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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
zu durchbrechen. Aber die Tournüre, wie wir sie jetzt kennen ler-
nen werden, steht völlig damit in Harmonie. Uebrigens entfernt
sie sich durchaus nicht von dem allgemeinen Charakter des funf-
zehnten Jahrhunderts, denn wie gewöhnlich die engsten gesell-
schaftlichen Schranken, die steifsten Umgangsformen mit größter
und unverhülltester Sittenlosigkeit gepaart sind, so finden sich
auch in der Kleidung die schon oben angedeuteten Gegensätze. --

Die Tracht der Männer oder vielmehr der Herren --
denn unsre Beschreibung bezieht sich zunächst auf die höchsten
Stände -- ist eine doppelte, eine gewöhnliche und eine ceremo-
nielle. Das Unterscheidende der letzteren besteht vornämlich in
dem langen und weiten Oberrock von verschiedener Form. Es
war das schon französische Mode gewesen, und so hatten z. B.
bei der Vermählung der Isabella von Bayern mit Karl VI. die
Herren sämmtlich über ihrer kurzen und knappen Kleidung den
langen Rock als Hofkleid getragen. In Bezug auf Burgund er-
litt das eine Einschränkung, denn wir finden bei Hofscenen im-
mer manche der Hofleute in kürzerer Kleidung. Die Herzoge selbst
aber, Philipp wie Karl, tragen bei Audienzen und anderen fest-
lichen Gelegenheiten den langen Rock. Es ist eine sehr weite,
vorn offene, aber zugeknöpfte Schaube, einfach, wie z. B. blau,
oder von Goldbrokat, mit Zobel oder Hermelin verbrämt und ge-
füttert, und herabreichend bis auf die Füße, daß nur die langen
Spitzen hervorragen. Die Aermel sind weit und pelzverbrämt,
und häufig doppelt in der Art, daß das eine Paar angezogen ist,
das andere aber von der Schulter herabfällt. Dieses Ceremonie-
oder Galakleid findet sich bei allen christlichen Fürsten jener Zeit.
Tragen es aber andere vornehme Personen von minder hohem
Range, so muß freilich der Hermelin fortgelassen und durch ein
weniger kostbares Rauchwerk oder durch Sammet ersetzt werden.
Bei diesen sehen wir ihn dann auch zuweilen auf den Hüften fal-
tig eingeschnürt. -- Andere Hofleute, jüngere wie ältere, na-
mentlich die ersteren, tragen am Hofe einen Oberrock, der sich von
dem eben beschriebenen nur durch eine auffallende Kürze und Ein-
schnüren der Taille unterscheidet. Im Uebrigen ist er eben so

II. Das Mittelalter.
zu durchbrechen. Aber die Tournüre, wie wir ſie jetzt kennen ler-
nen werden, ſteht völlig damit in Harmonie. Uebrigens entfernt
ſie ſich durchaus nicht von dem allgemeinen Charakter des funf-
zehnten Jahrhunderts, denn wie gewöhnlich die engſten geſell-
ſchaftlichen Schranken, die ſteifſten Umgangsformen mit größter
und unverhüllteſter Sittenloſigkeit gepaart ſind, ſo finden ſich
auch in der Kleidung die ſchon oben angedeuteten Gegenſätze. —

Die Tracht der Männer oder vielmehr der Herren
denn unſre Beſchreibung bezieht ſich zunächſt auf die höchſten
Stände — iſt eine doppelte, eine gewöhnliche und eine ceremo-
nielle. Das Unterſcheidende der letzteren beſteht vornämlich in
dem langen und weiten Oberrock von verſchiedener Form. Es
war das ſchon franzöſiſche Mode geweſen, und ſo hatten z. B.
bei der Vermählung der Iſabella von Bayern mit Karl VI. die
Herren ſämmtlich über ihrer kurzen und knappen Kleidung den
langen Rock als Hofkleid getragen. In Bezug auf Burgund er-
litt das eine Einſchränkung, denn wir finden bei Hofſcenen im-
mer manche der Hofleute in kürzerer Kleidung. Die Herzoge ſelbſt
aber, Philipp wie Karl, tragen bei Audienzen und anderen feſt-
lichen Gelegenheiten den langen Rock. Es iſt eine ſehr weite,
vorn offene, aber zugeknöpfte Schaube, einfach, wie z. B. blau,
oder von Goldbrokat, mit Zobel oder Hermelin verbrämt und ge-
füttert, und herabreichend bis auf die Füße, daß nur die langen
Spitzen hervorragen. Die Aermel ſind weit und pelzverbrämt,
und häufig doppelt in der Art, daß das eine Paar angezogen iſt,
das andere aber von der Schulter herabfällt. Dieſes Ceremonie-
oder Galakleid findet ſich bei allen chriſtlichen Fürſten jener Zeit.
Tragen es aber andere vornehme Perſonen von minder hohem
Range, ſo muß freilich der Hermelin fortgelaſſen und durch ein
weniger koſtbares Rauchwerk oder durch Sammet erſetzt werden.
Bei dieſen ſehen wir ihn dann auch zuweilen auf den Hüften fal-
tig eingeſchnürt. — Andere Hofleute, jüngere wie ältere, na-
mentlich die erſteren, tragen am Hofe einen Oberrock, der ſich von
dem eben beſchriebenen nur durch eine auffallende Kürze und Ein-
ſchnüren der Taille unterſcheidet. Im Uebrigen iſt er eben ſo

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[266/0284] II. Das Mittelalter. zu durchbrechen. Aber die Tournüre, wie wir ſie jetzt kennen ler- nen werden, ſteht völlig damit in Harmonie. Uebrigens entfernt ſie ſich durchaus nicht von dem allgemeinen Charakter des funf- zehnten Jahrhunderts, denn wie gewöhnlich die engſten geſell- ſchaftlichen Schranken, die ſteifſten Umgangsformen mit größter und unverhüllteſter Sittenloſigkeit gepaart ſind, ſo finden ſich auch in der Kleidung die ſchon oben angedeuteten Gegenſätze. — Die Tracht der Männer oder vielmehr der Herren — denn unſre Beſchreibung bezieht ſich zunächſt auf die höchſten Stände — iſt eine doppelte, eine gewöhnliche und eine ceremo- nielle. Das Unterſcheidende der letzteren beſteht vornämlich in dem langen und weiten Oberrock von verſchiedener Form. Es war das ſchon franzöſiſche Mode geweſen, und ſo hatten z. B. bei der Vermählung der Iſabella von Bayern mit Karl VI. die Herren ſämmtlich über ihrer kurzen und knappen Kleidung den langen Rock als Hofkleid getragen. In Bezug auf Burgund er- litt das eine Einſchränkung, denn wir finden bei Hofſcenen im- mer manche der Hofleute in kürzerer Kleidung. Die Herzoge ſelbſt aber, Philipp wie Karl, tragen bei Audienzen und anderen feſt- lichen Gelegenheiten den langen Rock. Es iſt eine ſehr weite, vorn offene, aber zugeknöpfte Schaube, einfach, wie z. B. blau, oder von Goldbrokat, mit Zobel oder Hermelin verbrämt und ge- füttert, und herabreichend bis auf die Füße, daß nur die langen Spitzen hervorragen. Die Aermel ſind weit und pelzverbrämt, und häufig doppelt in der Art, daß das eine Paar angezogen iſt, das andere aber von der Schulter herabfällt. Dieſes Ceremonie- oder Galakleid findet ſich bei allen chriſtlichen Fürſten jener Zeit. Tragen es aber andere vornehme Perſonen von minder hohem Range, ſo muß freilich der Hermelin fortgelaſſen und durch ein weniger koſtbares Rauchwerk oder durch Sammet erſetzt werden. Bei dieſen ſehen wir ihn dann auch zuweilen auf den Hüften fal- tig eingeſchnürt. — Andere Hofleute, jüngere wie ältere, na- mentlich die erſteren, tragen am Hofe einen Oberrock, der ſich von dem eben beſchriebenen nur durch eine auffallende Kürze und Ein- ſchnüren der Taille unterſcheidet. Im Uebrigen iſt er eben ſo

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/284>, abgerufen am 22.11.2024.