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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
hätten, und zwar bis Sonntag Lätare des Jahres 1501. Mit
der ausdrücklichen Bestimmung, daß die Verordnung für die
Handwerker auch für deren Frauen und Kinder gelten solle, und
mit der Erlaubniß für die städtischen Bürgerfräulein Perlenhaupt-
bänder zu tragen, wenn es in geziemendem Maße geschehe, blieb
im Uebrigen das Gesetz das alte. Daß auch so nicht erreicht
wurde, was beabsichtigt war, werden uns die späteren Verord-
nungen lehren. --

Schon an sich ist leicht einzusehen, wie eine derartige Ge-
setzgebung, welche allgemeinen Uebeln, die der ganzen Zeit eigen-
thümlich sind, mit kleinen und kleinlichen Mitteln und Bestim-
mungen, mit Geldstrafen oder höchstens Gefängniß abhelfen will,
nicht von dauernder oder durchgreifender Wirkung sein kann.
Die ununterbrochene Aufeinanderfolge der Kleiderordnungen, die
sich von localer Beschränktheit bis zu wiederholten Reichsgesetzen
steigert, spricht ihre eigene Nichtigkeit aus. Die Gesetzgeber, mit-
ten in der Zeit lebend, erkannten nur die Aeußerungen des
Uebels, nicht aber die Quelle, das allgemeine Sittenverderbniß.
Ein Sturm mußte durch die Welt gehen, ein Gewitter, welches
die Luft reinigte, eine Bewegung, stark genug, eine vollkommene
Umwandlung der Sittenzustände und des Geschmacks hervorzu-
bringen. Diese führte in der That das erschütternde Ereigniß der
Reformation mit sich, und erst da fuhr ein neuer Geist in die
Trachtenwelt und gestaltete die äußere Erscheinung der Menschen
völlig um. Bis zu diesem Ereigniß aber, also bis in den Beginn
des sechszehnten Jahrhunderts, entwickelte sich der Geschmack,
wie er sich im Laufe des vierzehnten herausgebildet hatte, in im-
mer üppigerer und ausgelassnerer Weise und erzeugte einen Reich-
thum von phantastischen, bunten, bizarren und widernatürlichen
Formen, welcher seitdem nie wieder übertroffen ist.

Es war etwas Neues, diese Ueberfülle der Formen, als sie
in die Welt trat, und es ist bemerkenswerth, daß genau mit die-
sem Moment, also der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, auch
das zuerst eintritt, was wir seitdem unter Mode verstehen, der
ewige, scheinbar zufällige Wechsel in der Tracht mit seiner unbe-

II. Das Mittelalter.
hätten, und zwar bis Sonntag Lätare des Jahres 1501. Mit
der ausdrücklichen Beſtimmung, daß die Verordnung für die
Handwerker auch für deren Frauen und Kinder gelten ſolle, und
mit der Erlaubniß für die ſtädtiſchen Bürgerfräulein Perlenhaupt-
bänder zu tragen, wenn es in geziemendem Maße geſchehe, blieb
im Uebrigen das Geſetz das alte. Daß auch ſo nicht erreicht
wurde, was beabſichtigt war, werden uns die ſpäteren Verord-
nungen lehren. —

Schon an ſich iſt leicht einzuſehen, wie eine derartige Ge-
ſetzgebung, welche allgemeinen Uebeln, die der ganzen Zeit eigen-
thümlich ſind, mit kleinen und kleinlichen Mitteln und Beſtim-
mungen, mit Geldſtrafen oder höchſtens Gefängniß abhelfen will,
nicht von dauernder oder durchgreifender Wirkung ſein kann.
Die ununterbrochene Aufeinanderfolge der Kleiderordnungen, die
ſich von localer Beſchränktheit bis zu wiederholten Reichsgeſetzen
ſteigert, ſpricht ihre eigene Nichtigkeit aus. Die Geſetzgeber, mit-
ten in der Zeit lebend, erkannten nur die Aeußerungen des
Uebels, nicht aber die Quelle, das allgemeine Sittenverderbniß.
Ein Sturm mußte durch die Welt gehen, ein Gewitter, welches
die Luft reinigte, eine Bewegung, ſtark genug, eine vollkommene
Umwandlung der Sittenzuſtände und des Geſchmacks hervorzu-
bringen. Dieſe führte in der That das erſchütternde Ereigniß der
Reformation mit ſich, und erſt da fuhr ein neuer Geiſt in die
Trachtenwelt und geſtaltete die äußere Erſcheinung der Menſchen
völlig um. Bis zu dieſem Ereigniß aber, alſo bis in den Beginn
des ſechszehnten Jahrhunderts, entwickelte ſich der Geſchmack,
wie er ſich im Laufe des vierzehnten herausgebildet hatte, in im-
mer üppigerer und ausgelaſſnerer Weiſe und erzeugte einen Reich-
thum von phantaſtiſchen, bunten, bizarren und widernatürlichen
Formen, welcher ſeitdem nie wieder übertroffen iſt.

Es war etwas Neues, dieſe Ueberfülle der Formen, als ſie
in die Welt trat, und es iſt bemerkenswerth, daß genau mit die-
ſem Moment, alſo der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, auch
das zuerſt eintritt, was wir ſeitdem unter Mode verſtehen, der
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[192/0210] II. Das Mittelalter. hätten, und zwar bis Sonntag Lätare des Jahres 1501. Mit der ausdrücklichen Beſtimmung, daß die Verordnung für die Handwerker auch für deren Frauen und Kinder gelten ſolle, und mit der Erlaubniß für die ſtädtiſchen Bürgerfräulein Perlenhaupt- bänder zu tragen, wenn es in geziemendem Maße geſchehe, blieb im Uebrigen das Geſetz das alte. Daß auch ſo nicht erreicht wurde, was beabſichtigt war, werden uns die ſpäteren Verord- nungen lehren. — Schon an ſich iſt leicht einzuſehen, wie eine derartige Ge- ſetzgebung, welche allgemeinen Uebeln, die der ganzen Zeit eigen- thümlich ſind, mit kleinen und kleinlichen Mitteln und Beſtim- mungen, mit Geldſtrafen oder höchſtens Gefängniß abhelfen will, nicht von dauernder oder durchgreifender Wirkung ſein kann. Die ununterbrochene Aufeinanderfolge der Kleiderordnungen, die ſich von localer Beſchränktheit bis zu wiederholten Reichsgeſetzen ſteigert, ſpricht ihre eigene Nichtigkeit aus. Die Geſetzgeber, mit- ten in der Zeit lebend, erkannten nur die Aeußerungen des Uebels, nicht aber die Quelle, das allgemeine Sittenverderbniß. Ein Sturm mußte durch die Welt gehen, ein Gewitter, welches die Luft reinigte, eine Bewegung, ſtark genug, eine vollkommene Umwandlung der Sittenzuſtände und des Geſchmacks hervorzu- bringen. Dieſe führte in der That das erſchütternde Ereigniß der Reformation mit ſich, und erſt da fuhr ein neuer Geiſt in die Trachtenwelt und geſtaltete die äußere Erſcheinung der Menſchen völlig um. Bis zu dieſem Ereigniß aber, alſo bis in den Beginn des ſechszehnten Jahrhunderts, entwickelte ſich der Geſchmack, wie er ſich im Laufe des vierzehnten herausgebildet hatte, in im- mer üppigerer und ausgelaſſnerer Weiſe und erzeugte einen Reich- thum von phantaſtiſchen, bunten, bizarren und widernatürlichen Formen, welcher ſeitdem nie wieder übertroffen iſt. Es war etwas Neues, dieſe Ueberfülle der Formen, als ſie in die Welt trat, und es iſt bemerkenswerth, daß genau mit die- ſem Moment, alſo der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, auch das zuerſt eintritt, was wir ſeitdem unter Mode verſtehen, der ewige, ſcheinbar zufällige Wechſel in der Tracht mit ſeiner unbe-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/210>, abgerufen am 26.04.2024.