſen den ſichtbaren Ausdruck verlieh. Wenn ſie jedoch den fremden Mo- den in der alten Tracht eine nationale Form entgegenzuſtellen glaubte, ſo beruhte das allerdings auf einer Täuſchung, denn die alten Formen, die hier und da zur Amtstracht, zur Bürger- oder Volkstracht erſtarrten, waren ja, wie wir ſahen, ihrerſeits Nach- ahmungen des ſpaniſchen Coſtüms geweſen. Von der eigentlich deutſchen Tracht der Reformationsperiode war ſo gut wie nichts übrig geblieben. Drei Männer ſind es vorzugsweiſe, welche wir in dieſer Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 14
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0221" n="209"/><fw place="top" type="header">3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.</fw><lb/> Hiermit aber ſtehen ſie ſchon auf der Grenzſcheide der nächſten<lb/> Periode, welche als die unbedingte Herrſchaft des franzöſiſchen<lb/> Weſens zu betrachten iſt. Der Krieg hatte nun bereits einige<lb/> Jahrzehnte gedauert und Deutſchland in allen Dingen den natio-<lb/> nalen Halt verloren: es gab weder eine deutſche Politik noch<lb/> eine deutſche Sitte; die vornehme Welt folgte der Fremde; kaum<lb/> vermochte man noch die deutſche Sprache zu erkennen unter dem<lb/> Ballaſt der Fremdwörter, für die ſie nur das Gefäß zu ſein<lb/> ſchien. Der Bürgerſtand folgte den höheren Ständen oder zog<lb/> ſich ſcheu und theilnahmlos in ſich zuſammen. Die Partei der<lb/> Altfränkiſchen, der eigentlichen Patrioten, griff natürlich dieſes<lb/> Weſen in ſeiner Geſammtheit an, berückſichtigte aber dabei ganz<lb/> insbeſondere die Kleidung, weil ſie dem inneren Scheinweſen den<lb/> ſichtbaren Ausdruck verlieh. Wenn ſie jedoch den fremden Mo-<lb/> den in der alten Tracht eine nationale Form entgegenzuſtellen<lb/> glaubte, ſo beruhte das allerdings auf einer Täuſchung, denn die<lb/> alten Formen, die hier und da zur Amtstracht, zur Bürger- oder<lb/> Volkstracht erſtarrten, waren ja, wie wir ſahen, ihrerſeits Nach-<lb/> ahmungen des ſpaniſchen Coſtüms geweſen. Von der eigentlich<lb/> deutſchen Tracht der Reformationsperiode war ſo gut wie nichts<lb/> übrig geblieben.</p><lb/> <p>Drei Männer ſind es vorzugsweiſe, welche wir in dieſer<lb/> Beziehung hier in Kürze zu berückſichtigen haben. Der erſte iſt<lb/><hi rendition="#g">Joh. Mich. Moſcheroſch</hi>, welcher (geb. 1601, geſt. 1669)<lb/> nach Geburt und Leben dem deutſchen Südweſten angehört. Er<lb/> iſt Proſaiker und ernſter, ſtrafender Moraliſt; der Grundzug ſei-<lb/> ner Satire iſt die Indignation, die ſittlich-patriotiſche Entrüſtung<lb/> über das alamodiſche Schein- und Unweſen ſeiner Zeit. Von<lb/> dieſem Standpunkt des wahrhaft deutſchen Mannes ſchildert er<lb/> es nach allen Seiten auf das rückſichtsloſeſte bis zur vollen Ver-<lb/> nichtung in ſeinem Hauptwerk: „Wunderliche und warhafftige<lb/> Geſichte Philanders von Sittewald d. i. Straff-Schrifften.“<lb/> Es ſind Viſionen, in denen er die Zeit in den Dingen und Men-<lb/> ſchen an ſich vorübergehen läßt oder unter der Figur Philanders<lb/> ſelbſt miterlebt. Eines dieſer Geſichte — es ſind im Ganzen<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Falke</hi>, Trachten- und Modenwelt. <hi rendition="#aq">II.</hi> 14</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [209/0221]
3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Hiermit aber ſtehen ſie ſchon auf der Grenzſcheide der nächſten
Periode, welche als die unbedingte Herrſchaft des franzöſiſchen
Weſens zu betrachten iſt. Der Krieg hatte nun bereits einige
Jahrzehnte gedauert und Deutſchland in allen Dingen den natio-
nalen Halt verloren: es gab weder eine deutſche Politik noch
eine deutſche Sitte; die vornehme Welt folgte der Fremde; kaum
vermochte man noch die deutſche Sprache zu erkennen unter dem
Ballaſt der Fremdwörter, für die ſie nur das Gefäß zu ſein
ſchien. Der Bürgerſtand folgte den höheren Ständen oder zog
ſich ſcheu und theilnahmlos in ſich zuſammen. Die Partei der
Altfränkiſchen, der eigentlichen Patrioten, griff natürlich dieſes
Weſen in ſeiner Geſammtheit an, berückſichtigte aber dabei ganz
insbeſondere die Kleidung, weil ſie dem inneren Scheinweſen den
ſichtbaren Ausdruck verlieh. Wenn ſie jedoch den fremden Mo-
den in der alten Tracht eine nationale Form entgegenzuſtellen
glaubte, ſo beruhte das allerdings auf einer Täuſchung, denn die
alten Formen, die hier und da zur Amtstracht, zur Bürger- oder
Volkstracht erſtarrten, waren ja, wie wir ſahen, ihrerſeits Nach-
ahmungen des ſpaniſchen Coſtüms geweſen. Von der eigentlich
deutſchen Tracht der Reformationsperiode war ſo gut wie nichts
übrig geblieben.
Drei Männer ſind es vorzugsweiſe, welche wir in dieſer
Beziehung hier in Kürze zu berückſichtigen haben. Der erſte iſt
Joh. Mich. Moſcheroſch, welcher (geb. 1601, geſt. 1669)
nach Geburt und Leben dem deutſchen Südweſten angehört. Er
iſt Proſaiker und ernſter, ſtrafender Moraliſt; der Grundzug ſei-
ner Satire iſt die Indignation, die ſittlich-patriotiſche Entrüſtung
über das alamodiſche Schein- und Unweſen ſeiner Zeit. Von
dieſem Standpunkt des wahrhaft deutſchen Mannes ſchildert er
es nach allen Seiten auf das rückſichtsloſeſte bis zur vollen Ver-
nichtung in ſeinem Hauptwerk: „Wunderliche und warhafftige
Geſichte Philanders von Sittewald d. i. Straff-Schrifften.“
Es ſind Viſionen, in denen er die Zeit in den Dingen und Men-
ſchen an ſich vorübergehen läßt oder unter der Figur Philanders
ſelbſt miterlebt. Eines dieſer Geſichte — es ſind im Ganzen
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 14
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |