Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Das Mittelalter.
Spitzen die Schellentracht und die Schnabelschuhe. Die
einen wie die andern sind zwar für diese Periode ihrem Ursprung
nach nicht etwas völlig Neues und Originelles, aber sie sind es
doch sowohl in Bezug auf die Größe, Ausdehnung und Allge-
meinheit, sowie in Anbetracht der Art und Weise, in welcher sie
getragen wurden.

Wir haben der Schellentracht bereits in der vorigen
Periode zu gedenken gehabt, und wir haben dort einige Beispiele
mitgetheilt, wo sie wirklich an der ritterlichen Tracht erscheinen,
aber nur als eine außergewöhnliche und stutzerhafte Mode. Bei
der Geistlichkeit hatte sie sich jedoch als zur Tracht ihres Dienstes
gehörend gefunden. Mag sie nun ihren Ursprung und ihre Ein-
führung in Deutschland auf Umwegen von dem jüdischen Hohen-
priester oder von den Ungarn herleiten, so ist doch für den spätern
Gebrauch die Mode durchaus als eine deutsche, Deutschland eigen-
thümliche zu bezeichnen. Es ist selten, daß man in der Geschichte
der Moden und Trachten von deutscher Originalität zu reden hat;
man findet fast immer, wenn auch die directe Nachahmung nicht
nachgewiesen werden kann, die Vorbilder ein oder mehrere Jahr-
zehnte früher in Frankreich oder Italien. Es ist nicht schade
darum; denn stößt man wirklich einmal in diesem Gebiet auf et-
was, was deutsches Eigenthum ist, oder bei dem Deutschen wenn
auch nicht seinem ersten Ursprung nach, so doch eine in seinem
Geiste originale Entwicklung genommen hat, wie z. B. die mäch-
tige Pluderhose des Landsknechts und leider auch der Zopf des
achtzehnten Jahrhunderts, so möchte man auch hier den Ruhm
der Erfindung oder des Eigenthums nur zu gern von sich ab-
wälzen und den Fremden überlassen. Die Originalität und
Stärke des deutschen Geistes liegt nicht auf dieser Seite; wir
können solche Geistesarbeit ruhig fremden Köpfen überlassen.
Nationale Bestrebungen dieser Art haben uns nie gelingen wol-
len, und werden es jetzt weniger als je. Wie sehr auch im vier-
zehnten und funfzehnten Jahrhundert Franzosen wie Engländer,
der allgemeinen Zeitströmung folgend oder vorangehend, sich in
Extravaganzen gefielen, die Schellentracht wollte keinen Eingang

II. Das Mittelalter.
Spitzen die Schellentracht und die Schnabelſchuhe. Die
einen wie die andern ſind zwar für dieſe Periode ihrem Urſprung
nach nicht etwas völlig Neues und Originelles, aber ſie ſind es
doch ſowohl in Bezug auf die Größe, Ausdehnung und Allge-
meinheit, ſowie in Anbetracht der Art und Weiſe, in welcher ſie
getragen wurden.

Wir haben der Schellentracht bereits in der vorigen
Periode zu gedenken gehabt, und wir haben dort einige Beiſpiele
mitgetheilt, wo ſie wirklich an der ritterlichen Tracht erſcheinen,
aber nur als eine außergewöhnliche und ſtutzerhafte Mode. Bei
der Geiſtlichkeit hatte ſie ſich jedoch als zur Tracht ihres Dienſtes
gehörend gefunden. Mag ſie nun ihren Urſprung und ihre Ein-
führung in Deutſchland auf Umwegen von dem jüdiſchen Hohen-
prieſter oder von den Ungarn herleiten, ſo iſt doch für den ſpätern
Gebrauch die Mode durchaus als eine deutſche, Deutſchland eigen-
thümliche zu bezeichnen. Es iſt ſelten, daß man in der Geſchichte
der Moden und Trachten von deutſcher Originalität zu reden hat;
man findet faſt immer, wenn auch die directe Nachahmung nicht
nachgewieſen werden kann, die Vorbilder ein oder mehrere Jahr-
zehnte früher in Frankreich oder Italien. Es iſt nicht ſchade
darum; denn ſtößt man wirklich einmal in dieſem Gebiet auf et-
was, was deutſches Eigenthum iſt, oder bei dem Deutſchen wenn
auch nicht ſeinem erſten Urſprung nach, ſo doch eine in ſeinem
Geiſte originale Entwicklung genommen hat, wie z. B. die mäch-
tige Pluderhoſe des Landsknechts und leider auch der Zopf des
achtzehnten Jahrhunderts, ſo möchte man auch hier den Ruhm
der Erfindung oder des Eigenthums nur zu gern von ſich ab-
wälzen und den Fremden überlaſſen. Die Originalität und
Stärke des deutſchen Geiſtes liegt nicht auf dieſer Seite; wir
können ſolche Geiſtesarbeit ruhig fremden Köpfen überlaſſen.
Nationale Beſtrebungen dieſer Art haben uns nie gelingen wol-
len, und werden es jetzt weniger als je. Wie ſehr auch im vier-
zehnten und funfzehnten Jahrhundert Franzoſen wie Engländer,
der allgemeinen Zeitſtrömung folgend oder vorangehend, ſich in
Extravaganzen gefielen, die Schellentracht wollte keinen Eingang

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0254" n="236"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/>
Spitzen die <hi rendition="#g">Schellentracht</hi> und die <hi rendition="#g">Schnabel&#x017F;chuhe</hi>. Die<lb/>
einen wie die andern &#x017F;ind zwar für die&#x017F;e Periode ihrem Ur&#x017F;prung<lb/>
nach nicht etwas völlig Neues und Originelles, aber &#x017F;ie &#x017F;ind es<lb/>
doch &#x017F;owohl in Bezug auf die Größe, Ausdehnung und Allge-<lb/>
meinheit, &#x017F;owie in Anbetracht der Art und Wei&#x017F;e, in welcher &#x017F;ie<lb/>
getragen wurden.</p><lb/>
              <p>Wir haben der <hi rendition="#g">Schellentracht</hi> bereits in der vorigen<lb/>
Periode zu gedenken gehabt, und wir haben dort einige Bei&#x017F;piele<lb/>
mitgetheilt, wo &#x017F;ie wirklich an der ritterlichen Tracht er&#x017F;cheinen,<lb/>
aber nur als eine außergewöhnliche und &#x017F;tutzerhafte Mode. Bei<lb/>
der Gei&#x017F;tlichkeit hatte &#x017F;ie &#x017F;ich jedoch als zur Tracht ihres Dien&#x017F;tes<lb/>
gehörend gefunden. Mag &#x017F;ie nun ihren Ur&#x017F;prung und ihre Ein-<lb/>
führung in Deut&#x017F;chland auf Umwegen von dem jüdi&#x017F;chen Hohen-<lb/>
prie&#x017F;ter oder von den Ungarn herleiten, &#x017F;o i&#x017F;t doch für den &#x017F;pätern<lb/>
Gebrauch die Mode durchaus als eine deut&#x017F;che, Deut&#x017F;chland eigen-<lb/>
thümliche zu bezeichnen. Es i&#x017F;t &#x017F;elten, daß man in der Ge&#x017F;chichte<lb/>
der Moden und Trachten von deut&#x017F;cher Originalität zu reden hat;<lb/>
man findet fa&#x017F;t immer, wenn auch die directe Nachahmung nicht<lb/>
nachgewie&#x017F;en werden kann, die Vorbilder ein oder mehrere Jahr-<lb/>
zehnte früher in Frankreich oder Italien. Es i&#x017F;t nicht &#x017F;chade<lb/>
darum; denn &#x017F;tößt man wirklich einmal in die&#x017F;em Gebiet auf et-<lb/>
was, was deut&#x017F;ches Eigenthum i&#x017F;t, oder bei dem Deut&#x017F;chen wenn<lb/>
auch nicht &#x017F;einem er&#x017F;ten Ur&#x017F;prung nach, &#x017F;o doch eine in &#x017F;einem<lb/>
Gei&#x017F;te originale Entwicklung genommen hat, wie z. B. die mäch-<lb/>
tige Pluderho&#x017F;e des Landsknechts und leider auch der Zopf des<lb/>
achtzehnten Jahrhunderts, &#x017F;o möchte man auch hier den Ruhm<lb/>
der Erfindung oder des Eigenthums nur zu gern von &#x017F;ich ab-<lb/>
wälzen und den Fremden überla&#x017F;&#x017F;en. Die Originalität und<lb/>
Stärke des deut&#x017F;chen Gei&#x017F;tes liegt nicht auf die&#x017F;er Seite; wir<lb/>
können &#x017F;olche Gei&#x017F;tesarbeit ruhig fremden Köpfen überla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Nationale Be&#x017F;trebungen die&#x017F;er Art haben uns nie gelingen wol-<lb/>
len, und werden es jetzt weniger als je. Wie &#x017F;ehr auch im vier-<lb/>
zehnten und funfzehnten Jahrhundert Franzo&#x017F;en wie Engländer,<lb/>
der allgemeinen Zeit&#x017F;trömung folgend oder vorangehend, &#x017F;ich in<lb/>
Extravaganzen gefielen, die Schellentracht wollte keinen Eingang<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[236/0254] II. Das Mittelalter. Spitzen die Schellentracht und die Schnabelſchuhe. Die einen wie die andern ſind zwar für dieſe Periode ihrem Urſprung nach nicht etwas völlig Neues und Originelles, aber ſie ſind es doch ſowohl in Bezug auf die Größe, Ausdehnung und Allge- meinheit, ſowie in Anbetracht der Art und Weiſe, in welcher ſie getragen wurden. Wir haben der Schellentracht bereits in der vorigen Periode zu gedenken gehabt, und wir haben dort einige Beiſpiele mitgetheilt, wo ſie wirklich an der ritterlichen Tracht erſcheinen, aber nur als eine außergewöhnliche und ſtutzerhafte Mode. Bei der Geiſtlichkeit hatte ſie ſich jedoch als zur Tracht ihres Dienſtes gehörend gefunden. Mag ſie nun ihren Urſprung und ihre Ein- führung in Deutſchland auf Umwegen von dem jüdiſchen Hohen- prieſter oder von den Ungarn herleiten, ſo iſt doch für den ſpätern Gebrauch die Mode durchaus als eine deutſche, Deutſchland eigen- thümliche zu bezeichnen. Es iſt ſelten, daß man in der Geſchichte der Moden und Trachten von deutſcher Originalität zu reden hat; man findet faſt immer, wenn auch die directe Nachahmung nicht nachgewieſen werden kann, die Vorbilder ein oder mehrere Jahr- zehnte früher in Frankreich oder Italien. Es iſt nicht ſchade darum; denn ſtößt man wirklich einmal in dieſem Gebiet auf et- was, was deutſches Eigenthum iſt, oder bei dem Deutſchen wenn auch nicht ſeinem erſten Urſprung nach, ſo doch eine in ſeinem Geiſte originale Entwicklung genommen hat, wie z. B. die mäch- tige Pluderhoſe des Landsknechts und leider auch der Zopf des achtzehnten Jahrhunderts, ſo möchte man auch hier den Ruhm der Erfindung oder des Eigenthums nur zu gern von ſich ab- wälzen und den Fremden überlaſſen. Die Originalität und Stärke des deutſchen Geiſtes liegt nicht auf dieſer Seite; wir können ſolche Geiſtesarbeit ruhig fremden Köpfen überlaſſen. Nationale Beſtrebungen dieſer Art haben uns nie gelingen wol- len, und werden es jetzt weniger als je. Wie ſehr auch im vier- zehnten und funfzehnten Jahrhundert Franzoſen wie Engländer, der allgemeinen Zeitſtrömung folgend oder vorangehend, ſich in Extravaganzen gefielen, die Schellentracht wollte keinen Eingang

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/254
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/254>, abgerufen am 07.05.2024.