und Perlen verliert er dadurch nichts. Die Mode der hohen Taille herrscht so ziemlich durch das ganze funfzehnte Jahrhun- dert, namentlich auch am französischen und burgundischen Hofe; nur die schlankgebauten Damen Albions, ihres Reizes sich wohl bewußt, wollen sich den schönen Wuchs noch lange nicht verun- stalten lassen: sie sind die letzten, bei denen die hohen Gürtel Eingang finden, und die ersten, welche sie wieder aufgeben.
Der Mantel kam auch jetzt nicht ganz außer Gebrauch, im Gegentheil erscheint er als Hoike für die Frauen außerhalb des Hauses, auf öffentlicher Straße, auch wohl in der Kirche, als von einer gewissen Nothwendigkeit geboten. Die Obrigkeit von Hildesheim (1422) verlangte es sogar ausdrücklich, daß die Frauen, wenn sie bei Tage in die Kirche gingen, oder zu Kind- betten, zu Hochzeiten und dergleichen, daß sie über ihre schönen Kleider und all ihren Putz die Hoike anlegen sollten. Mehr und mehr rückt die Oeffnung des Mantels von der Schulter zurück auf die Brust, und im funfzehnten Jahrhundert wird er wieder wie früher unter dem Halse befestigt. Die tolle Modelaune drückt aber auch ihm das Gepräge der Zeit auf. So heißt es in der Beschreibung der Moden des Städtchens Kreuzburg um das Jahr 1400: "Die Weiber trugen auch lange Mäntel mit Falten, unten weit mit einem zwiefachen Saum, handbreit oben mit einem dicken, gestärkten Kragen, anderthalb Schuh lang, und hießen Kragenmäntel." Die Damen von Piacenza, deren Schmuck- liebe uns schon bekannt ist, bedurften sogar dreier Mäntel, abge- sehen von der Jahreszeit, die für den Winter ein Unterfutter von Pelzwerk und im Sommer von Sendel erforderten. Es heißt, sie besaßen einen blauen, einen rothen und einen leichteren bunten. Junge Damen trugen ein kurzes Mäntelchen.
Natürlich brauchten die Damen der Kleider noch mehr als der Mäntel, zumal da sie nach wie vor immer zwei trugen. Die Erzählung des alten de la Tour von dem Ritter und dem Ein- siedler mag uns ungefähr das Maß der Garderobe angeben. Der Teufel macht St. Michael gegenüber zum Nachtheil der Frau gel- tend, daß sie zehn Paar Kleider besessen habe, zehn lange und
II. Das Mittelalter.
und Perlen verliert er dadurch nichts. Die Mode der hohen Taille herrſcht ſo ziemlich durch das ganze funfzehnte Jahrhun- dert, namentlich auch am franzöſiſchen und burgundiſchen Hofe; nur die ſchlankgebauten Damen Albions, ihres Reizes ſich wohl bewußt, wollen ſich den ſchönen Wuchs noch lange nicht verun- ſtalten laſſen: ſie ſind die letzten, bei denen die hohen Gürtel Eingang finden, und die erſten, welche ſie wieder aufgeben.
Der Mantel kam auch jetzt nicht ganz außer Gebrauch, im Gegentheil erſcheint er als Hoike für die Frauen außerhalb des Hauſes, auf öffentlicher Straße, auch wohl in der Kirche, als von einer gewiſſen Nothwendigkeit geboten. Die Obrigkeit von Hildesheim (1422) verlangte es ſogar ausdrücklich, daß die Frauen, wenn ſie bei Tage in die Kirche gingen, oder zu Kind- betten, zu Hochzeiten und dergleichen, daß ſie über ihre ſchönen Kleider und all ihren Putz die Hoike anlegen ſollten. Mehr und mehr rückt die Oeffnung des Mantels von der Schulter zurück auf die Bruſt, und im funfzehnten Jahrhundert wird er wieder wie früher unter dem Halſe befeſtigt. Die tolle Modelaune drückt aber auch ihm das Gepräge der Zeit auf. So heißt es in der Beſchreibung der Moden des Städtchens Kreuzburg um das Jahr 1400: „Die Weiber trugen auch lange Mäntel mit Falten, unten weit mit einem zwiefachen Saum, handbreit oben mit einem dicken, geſtärkten Kragen, anderthalb Schuh lang, und hießen Kragenmäntel.“ Die Damen von Piacenza, deren Schmuck- liebe uns ſchon bekannt iſt, bedurften ſogar dreier Mäntel, abge- ſehen von der Jahreszeit, die für den Winter ein Unterfutter von Pelzwerk und im Sommer von Sendel erforderten. Es heißt, ſie beſaßen einen blauen, einen rothen und einen leichteren bunten. Junge Damen trugen ein kurzes Mäntelchen.
Natürlich brauchten die Damen der Kleider noch mehr als der Mäntel, zumal da ſie nach wie vor immer zwei trugen. Die Erzählung des alten de la Tour von dem Ritter und dem Ein- ſiedler mag uns ungefähr das Maß der Garderobe angeben. Der Teufel macht St. Michael gegenüber zum Nachtheil der Frau gel- tend, daß ſie zehn Paar Kleider beſeſſen habe, zehn lange und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0252"n="234"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/>
und Perlen verliert er dadurch nichts. Die Mode der hohen<lb/>
Taille herrſcht ſo ziemlich durch das ganze funfzehnte Jahrhun-<lb/>
dert, namentlich auch am franzöſiſchen und burgundiſchen Hofe;<lb/>
nur die ſchlankgebauten Damen Albions, ihres Reizes ſich wohl<lb/>
bewußt, wollen ſich den ſchönen Wuchs noch lange nicht verun-<lb/>ſtalten laſſen: ſie ſind die letzten, bei denen die hohen Gürtel<lb/>
Eingang finden, und die erſten, welche ſie wieder aufgeben.</p><lb/><p>Der <hirendition="#g">Mantel</hi> kam auch jetzt nicht ganz außer Gebrauch,<lb/>
im Gegentheil erſcheint er als Hoike für die Frauen außerhalb<lb/>
des Hauſes, auf öffentlicher Straße, auch wohl in der Kirche,<lb/>
als von einer gewiſſen Nothwendigkeit geboten. Die Obrigkeit<lb/>
von Hildesheim (1422) verlangte es ſogar ausdrücklich, daß die<lb/>
Frauen, wenn ſie bei Tage in die Kirche gingen, oder zu Kind-<lb/>
betten, zu Hochzeiten und dergleichen, daß ſie über ihre ſchönen<lb/>
Kleider und all ihren Putz die Hoike anlegen ſollten. Mehr und<lb/>
mehr rückt die Oeffnung des Mantels von der Schulter zurück<lb/>
auf die Bruſt, und im funfzehnten Jahrhundert wird er wieder<lb/>
wie früher unter dem Halſe befeſtigt. Die tolle Modelaune drückt<lb/>
aber auch ihm das Gepräge der Zeit auf. So heißt es in der<lb/>
Beſchreibung der Moden des Städtchens Kreuzburg um das<lb/>
Jahr 1400: „Die Weiber trugen auch lange Mäntel mit Falten,<lb/>
unten weit mit einem zwiefachen Saum, handbreit oben mit<lb/>
einem dicken, geſtärkten Kragen, anderthalb Schuh lang, und<lb/>
hießen Kragenmäntel.“ Die Damen von Piacenza, deren Schmuck-<lb/>
liebe uns ſchon bekannt iſt, bedurften ſogar dreier Mäntel, abge-<lb/>ſehen von der Jahreszeit, die für den Winter ein Unterfutter von<lb/>
Pelzwerk und im Sommer von Sendel erforderten. Es heißt, ſie<lb/>
beſaßen einen blauen, einen rothen und einen leichteren bunten.<lb/>
Junge Damen trugen ein kurzes Mäntelchen.</p><lb/><p>Natürlich brauchten die Damen der Kleider noch mehr als<lb/>
der Mäntel, zumal da ſie nach wie vor immer zwei trugen. Die<lb/>
Erzählung des alten de la Tour von dem Ritter und dem Ein-<lb/>ſiedler mag uns ungefähr das Maß der Garderobe angeben. Der<lb/>
Teufel macht St. Michael gegenüber zum Nachtheil der Frau gel-<lb/>
tend, daß ſie zehn Paar Kleider beſeſſen habe, zehn lange und<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[234/0252]
II. Das Mittelalter.
und Perlen verliert er dadurch nichts. Die Mode der hohen
Taille herrſcht ſo ziemlich durch das ganze funfzehnte Jahrhun-
dert, namentlich auch am franzöſiſchen und burgundiſchen Hofe;
nur die ſchlankgebauten Damen Albions, ihres Reizes ſich wohl
bewußt, wollen ſich den ſchönen Wuchs noch lange nicht verun-
ſtalten laſſen: ſie ſind die letzten, bei denen die hohen Gürtel
Eingang finden, und die erſten, welche ſie wieder aufgeben.
Der Mantel kam auch jetzt nicht ganz außer Gebrauch,
im Gegentheil erſcheint er als Hoike für die Frauen außerhalb
des Hauſes, auf öffentlicher Straße, auch wohl in der Kirche,
als von einer gewiſſen Nothwendigkeit geboten. Die Obrigkeit
von Hildesheim (1422) verlangte es ſogar ausdrücklich, daß die
Frauen, wenn ſie bei Tage in die Kirche gingen, oder zu Kind-
betten, zu Hochzeiten und dergleichen, daß ſie über ihre ſchönen
Kleider und all ihren Putz die Hoike anlegen ſollten. Mehr und
mehr rückt die Oeffnung des Mantels von der Schulter zurück
auf die Bruſt, und im funfzehnten Jahrhundert wird er wieder
wie früher unter dem Halſe befeſtigt. Die tolle Modelaune drückt
aber auch ihm das Gepräge der Zeit auf. So heißt es in der
Beſchreibung der Moden des Städtchens Kreuzburg um das
Jahr 1400: „Die Weiber trugen auch lange Mäntel mit Falten,
unten weit mit einem zwiefachen Saum, handbreit oben mit
einem dicken, geſtärkten Kragen, anderthalb Schuh lang, und
hießen Kragenmäntel.“ Die Damen von Piacenza, deren Schmuck-
liebe uns ſchon bekannt iſt, bedurften ſogar dreier Mäntel, abge-
ſehen von der Jahreszeit, die für den Winter ein Unterfutter von
Pelzwerk und im Sommer von Sendel erforderten. Es heißt, ſie
beſaßen einen blauen, einen rothen und einen leichteren bunten.
Junge Damen trugen ein kurzes Mäntelchen.
Natürlich brauchten die Damen der Kleider noch mehr als
der Mäntel, zumal da ſie nach wie vor immer zwei trugen. Die
Erzählung des alten de la Tour von dem Ritter und dem Ein-
ſiedler mag uns ungefähr das Maß der Garderobe angeben. Der
Teufel macht St. Michael gegenüber zum Nachtheil der Frau gel-
tend, daß ſie zehn Paar Kleider beſeſſen habe, zehn lange und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/252>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.