Jahr 1356 verbot der Rath von Speier alle Bärte, gewiß ein Zeichen, wie sehr der Bart dem Geist des Mittelalters wider- spricht.
Die genannte Chronik fährt dann fort: "Andere aber, da- mit sie ihre Mannheit lästerten, nahmen weibischen Gebrauch an, trugen lange Haare, kämmten und bleichten dasselbe naß an der Sonne. Etliche, die vor andern berufen und schön sein wollten, nahmen dann ein heißes Eisen, welches sie calanistrum nann- ten, brannten und drehten ihr Haar daran, und je schöner einer das konnte, je schöner er sich zu sein bedünkte." Wir haben diese stutzerhafte Pflege des Haars bei den Deutschen schon von früh an verfolgt; im funfzehnten Jahrhundert erkennt man sie auf allen Bildern. Die Form, in welcher man das Haar im vierzehn- ten Jahrhundert trug, unterscheidet sich von der gemäßigt langen und gelockten des dreizehnten nicht, und es ist als Ausnahme, locale oder doch beschränkte und vorübergehende Mode zu ver- stehen, wenn die Limburger Chronik zum Jahr 1380 berichtet: "Da ging es an, daß man nicht Haarlocken und Zöpfe trug, son- dern die Herren, Ritter und Knechte trugen gekürte (gekürzte) Haare oder Krullen, über die Ohren abgeschnitten, gleich den Conversbrüdern; da das die gemeinen Leute sahen, thaten sie es auch." Von den Bauern aber ist gewiß, daß sie das kurze Haar als Standesunterschied das ganze Mittelalter hindurch getragen haben. -- Da die Gugel nicht immer getragen wurde, nament- lich nicht im Hause, und die Kaputze gewöhnlich auf dem Rücken lag, so blieb für die lockige Tracht des männlichen Haars auch noch der Schmuck der früheren Periode, Ringe, Reife, Kränze, Diademe, welche die Lockenfülle umfaßten und verhinderten, daß sie lästig ins Gesicht fiel.
Der Mantel oder der Oberrock, welcher die männliche Tracht vervollständigt, konnte freilich nicht so der engen und kur- zen Mode folgen. Lange und weite Oberkleider blieben daher fortwährend in Gebrauch, nicht bloß bei den ehrbaren Leuten, die der Mode Opposition machten, sondern selbst bei Stutzern und insbesondere als Feierkleidung. Der Rittermantel blieb noch
II. Das Mittelalter.
Jahr 1356 verbot der Rath von Speier alle Bärte, gewiß ein Zeichen, wie ſehr der Bart dem Geiſt des Mittelalters wider- ſpricht.
Die genannte Chronik fährt dann fort: „Andere aber, da- mit ſie ihre Mannheit läſterten, nahmen weibiſchen Gebrauch an, trugen lange Haare, kämmten und bleichten daſſelbe naß an der Sonne. Etliche, die vor andern berufen und ſchön ſein wollten, nahmen dann ein heißes Eiſen, welches ſie calanistrum nann- ten, brannten und drehten ihr Haar daran, und je ſchöner einer das konnte, je ſchöner er ſich zu ſein bedünkte.“ Wir haben dieſe ſtutzerhafte Pflege des Haars bei den Deutſchen ſchon von früh an verfolgt; im funfzehnten Jahrhundert erkennt man ſie auf allen Bildern. Die Form, in welcher man das Haar im vierzehn- ten Jahrhundert trug, unterſcheidet ſich von der gemäßigt langen und gelockten des dreizehnten nicht, und es iſt als Ausnahme, locale oder doch beſchränkte und vorübergehende Mode zu ver- ſtehen, wenn die Limburger Chronik zum Jahr 1380 berichtet: „Da ging es an, daß man nicht Haarlocken und Zöpfe trug, ſon- dern die Herren, Ritter und Knechte trugen gekürte (gekürzte) Haare oder Krullen, über die Ohren abgeſchnitten, gleich den Conversbrüdern; da das die gemeinen Leute ſahen, thaten ſie es auch.“ Von den Bauern aber iſt gewiß, daß ſie das kurze Haar als Standesunterſchied das ganze Mittelalter hindurch getragen haben. — Da die Gugel nicht immer getragen wurde, nament- lich nicht im Hauſe, und die Kaputze gewöhnlich auf dem Rücken lag, ſo blieb für die lockige Tracht des männlichen Haars auch noch der Schmuck der früheren Periode, Ringe, Reife, Kränze, Diademe, welche die Lockenfülle umfaßten und verhinderten, daß ſie läſtig ins Geſicht fiel.
Der Mantel oder der Oberrock, welcher die männliche Tracht vervollſtändigt, konnte freilich nicht ſo der engen und kur- zen Mode folgen. Lange und weite Oberkleider blieben daher fortwährend in Gebrauch, nicht bloß bei den ehrbaren Leuten, die der Mode Oppoſition machten, ſondern ſelbſt bei Stutzern und insbeſondere als Feierkleidung. Der Rittermantel blieb noch
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II. Das Mittelalter.
Jahr 1356 verbot der Rath von Speier alle Bärte, gewiß ein
Zeichen, wie ſehr der Bart dem Geiſt des Mittelalters wider-
ſpricht.
Die genannte Chronik fährt dann fort: „Andere aber, da-
mit ſie ihre Mannheit läſterten, nahmen weibiſchen Gebrauch an,
trugen lange Haare, kämmten und bleichten daſſelbe naß an der
Sonne. Etliche, die vor andern berufen und ſchön ſein wollten,
nahmen dann ein heißes Eiſen, welches ſie calanistrum nann-
ten, brannten und drehten ihr Haar daran, und je ſchöner einer
das konnte, je ſchöner er ſich zu ſein bedünkte.“ Wir haben dieſe
ſtutzerhafte Pflege des Haars bei den Deutſchen ſchon von früh
an verfolgt; im funfzehnten Jahrhundert erkennt man ſie auf
allen Bildern. Die Form, in welcher man das Haar im vierzehn-
ten Jahrhundert trug, unterſcheidet ſich von der gemäßigt langen
und gelockten des dreizehnten nicht, und es iſt als Ausnahme,
locale oder doch beſchränkte und vorübergehende Mode zu ver-
ſtehen, wenn die Limburger Chronik zum Jahr 1380 berichtet:
„Da ging es an, daß man nicht Haarlocken und Zöpfe trug, ſon-
dern die Herren, Ritter und Knechte trugen gekürte (gekürzte)
Haare oder Krullen, über die Ohren abgeſchnitten, gleich den
Conversbrüdern; da das die gemeinen Leute ſahen, thaten ſie es
auch.“ Von den Bauern aber iſt gewiß, daß ſie das kurze Haar
als Standesunterſchied das ganze Mittelalter hindurch getragen
haben. — Da die Gugel nicht immer getragen wurde, nament-
lich nicht im Hauſe, und die Kaputze gewöhnlich auf dem Rücken
lag, ſo blieb für die lockige Tracht des männlichen Haars auch
noch der Schmuck der früheren Periode, Ringe, Reife, Kränze,
Diademe, welche die Lockenfülle umfaßten und verhinderten, daß
ſie läſtig ins Geſicht fiel.
Der Mantel oder der Oberrock, welcher die männliche
Tracht vervollſtändigt, konnte freilich nicht ſo der engen und kur-
zen Mode folgen. Lange und weite Oberkleider blieben daher
fortwährend in Gebrauch, nicht bloß bei den ehrbaren Leuten, die
der Mode Oppoſition machten, ſondern ſelbſt bei Stutzern und
insbeſondere als Feierkleidung. Der Rittermantel blieb noch
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/224>, abgerufen am 08.07.2024.
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