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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
thun, wandte er sich an seine Collegen in der großen Stadt
Frankfurt, um zu erfahren, was bei ihnen Rechtens sei in diesem
Falle. Der Rath zu Frankfurt antwortete mit großer Würde:
"man wisse bei ihnen nichts von einem Recht, das die Schneider-
knechte hätten, getheilte Schuhe zu tragen; wenn sie es züchtig
und friedlich thäten, hätten sie nichts dagegen; nähmen sie es
aber widerwärtig und unfriedlich gegen einander vor, so wüßte
man es zu verbieten und zu bestrafen." --

Den bunten Trachten gegenüber capricirten sich zuweilen die
jungen Stutzer auf nicht weniger raffinirte Einfachheit. So er-
zählt Bernhard Rhorbach, daß er sich einmal mit drei andern
ganz in Weiß gekleidet habe, Hut, Schuh, Hosen, Wamms,
Mantel und Kragen. Ein anderes Mal hatten sie sich fast ganz
in eine changirende Farbe gekleidet, "die sah aus als ob sie grau,
grün, roth und gelb wäre." Es ist auch nicht selten, daß wir auf
Bildern dieser Zeit jungen Leuten begegnen, die von Kopf zu
Fuß sich in Roth tragen. --

Wie die Farben, so die Formen. Noch nie war der eigen-
willigen Laune eine solche Willkür der Erfindung gestattet wor-
den wie damals, nie die Mode so mannigfach gewesen, obwohl
sie dennoch gewisse Gränzen noch nicht überschreiten konnte. Es
war die letzte Zeit vor dem siegreichen Auftreten der Ideen, welche
die Neuzeit schufen; noch lag der Geist in Fesseln, gebannt in die
erstarrten Formen des Mittelalters; Sinnenlust, der leichtfertige
Lebensgenuß verdeckten den Ernst und den Drang nach Freiheit,
der unter dieser Hülle zu gähren begann. Noch konnte sich die
Kleidung von der unbequemen Enge nicht los machen; die Be-
wegungen der Beine und Arme waren gehemmt, der Schritt ge-
spannt: die ganze Erscheinung des modischen Mannes mehr oder
weniger Carricatur. Jacke und Beinkleid umschlossen zuweilen
den ganzen Körper tricotmäßig gleich einer oberen Haut, aber
ohne die Elasticität derselben; darüber deckte dann ein kurzes
Mäntelchen sehr ungenügend die nackten Schultern und den
Rücken. Es war ein Gräuel allen ehrbaren Leuten, und eine
Menge Verordnungen waren dagegen gerichtet. Die Straßburger

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
thun, wandte er ſich an ſeine Collegen in der großen Stadt
Frankfurt, um zu erfahren, was bei ihnen Rechtens ſei in dieſem
Falle. Der Rath zu Frankfurt antwortete mit großer Würde:
„man wiſſe bei ihnen nichts von einem Recht, das die Schneider-
knechte hätten, getheilte Schuhe zu tragen; wenn ſie es züchtig
und friedlich thäten, hätten ſie nichts dagegen; nähmen ſie es
aber widerwärtig und unfriedlich gegen einander vor, ſo wüßte
man es zu verbieten und zu beſtrafen.“ —

Den bunten Trachten gegenüber capricirten ſich zuweilen die
jungen Stutzer auf nicht weniger raffinirte Einfachheit. So er-
zählt Bernhard Rhorbach, daß er ſich einmal mit drei andern
ganz in Weiß gekleidet habe, Hut, Schuh, Hoſen, Wamms,
Mantel und Kragen. Ein anderes Mal hatten ſie ſich faſt ganz
in eine changirende Farbe gekleidet, „die ſah aus als ob ſie grau,
grün, roth und gelb wäre.“ Es iſt auch nicht ſelten, daß wir auf
Bildern dieſer Zeit jungen Leuten begegnen, die von Kopf zu
Fuß ſich in Roth tragen. —

Wie die Farben, ſo die Formen. Noch nie war der eigen-
willigen Laune eine ſolche Willkür der Erfindung geſtattet wor-
den wie damals, nie die Mode ſo mannigfach geweſen, obwohl
ſie dennoch gewiſſe Gränzen noch nicht überſchreiten konnte. Es
war die letzte Zeit vor dem ſiegreichen Auftreten der Ideen, welche
die Neuzeit ſchufen; noch lag der Geiſt in Feſſeln, gebannt in die
erſtarrten Formen des Mittelalters; Sinnenluſt, der leichtfertige
Lebensgenuß verdeckten den Ernſt und den Drang nach Freiheit,
der unter dieſer Hülle zu gähren begann. Noch konnte ſich die
Kleidung von der unbequemen Enge nicht los machen; die Be-
wegungen der Beine und Arme waren gehemmt, der Schritt ge-
ſpannt: die ganze Erſcheinung des modiſchen Mannes mehr oder
weniger Carricatur. Jacke und Beinkleid umſchloſſen zuweilen
den ganzen Körper tricotmäßig gleich einer oberen Haut, aber
ohne die Elaſticität derſelben; darüber deckte dann ein kurzes
Mäntelchen ſehr ungenügend die nackten Schultern und den
Rücken. Es war ein Gräuel allen ehrbaren Leuten, und eine
Menge Verordnungen waren dagegen gerichtet. Die Straßburger

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[297/0315] 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. thun, wandte er ſich an ſeine Collegen in der großen Stadt Frankfurt, um zu erfahren, was bei ihnen Rechtens ſei in dieſem Falle. Der Rath zu Frankfurt antwortete mit großer Würde: „man wiſſe bei ihnen nichts von einem Recht, das die Schneider- knechte hätten, getheilte Schuhe zu tragen; wenn ſie es züchtig und friedlich thäten, hätten ſie nichts dagegen; nähmen ſie es aber widerwärtig und unfriedlich gegen einander vor, ſo wüßte man es zu verbieten und zu beſtrafen.“ — Den bunten Trachten gegenüber capricirten ſich zuweilen die jungen Stutzer auf nicht weniger raffinirte Einfachheit. So er- zählt Bernhard Rhorbach, daß er ſich einmal mit drei andern ganz in Weiß gekleidet habe, Hut, Schuh, Hoſen, Wamms, Mantel und Kragen. Ein anderes Mal hatten ſie ſich faſt ganz in eine changirende Farbe gekleidet, „die ſah aus als ob ſie grau, grün, roth und gelb wäre.“ Es iſt auch nicht ſelten, daß wir auf Bildern dieſer Zeit jungen Leuten begegnen, die von Kopf zu Fuß ſich in Roth tragen. — Wie die Farben, ſo die Formen. Noch nie war der eigen- willigen Laune eine ſolche Willkür der Erfindung geſtattet wor- den wie damals, nie die Mode ſo mannigfach geweſen, obwohl ſie dennoch gewiſſe Gränzen noch nicht überſchreiten konnte. Es war die letzte Zeit vor dem ſiegreichen Auftreten der Ideen, welche die Neuzeit ſchufen; noch lag der Geiſt in Feſſeln, gebannt in die erſtarrten Formen des Mittelalters; Sinnenluſt, der leichtfertige Lebensgenuß verdeckten den Ernſt und den Drang nach Freiheit, der unter dieſer Hülle zu gähren begann. Noch konnte ſich die Kleidung von der unbequemen Enge nicht los machen; die Be- wegungen der Beine und Arme waren gehemmt, der Schritt ge- ſpannt: die ganze Erſcheinung des modiſchen Mannes mehr oder weniger Carricatur. Jacke und Beinkleid umſchloſſen zuweilen den ganzen Körper tricotmäßig gleich einer oberen Haut, aber ohne die Elaſticität derſelben; darüber deckte dann ein kurzes Mäntelchen ſehr ungenügend die nackten Schultern und den Rücken. Es war ein Gräuel allen ehrbaren Leuten, und eine Menge Verordnungen waren dagegen gerichtet. Die Straßburger

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/315>, abgerufen am 19.04.2024.