Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.1. Urzeit und Urzustände. Chronik von Novalese, den Desiderius bezwungen und unschäd-lich gemacht, hatte er noch lange an dessen Sohn, dem starken Algis, einen gefährlichen Feind. Einstmals saß König Karl in Pavia zu Tisch, da hatte sich an das untere Ende der Tafel ein Fremder gesetzt, der ließ sich alle Knochen geben, zerbrach sie, sog wie ein hungriger Löwe das Mark aus und warf sie dann unter den Tisch. Das machte einen tüchtigen Haufen aus, und als nach Aufhebung der Tafel der König denselben erblickte, fragte er staunend nach dem Urheber[.] Es saß hier ein starker Degen, hieß es, der zerbrach alle Hirsch-, Bären- und Ochsenknochen, als wä- ren es Hanfstengel. Der König erkannte bald, daß es der starke Algis gewesen, und es war ihm höchst ärgerlich, daß er ihn so ungestraft davon gelassen hatte. Da machte einer den Vorschlag, dem Algis, der zu Schiff entkommen, nachzusetzen und zu tödten. ""Gieb mir deine goldenen Armspangen, und ich will ihn damit berücken."" Der König gab sie ihm alsbald und jener eilte schnell dem Algis zu Lande nach, bis er ihn einholte. Als er ihn von ferne sah, rief er ihn bei seinem Namen, und meldete ihm dann, daß Karl ihm seine goldenen Armspangen zum Geschenk sende, er solle nur mit seinem Schiff ans Land fahren. Algis that so: wie er aber näher kam und die Gabe auf der Spitze des Speers sich darreichen sah, ahnete er Verrath, warf seinen Panzer über die Schulter, nahm seinen Speer zur Hand und rief: ""Was du mir mit dem Speer reichst, will ich auch mit dem Speer empfangen. Sendet mir übrigens dein Herr betrüglich diese Gabe, damit du mich tödten mögest, so will ich ihm doch nicht nachstehen und schicke ihm dafür meine Armspangen."" Er reichte sie jenem hin- über, der, in seiner Erwartung getäuscht, heimkehrte und dem Kö- nig Karl des Algis Armspangen brachte. Wie aber Karl sie an- legte, so fielen sie ihm bis auf die Schultern. Da rief Karl aus: ""Es ist kein Wunder, daß dieser Mann Riesenstärke hat."" -- Geschichtlich begegnen uns noch die Armspangen am Ende des 9. Jahrhunderts. Liutprand nämlich erzählt in seinem Buche der Vergeltung, daß Arnulf den Grafen von Bergamo, mit Schwert, Wehrgehenk, Armspangen und seinen kostbarsten Kleidern ange- Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 2
1. Urzeit und Urzuſtände. Chronik von Novaleſe, den Deſiderius bezwungen und unſchäd-lich gemacht, hatte er noch lange an deſſen Sohn, dem ſtarken Algis, einen gefährlichen Feind. Einſtmals ſaß König Karl in Pavia zu Tiſch, da hatte ſich an das untere Ende der Tafel ein Fremder geſetzt, der ließ ſich alle Knochen geben, zerbrach ſie, ſog wie ein hungriger Löwe das Mark aus und warf ſie dann unter den Tiſch. Das machte einen tüchtigen Haufen aus, und als nach Aufhebung der Tafel der König denſelben erblickte, fragte er ſtaunend nach dem Urheber[.] Es ſaß hier ein ſtarker Degen, hieß es, der zerbrach alle Hirſch-, Bären- und Ochſenknochen, als wä- ren es Hanfſtengel. Der König erkannte bald, daß es der ſtarke Algis geweſen, und es war ihm höchſt ärgerlich, daß er ihn ſo ungeſtraft davon gelaſſen hatte. Da machte einer den Vorſchlag, dem Algis, der zu Schiff entkommen, nachzuſetzen und zu tödten. „„Gieb mir deine goldenen Armſpangen, und ich will ihn damit berücken.““ Der König gab ſie ihm alsbald und jener eilte ſchnell dem Algis zu Lande nach, bis er ihn einholte. Als er ihn von ferne ſah, rief er ihn bei ſeinem Namen, und meldete ihm dann, daß Karl ihm ſeine goldenen Armſpangen zum Geſchenk ſende, er ſolle nur mit ſeinem Schiff ans Land fahren. Algis that ſo: wie er aber näher kam und die Gabe auf der Spitze des Speers ſich darreichen ſah, ahnete er Verrath, warf ſeinen Panzer über die Schulter, nahm ſeinen Speer zur Hand und rief: „„Was du mir mit dem Speer reichſt, will ich auch mit dem Speer empfangen. Sendet mir übrigens dein Herr betrüglich dieſe Gabe, damit du mich tödten mögeſt, ſo will ich ihm doch nicht nachſtehen und ſchicke ihm dafür meine Armſpangen.““ Er reichte ſie jenem hin- über, der, in ſeiner Erwartung getäuſcht, heimkehrte und dem Kö- nig Karl des Algis Armſpangen brachte. Wie aber Karl ſie an- legte, ſo fielen ſie ihm bis auf die Schultern. Da rief Karl aus: „„Es iſt kein Wunder, daß dieſer Mann Rieſenſtärke hat.““ — Geſchichtlich begegnen uns noch die Armſpangen am Ende des 9. Jahrhunderts. Liutprand nämlich erzählt in ſeinem Buche der Vergeltung, daß Arnulf den Grafen von Bergamo, mit Schwert, Wehrgehenk, Armſpangen und ſeinen koſtbarſten Kleidern ange- Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 2
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1. Urzeit und Urzuſtände.
Chronik von Novaleſe, den Deſiderius bezwungen und unſchäd-
lich gemacht, hatte er noch lange an deſſen Sohn, dem ſtarken
Algis, einen gefährlichen Feind. Einſtmals ſaß König Karl in
Pavia zu Tiſch, da hatte ſich an das untere Ende der Tafel ein
Fremder geſetzt, der ließ ſich alle Knochen geben, zerbrach ſie, ſog
wie ein hungriger Löwe das Mark aus und warf ſie dann unter
den Tiſch. Das machte einen tüchtigen Haufen aus, und als
nach Aufhebung der Tafel der König denſelben erblickte, fragte er
ſtaunend nach dem Urheber. Es ſaß hier ein ſtarker Degen, hieß
es, der zerbrach alle Hirſch-, Bären- und Ochſenknochen, als wä-
ren es Hanfſtengel. Der König erkannte bald, daß es der ſtarke
Algis geweſen, und es war ihm höchſt ärgerlich, daß er ihn ſo
ungeſtraft davon gelaſſen hatte. Da machte einer den Vorſchlag,
dem Algis, der zu Schiff entkommen, nachzuſetzen und zu tödten.
„„Gieb mir deine goldenen Armſpangen, und ich will ihn damit
berücken.““ Der König gab ſie ihm alsbald und jener eilte ſchnell
dem Algis zu Lande nach, bis er ihn einholte. Als er ihn von
ferne ſah, rief er ihn bei ſeinem Namen, und meldete ihm dann,
daß Karl ihm ſeine goldenen Armſpangen zum Geſchenk ſende, er
ſolle nur mit ſeinem Schiff ans Land fahren. Algis that ſo: wie
er aber näher kam und die Gabe auf der Spitze des Speers ſich
darreichen ſah, ahnete er Verrath, warf ſeinen Panzer über die
Schulter, nahm ſeinen Speer zur Hand und rief: „„Was du mir
mit dem Speer reichſt, will ich auch mit dem Speer empfangen.
Sendet mir übrigens dein Herr betrüglich dieſe Gabe, damit du
mich tödten mögeſt, ſo will ich ihm doch nicht nachſtehen und
ſchicke ihm dafür meine Armſpangen.““ Er reichte ſie jenem hin-
über, der, in ſeiner Erwartung getäuſcht, heimkehrte und dem Kö-
nig Karl des Algis Armſpangen brachte. Wie aber Karl ſie an-
legte, ſo fielen ſie ihm bis auf die Schultern. Da rief Karl aus:
„„Es iſt kein Wunder, daß dieſer Mann Rieſenſtärke hat.““ —
Geſchichtlich begegnen uns noch die Armſpangen am Ende des
9. Jahrhunderts. Liutprand nämlich erzählt in ſeinem Buche der
Vergeltung, daß Arnulf den Grafen von Bergamo, mit Schwert,
Wehrgehenk, Armſpangen und ſeinen koſtbarſten Kleidern ange-
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