zehn kurze und noch zehn Oberkleider; die Hälfte, meint er, habe ihr genügt. Das mag also der gewöhnliche Besitzstand einer Dame von Stande gewesen sein. Wenn der Teufel hinzufügt, ein langes Kleid, zwei kurze und zwei Oberkleider seien genug für eine einfache Dame, so mag das von seinem Standpunkt aus richtig sein, eine einigermaßen vermögende Frau wird sich aber schwerlich damit befriedigt haben.
Zur Menge der Kleider kam noch insbesondere die Kostbar- keit der Stoffe hinzu, denn seitdem die Seidenmanufactur von den Sarazenen nach Oberitalien, insbesondere Lucca, und von da nach den Niederlanden gekommen war, wurde fast zur Regel, was früher Ausnahme gewesen war. Seidene Kleider, seidene Mäntel u. s. w. konnten die Obrigkeiten selbst den Bürgerinnen nicht mehr verbieten. Der Sammet muß immer aufs Neue un- tersagt werden. Selbst der Goldstoff ist in die Städte zu den Bürgerinnen gekommen; eine Münchner Schneidertaxordnung nimmt ausdrücklich Bezug auf ihn und bestimmt den Lohn für "einen ganz goldenen Frauenrock." Der Goldstoff hatte farbigen Grund und darin große Pflanzenmuster hineingewirkt. Daneben blieben auch die gestickten überaus kostbaren Stoffe in Gebrauch. Als die französische Prinzessin Isabella, Tochter Karls VI., mit Richard II. von England vermählt wurde, befanden sich unter ihrer Aussteuer ein Kleid und ein Mantel von rothem ächten Sammet, bestickt mit goldenen Vögeln von getriebener Gold- schmiedsarbeit, die auf Zweigen von Perlen und grünen Sma- ragden sitzen. Ein anderes Kleid, ebenfalls von ächtem rothen Sammet, war mit Zweigen von Frauenblumen und Ginster in Perlen gestickt und mit Grauwerk gefüttert. -- Die deutschen Bürgerfrauen bemühten sich, das nach Kräften nachzuahmen, doch mochten namentlich über die Aechtheit der Zweifel viele mannigfach aufkommen. Denn was z. B. die Perlen betrifft, mit denen ein so außerordentlicher Luxus getrieben wurde, so war für deren Fabrication eine eigene Zunft der Perlenmacher ent- standen. --
Von allen Sonderbarkeiten dieser Zeit sind die höchsten
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
zehn kurze und noch zehn Oberkleider; die Hälfte, meint er, habe ihr genügt. Das mag alſo der gewöhnliche Beſitzſtand einer Dame von Stande geweſen ſein. Wenn der Teufel hinzufügt, ein langes Kleid, zwei kurze und zwei Oberkleider ſeien genug für eine einfache Dame, ſo mag das von ſeinem Standpunkt aus richtig ſein, eine einigermaßen vermögende Frau wird ſich aber ſchwerlich damit befriedigt haben.
Zur Menge der Kleider kam noch insbeſondere die Koſtbar- keit der Stoffe hinzu, denn ſeitdem die Seidenmanufactur von den Sarazenen nach Oberitalien, insbeſondere Lucca, und von da nach den Niederlanden gekommen war, wurde faſt zur Regel, was früher Ausnahme geweſen war. Seidene Kleider, ſeidene Mäntel u. ſ. w. konnten die Obrigkeiten ſelbſt den Bürgerinnen nicht mehr verbieten. Der Sammet muß immer aufs Neue un- terſagt werden. Selbſt der Goldſtoff iſt in die Städte zu den Bürgerinnen gekommen; eine Münchner Schneidertaxordnung nimmt ausdrücklich Bezug auf ihn und beſtimmt den Lohn für „einen ganz goldenen Frauenrock.“ Der Goldſtoff hatte farbigen Grund und darin große Pflanzenmuſter hineingewirkt. Daneben blieben auch die geſtickten überaus koſtbaren Stoffe in Gebrauch. Als die franzöſiſche Prinzeſſin Iſabella, Tochter Karls VI., mit Richard II. von England vermählt wurde, befanden ſich unter ihrer Ausſteuer ein Kleid und ein Mantel von rothem ächten Sammet, beſtickt mit goldenen Vögeln von getriebener Gold- ſchmiedsarbeit, die auf Zweigen von Perlen und grünen Sma- ragden ſitzen. Ein anderes Kleid, ebenfalls von ächtem rothen Sammet, war mit Zweigen von Frauenblumen und Ginſter in Perlen geſtickt und mit Grauwerk gefüttert. — Die deutſchen Bürgerfrauen bemühten ſich, das nach Kräften nachzuahmen, doch mochten namentlich über die Aechtheit der Zweifel viele mannigfach aufkommen. Denn was z. B. die Perlen betrifft, mit denen ein ſo außerordentlicher Luxus getrieben wurde, ſo war für deren Fabrication eine eigene Zunft der Perlenmacher ent- ſtanden. —
Von allen Sonderbarkeiten dieſer Zeit ſind die höchſten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0253"n="235"/><fwplace="top"type="header">2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.</fw><lb/>
zehn kurze und noch zehn Oberkleider; die Hälfte, meint er, habe<lb/>
ihr genügt. Das mag alſo der gewöhnliche Beſitzſtand einer<lb/>
Dame von Stande geweſen ſein. Wenn der Teufel hinzufügt,<lb/><hirendition="#g">ein</hi> langes Kleid, zwei kurze und zwei Oberkleider ſeien genug<lb/>
für eine einfache Dame, ſo mag das von ſeinem Standpunkt aus<lb/>
richtig ſein, eine einigermaßen vermögende Frau wird ſich aber<lb/>ſchwerlich damit befriedigt haben.</p><lb/><p>Zur Menge der Kleider kam noch insbeſondere die Koſtbar-<lb/>
keit der <hirendition="#g">Stoffe</hi> hinzu, denn ſeitdem die Seidenmanufactur von<lb/>
den Sarazenen nach Oberitalien, insbeſondere Lucca, und von<lb/>
da nach den Niederlanden gekommen war, wurde faſt zur Regel,<lb/>
was früher Ausnahme geweſen war. Seidene Kleider, ſeidene<lb/>
Mäntel u. ſ. w. konnten die Obrigkeiten ſelbſt den Bürgerinnen<lb/>
nicht mehr verbieten. Der Sammet muß immer aufs Neue un-<lb/>
terſagt werden. Selbſt der Goldſtoff iſt in die Städte zu den<lb/>
Bürgerinnen gekommen; eine Münchner Schneidertaxordnung<lb/>
nimmt ausdrücklich Bezug auf ihn und beſtimmt den Lohn für<lb/>„einen ganz goldenen Frauenrock.“ Der Goldſtoff hatte farbigen<lb/>
Grund und darin große Pflanzenmuſter hineingewirkt. Daneben<lb/>
blieben auch die geſtickten überaus koſtbaren Stoffe in Gebrauch.<lb/>
Als die franzöſiſche Prinzeſſin Iſabella, Tochter Karls <hirendition="#aq">VI.</hi>, mit<lb/>
Richard <hirendition="#aq">II.</hi> von England vermählt wurde, befanden ſich unter<lb/>
ihrer Ausſteuer ein Kleid und ein Mantel von rothem ächten<lb/>
Sammet, beſtickt mit goldenen Vögeln von getriebener Gold-<lb/>ſchmiedsarbeit, die auf Zweigen von Perlen und grünen Sma-<lb/>
ragden ſitzen. Ein anderes Kleid, ebenfalls von ächtem rothen<lb/>
Sammet, war mit Zweigen von Frauenblumen und Ginſter in<lb/>
Perlen geſtickt und mit Grauwerk gefüttert. — Die deutſchen<lb/>
Bürgerfrauen bemühten ſich, das nach Kräften nachzuahmen,<lb/>
doch mochten namentlich über die Aechtheit der Zweifel viele<lb/>
mannigfach aufkommen. Denn was z. B. die Perlen betrifft,<lb/>
mit denen ein ſo außerordentlicher Luxus getrieben wurde, ſo war<lb/>
für deren Fabrication eine eigene Zunft der Perlenmacher ent-<lb/>ſtanden. —</p><lb/><p>Von allen Sonderbarkeiten dieſer Zeit ſind die höchſten<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[235/0253]
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
zehn kurze und noch zehn Oberkleider; die Hälfte, meint er, habe
ihr genügt. Das mag alſo der gewöhnliche Beſitzſtand einer
Dame von Stande geweſen ſein. Wenn der Teufel hinzufügt,
ein langes Kleid, zwei kurze und zwei Oberkleider ſeien genug
für eine einfache Dame, ſo mag das von ſeinem Standpunkt aus
richtig ſein, eine einigermaßen vermögende Frau wird ſich aber
ſchwerlich damit befriedigt haben.
Zur Menge der Kleider kam noch insbeſondere die Koſtbar-
keit der Stoffe hinzu, denn ſeitdem die Seidenmanufactur von
den Sarazenen nach Oberitalien, insbeſondere Lucca, und von
da nach den Niederlanden gekommen war, wurde faſt zur Regel,
was früher Ausnahme geweſen war. Seidene Kleider, ſeidene
Mäntel u. ſ. w. konnten die Obrigkeiten ſelbſt den Bürgerinnen
nicht mehr verbieten. Der Sammet muß immer aufs Neue un-
terſagt werden. Selbſt der Goldſtoff iſt in die Städte zu den
Bürgerinnen gekommen; eine Münchner Schneidertaxordnung
nimmt ausdrücklich Bezug auf ihn und beſtimmt den Lohn für
„einen ganz goldenen Frauenrock.“ Der Goldſtoff hatte farbigen
Grund und darin große Pflanzenmuſter hineingewirkt. Daneben
blieben auch die geſtickten überaus koſtbaren Stoffe in Gebrauch.
Als die franzöſiſche Prinzeſſin Iſabella, Tochter Karls VI., mit
Richard II. von England vermählt wurde, befanden ſich unter
ihrer Ausſteuer ein Kleid und ein Mantel von rothem ächten
Sammet, beſtickt mit goldenen Vögeln von getriebener Gold-
ſchmiedsarbeit, die auf Zweigen von Perlen und grünen Sma-
ragden ſitzen. Ein anderes Kleid, ebenfalls von ächtem rothen
Sammet, war mit Zweigen von Frauenblumen und Ginſter in
Perlen geſtickt und mit Grauwerk gefüttert. — Die deutſchen
Bürgerfrauen bemühten ſich, das nach Kräften nachzuahmen,
doch mochten namentlich über die Aechtheit der Zweifel viele
mannigfach aufkommen. Denn was z. B. die Perlen betrifft,
mit denen ein ſo außerordentlicher Luxus getrieben wurde, ſo war
für deren Fabrication eine eigene Zunft der Perlenmacher ent-
ſtanden. —
Von allen Sonderbarkeiten dieſer Zeit ſind die höchſten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/253>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.