von einem derartigen feinen Tuche mit gesticktem und gekraustem Rande umzogen, welches am geneigten Haupt herunter über die Brust und die linke Schulter gelegt ist. Solche einfache Schön- heit vermochte den bizarren Geschmack aber nur selten zu befrie- digen, und so stellten sich auch an diesem Kopftuch die Zatteln und Zacken in reichlichem Maße ein und umflatterten buntfarbig das Gesicht.
Die hohen französischen Coiffüren fanden damals in Deutsch- land noch wenig Eingang. Auch die turbanartigen Hauben, die aus runden, um den Kopf gelegten und mit Seide oder dem Schleier umwundenen farbigen Wülsten bestehen und vorn mit Agraffe und Feder verziert sind, zeigen sich nur vereinzelt in der ersten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts. Erst seit der Mitte werden sie häufiger und nehmen auch phantastische Formen an. Um dieselbe Zeit bedeckt auch zuweilen der buntfarbige Männer- filzhut den Frauenkopf, auf das geflochtene Haar gesetzt und mit hoher Feder geschmückt. Seine Form ist colossal an Rand und Deckel, eine Mißgestalt für einen lieblichen Frauenkopf. Aber was ist dem Geschmack dieser Zeit unmöglich! --
Die bedeutungsvollste Veränderung, welche die Frauenklei- dung am Ende des vierzehnten Jahrhunderts traf und der gan- zen Erscheinung einen abweichenden Charakter aufdrückte, ge- schah dadurch, daß das, was wir Taille nennen, hoch unter den Busen hinaufrückte. Früher war das Bestreben gewesen, die Länge des Leibes bis über die Hüften herab gleichmäßig einzu- schnüren; man hatte die Schlankheit des Wuchses, auf die man stolz war, in möglichster Weise zu heben gesucht. Jetzt hat es Mode, Eitelkeit und Demoralisation darauf abgesehen, die Fülle des Busens zu verstärken und sie den Augen erschreckter Morali- sten zum Trotz unverhüllt bloßzulegen. Der Ausschnitt des Klei- des, der vorn die halben Brüste umzieht, geht noch tief den Rücken hinunter. Statt des hängenden Gürtels, des Dupfings, der jetzt aufgegeben wird oder nur als Schellengürtel bleibt, tritt der gewöhnliche wieder in seine Rechte ein, rückt aber aufwärts dicht unter die Brust. An reichem Schmuck von Metall, Steinen
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
von einem derartigen feinen Tuche mit geſticktem und gekrauſtem Rande umzogen, welches am geneigten Haupt herunter über die Bruſt und die linke Schulter gelegt iſt. Solche einfache Schön- heit vermochte den bizarren Geſchmack aber nur ſelten zu befrie- digen, und ſo ſtellten ſich auch an dieſem Kopftuch die Zatteln und Zacken in reichlichem Maße ein und umflatterten buntfarbig das Geſicht.
Die hohen franzöſiſchen Coiffüren fanden damals in Deutſch- land noch wenig Eingang. Auch die turbanartigen Hauben, die aus runden, um den Kopf gelegten und mit Seide oder dem Schleier umwundenen farbigen Wülſten beſtehen und vorn mit Agraffe und Feder verziert ſind, zeigen ſich nur vereinzelt in der erſten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts. Erſt ſeit der Mitte werden ſie häufiger und nehmen auch phantaſtiſche Formen an. Um dieſelbe Zeit bedeckt auch zuweilen der buntfarbige Männer- filzhut den Frauenkopf, auf das geflochtene Haar geſetzt und mit hoher Feder geſchmückt. Seine Form iſt coloſſal an Rand und Deckel, eine Mißgeſtalt für einen lieblichen Frauenkopf. Aber was iſt dem Geſchmack dieſer Zeit unmöglich! —
Die bedeutungsvollſte Veränderung, welche die Frauenklei- dung am Ende des vierzehnten Jahrhunderts traf und der gan- zen Erſcheinung einen abweichenden Charakter aufdrückte, ge- ſchah dadurch, daß das, was wir Taille nennen, hoch unter den Buſen hinaufrückte. Früher war das Beſtreben geweſen, die Länge des Leibes bis über die Hüften herab gleichmäßig einzu- ſchnüren; man hatte die Schlankheit des Wuchſes, auf die man ſtolz war, in möglichſter Weiſe zu heben geſucht. Jetzt hat es Mode, Eitelkeit und Demoraliſation darauf abgeſehen, die Fülle des Buſens zu verſtärken und ſie den Augen erſchreckter Morali- ſten zum Trotz unverhüllt bloßzulegen. Der Ausſchnitt des Klei- des, der vorn die halben Brüſte umzieht, geht noch tief den Rücken hinunter. Statt des hängenden Gürtels, des Dupfings, der jetzt aufgegeben wird oder nur als Schellengürtel bleibt, tritt der gewöhnliche wieder in ſeine Rechte ein, rückt aber aufwärts dicht unter die Bruſt. An reichem Schmuck von Metall, Steinen
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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
von einem derartigen feinen Tuche mit geſticktem und gekrauſtem
Rande umzogen, welches am geneigten Haupt herunter über die
Bruſt und die linke Schulter gelegt iſt. Solche einfache Schön-
heit vermochte den bizarren Geſchmack aber nur ſelten zu befrie-
digen, und ſo ſtellten ſich auch an dieſem Kopftuch die Zatteln
und Zacken in reichlichem Maße ein und umflatterten buntfarbig
das Geſicht.
Die hohen franzöſiſchen Coiffüren fanden damals in Deutſch-
land noch wenig Eingang. Auch die turbanartigen Hauben, die
aus runden, um den Kopf gelegten und mit Seide oder dem
Schleier umwundenen farbigen Wülſten beſtehen und vorn mit
Agraffe und Feder verziert ſind, zeigen ſich nur vereinzelt in der
erſten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts. Erſt ſeit der Mitte
werden ſie häufiger und nehmen auch phantaſtiſche Formen an.
Um dieſelbe Zeit bedeckt auch zuweilen der buntfarbige Männer-
filzhut den Frauenkopf, auf das geflochtene Haar geſetzt und mit
hoher Feder geſchmückt. Seine Form iſt coloſſal an Rand und
Deckel, eine Mißgeſtalt für einen lieblichen Frauenkopf. Aber
was iſt dem Geſchmack dieſer Zeit unmöglich! —
Die bedeutungsvollſte Veränderung, welche die Frauenklei-
dung am Ende des vierzehnten Jahrhunderts traf und der gan-
zen Erſcheinung einen abweichenden Charakter aufdrückte, ge-
ſchah dadurch, daß das, was wir Taille nennen, hoch unter den
Buſen hinaufrückte. Früher war das Beſtreben geweſen, die
Länge des Leibes bis über die Hüften herab gleichmäßig einzu-
ſchnüren; man hatte die Schlankheit des Wuchſes, auf die man
ſtolz war, in möglichſter Weiſe zu heben geſucht. Jetzt hat es
Mode, Eitelkeit und Demoraliſation darauf abgeſehen, die Fülle
des Buſens zu verſtärken und ſie den Augen erſchreckter Morali-
ſten zum Trotz unverhüllt bloßzulegen. Der Ausſchnitt des Klei-
des, der vorn die halben Brüſte umzieht, geht noch tief den
Rücken hinunter. Statt des hängenden Gürtels, des Dupfings,
der jetzt aufgegeben wird oder nur als Schellengürtel bleibt, tritt
der gewöhnliche wieder in ſeine Rechte ein, rückt aber aufwärts
dicht unter die Bruſt. An reichem Schmuck von Metall, Steinen
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/251>, abgerufen am 08.07.2024.
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