Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. bis auf die Wade oder selbst bis auf den Boden herabfallensehen, so schließen wir auf eine phantastisch seltsame Zeit, die ihre Köpfe in eine so sonderbare, man möchte sagen, lustig-ernste Verhüllung schließen konnte. Der übermäßig lange Zipfel erregte früh die Aufmerksamkeit der Obrigkeiten. Die zu Speier gestattet gewiß ein bedeutendes Maß mit 11/2 Ellen, aber er soll weder gewunden noch zerschnitten sein. Noch anderes haben die Obrig- keiten dabei zu verbieten. Keiner soll Federn darauf tragen noch Schmelzwerk, noch goldene oder silberne Borten, noch überhaupt Gold, Silber oder Perlen, so will es der Rath zu Speier; "kei- ner soll ihn unter den Augen zerschnitzeln, in keiner Weise." Der Ulmer Rath erlaubt das im Jahr 1406: der Handwerksmann wie der Geschlechter dürfe seine Kappe zerhauen wie er wolle. Die Gugel umschloß ein völlig bartloses Gesicht, wie 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. bis auf die Wade oder ſelbſt bis auf den Boden herabfallenſehen, ſo ſchließen wir auf eine phantaſtiſch ſeltſame Zeit, die ihre Köpfe in eine ſo ſonderbare, man möchte ſagen, luſtig-ernſte Verhüllung ſchließen konnte. Der übermäßig lange Zipfel erregte früh die Aufmerkſamkeit der Obrigkeiten. Die zu Speier geſtattet gewiß ein bedeutendes Maß mit 1½ Ellen, aber er ſoll weder gewunden noch zerſchnitten ſein. Noch anderes haben die Obrig- keiten dabei zu verbieten. Keiner ſoll Federn darauf tragen noch Schmelzwerk, noch goldene oder ſilberne Borten, noch überhaupt Gold, Silber oder Perlen, ſo will es der Rath zu Speier; „kei- ner ſoll ihn unter den Augen zerſchnitzeln, in keiner Weiſe.“ Der Ulmer Rath erlaubt das im Jahr 1406: der Handwerksmann wie der Geſchlechter dürfe ſeine Kappe zerhauen wie er wolle. Die Gugel umſchloß ein völlig bartloſes Geſicht, wie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0223" n="205"/><fw place="top" type="header">2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.</fw><lb/> bis auf die Wade oder ſelbſt bis auf den Boden herabfallen<lb/> ſehen, ſo ſchließen wir auf eine phantaſtiſch ſeltſame Zeit, die ihre<lb/> Köpfe in eine ſo ſonderbare, man möchte ſagen, luſtig-ernſte<lb/> Verhüllung ſchließen konnte. Der übermäßig lange Zipfel erregte<lb/> früh die Aufmerkſamkeit der Obrigkeiten. Die zu Speier geſtattet<lb/> gewiß ein bedeutendes Maß mit 1½ Ellen, aber er ſoll weder<lb/> gewunden noch zerſchnitten ſein. Noch anderes haben die Obrig-<lb/> keiten dabei zu verbieten. Keiner ſoll Federn darauf tragen noch<lb/> Schmelzwerk, noch goldene oder ſilberne Borten, noch überhaupt<lb/> Gold, Silber oder Perlen, ſo will es der Rath zu Speier; „kei-<lb/> ner ſoll ihn unter den Augen zerſchnitzeln, in keiner Weiſe.“ Der<lb/> Ulmer Rath erlaubt das im Jahr 1406: der Handwerksmann<lb/> wie der Geſchlechter dürfe ſeine Kappe zerhauen wie er wolle.</p><lb/> <p>Die Gugel umſchloß ein völlig <hi rendition="#g">bartloſes Geſicht</hi>, wie<lb/> früher. Außer dem Vollbart fürſtlicher oder hochbejahrter Perſo-<lb/> nen giebt es aber noch eine Ausnahme. Es iſt auffallend, wie<lb/> etwa ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, oder ſchon<lb/> etwas früher, bis in den Anfang des funfzehnten hinein eine<lb/> große Menge Ritter auf ihren Grabſteinen mit dem Schnurrbart<lb/> erſcheinen, im Uebrigen aber ein glattes Geſicht zeigen. Wir ver-<lb/> folgen Beiſpiele die ganze Zeit hindurch, z. B. König Günther<lb/> von Schwarzburg (1349), Graf Rudolf von Sachſenhauſen<lb/> (1370), zwei Grafen von Werthheim von 1407. Die Erklärung<lb/> für dieſe dem ganzen germaniſchen und romaniſchen Mittelalter<lb/> ſeit den Zeiten der Karolinger durchaus fremdartige Sitte dürfte<lb/> die böhmiſche Chronik des Hagecius geben. Dieſelbe erzählt, daß<lb/> die Böhmen bereits im Jahr 1329 mit ſeltſamen Kleidern und<lb/> mancherlei Farben zu ſtolziren angefangen hätten. „Da fingen<lb/> auch die Ritter an lange Bärte zu tragen, da man ſich vorher<lb/> glatt trug, auch <hi rendition="#g">trugen etliche Knebel</hi>, den Hunden und<lb/> Katzen gleich nach heidniſcher Art.“ Damals ſtand Böhmen un-<lb/> ter dem Scepter der Luxemburger, und ſo mag es nicht unwahr-<lb/> ſcheinlich ſein, daß ihre deutſchen Ritter die böhmiſch-ſlaviſche<lb/> Sitte annahmen und in der Ritterſchaft Deutſchlands weiter ver-<lb/> breiteten. Die Sitte muß noch tiefer gedrungen ſein, denn im<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [205/0223]
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
bis auf die Wade oder ſelbſt bis auf den Boden herabfallen
ſehen, ſo ſchließen wir auf eine phantaſtiſch ſeltſame Zeit, die ihre
Köpfe in eine ſo ſonderbare, man möchte ſagen, luſtig-ernſte
Verhüllung ſchließen konnte. Der übermäßig lange Zipfel erregte
früh die Aufmerkſamkeit der Obrigkeiten. Die zu Speier geſtattet
gewiß ein bedeutendes Maß mit 1½ Ellen, aber er ſoll weder
gewunden noch zerſchnitten ſein. Noch anderes haben die Obrig-
keiten dabei zu verbieten. Keiner ſoll Federn darauf tragen noch
Schmelzwerk, noch goldene oder ſilberne Borten, noch überhaupt
Gold, Silber oder Perlen, ſo will es der Rath zu Speier; „kei-
ner ſoll ihn unter den Augen zerſchnitzeln, in keiner Weiſe.“ Der
Ulmer Rath erlaubt das im Jahr 1406: der Handwerksmann
wie der Geſchlechter dürfe ſeine Kappe zerhauen wie er wolle.
Die Gugel umſchloß ein völlig bartloſes Geſicht, wie
früher. Außer dem Vollbart fürſtlicher oder hochbejahrter Perſo-
nen giebt es aber noch eine Ausnahme. Es iſt auffallend, wie
etwa ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, oder ſchon
etwas früher, bis in den Anfang des funfzehnten hinein eine
große Menge Ritter auf ihren Grabſteinen mit dem Schnurrbart
erſcheinen, im Uebrigen aber ein glattes Geſicht zeigen. Wir ver-
folgen Beiſpiele die ganze Zeit hindurch, z. B. König Günther
von Schwarzburg (1349), Graf Rudolf von Sachſenhauſen
(1370), zwei Grafen von Werthheim von 1407. Die Erklärung
für dieſe dem ganzen germaniſchen und romaniſchen Mittelalter
ſeit den Zeiten der Karolinger durchaus fremdartige Sitte dürfte
die böhmiſche Chronik des Hagecius geben. Dieſelbe erzählt, daß
die Böhmen bereits im Jahr 1329 mit ſeltſamen Kleidern und
mancherlei Farben zu ſtolziren angefangen hätten. „Da fingen
auch die Ritter an lange Bärte zu tragen, da man ſich vorher
glatt trug, auch trugen etliche Knebel, den Hunden und
Katzen gleich nach heidniſcher Art.“ Damals ſtand Böhmen un-
ter dem Scepter der Luxemburger, und ſo mag es nicht unwahr-
ſcheinlich ſein, daß ihre deutſchen Ritter die böhmiſch-ſlaviſche
Sitte annahmen und in der Ritterſchaft Deutſchlands weiter ver-
breiteten. Die Sitte muß noch tiefer gedrungen ſein, denn im
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