Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. dingten Herrschaft über alle Classen der civilisirten Menschheit,die sich über das bloße Dasein, die einfache Fristung des Lebens erhoben haben. Wir schließen das nicht bloß aus den Zuständen selbst, nicht bloß aus der Art der Entstehung bestimmter Mode- formen durch persönliche Laune oder durch Einführung aus der Fremde, sondern die Zeugnisse geben bestimmt an, wie die Mode in dem gedachten Sinn als eine Macht den Zeitgenossen ins Be- wußtsein tritt. So konnte die in dieser Beziehung so interessante Limburger Chronik seit 1350 fast von Jahr zu Jahr journalmä- ßig den Wechsel der Moden berichten. Die Veränderung geschah schon uns Jahr 1380, wie sie berichtet, so schnell und so durch- greifend, daß auch die Schneider selbst, wie die Moden wechsel- ten. "Wer heuer war ein guter Schneider, der taugt jetzt nicht eine Fliege mehr, also hatte sich der Schnitt verwandelt in diesen Landen und in so kurzer Zeit." Das übertrifft selbst die heutigen Zustände, wo die Modeschneider doch immerhin ein paar Jahr- zehnte aushalten. -- Der Ritter de la Tour, den wir bereits kennen, warnt seine Töchter vor der Mode. "Ahmt nicht die Frauen nach, welche, wenn sie ein Kleidungsstück von neuem Schnitt sehen, zu ihrem Manne sagen: O wie schön! Mein Lie- ber, ich bitte dich, laß mich es haben! Wenn der Mann entgeg- net: Meine Theure, die Frauen, welche für verständig gelten, die und die tragen es nicht, -- so antworten sie hartnäckig: Was macht das? wenn Eine es trägt, kann ich es auch wohl haben." Derselbe Ritter erzählt auch von einer Dame, die, aus dem englischen Frankreich mit neuen Moden zurückgekommen, eine andere getadelt habe, daß sie nicht "nach der laufenden Mode" gekleidet sei. Der Gemahl antwortet für sie, daß seine Frau nicht der Mode der Fremden folge, sondern der Mode französischer Damen aus der guten Gesellschaft, nicht aber der englischen. -- Schon konnte die Phantasie des Einzelnen erfinderisch eingreifen, was früher eine völlige Unmöglichkeit gewesen wäre. Der Ritter de la Tour giebt uns darüber eine Erzählung, die wie aus den Tagen Ludwigs XV. und XVI., aus der Zeit der hohen Coiffü- ren, lautet. "Es war im Jahr 1392 beim St. Margarethenfest," Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 13
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. dingten Herrſchaft über alle Claſſen der civiliſirten Menſchheit,die ſich über das bloße Daſein, die einfache Friſtung des Lebens erhoben haben. Wir ſchließen das nicht bloß aus den Zuſtänden ſelbſt, nicht bloß aus der Art der Entſtehung beſtimmter Mode- formen durch perſönliche Laune oder durch Einführung aus der Fremde, ſondern die Zeugniſſe geben beſtimmt an, wie die Mode in dem gedachten Sinn als eine Macht den Zeitgenoſſen ins Be- wußtſein tritt. So konnte die in dieſer Beziehung ſo intereſſante Limburger Chronik ſeit 1350 faſt von Jahr zu Jahr journalmä- ßig den Wechſel der Moden berichten. Die Veränderung geſchah ſchon uns Jahr 1380, wie ſie berichtet, ſo ſchnell und ſo durch- greifend, daß auch die Schneider ſelbſt, wie die Moden wechſel- ten. „Wer heuer war ein guter Schneider, der taugt jetzt nicht eine Fliege mehr, alſo hatte ſich der Schnitt verwandelt in dieſen Landen und in ſo kurzer Zeit.“ Das übertrifft ſelbſt die heutigen Zuſtände, wo die Modeſchneider doch immerhin ein paar Jahr- zehnte aushalten. — Der Ritter de la Tour, den wir bereits kennen, warnt ſeine Töchter vor der Mode. „Ahmt nicht die Frauen nach, welche, wenn ſie ein Kleidungsſtück von neuem Schnitt ſehen, zu ihrem Manne ſagen: O wie ſchön! Mein Lie- ber, ich bitte dich, laß mich es haben! Wenn der Mann entgeg- net: Meine Theure, die Frauen, welche für verſtändig gelten, die und die tragen es nicht, — ſo antworten ſie hartnäckig: Was macht das? wenn Eine es trägt, kann ich es auch wohl haben.“ Derſelbe Ritter erzählt auch von einer Dame, die, aus dem engliſchen Frankreich mit neuen Moden zurückgekommen, eine andere getadelt habe, daß ſie nicht „nach der laufenden Mode“ gekleidet ſei. Der Gemahl antwortet für ſie, daß ſeine Frau nicht der Mode der Fremden folge, ſondern der Mode franzöſiſcher Damen aus der guten Geſellſchaft, nicht aber der engliſchen. — Schon konnte die Phantaſie des Einzelnen erfinderiſch eingreifen, was früher eine völlige Unmöglichkeit geweſen wäre. Der Ritter de la Tour giebt uns darüber eine Erzählung, die wie aus den Tagen Ludwigs XV. und XVI., aus der Zeit der hohen Coiffü- ren, lautet. „Es war im Jahr 1392 beim St. Margarethenfeſt,“ Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 13
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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
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die ſich über das bloße Daſein, die einfache Friſtung des Lebens
erhoben haben. Wir ſchließen das nicht bloß aus den Zuſtänden
ſelbſt, nicht bloß aus der Art der Entſtehung beſtimmter Mode-
formen durch perſönliche Laune oder durch Einführung aus der
Fremde, ſondern die Zeugniſſe geben beſtimmt an, wie die Mode
in dem gedachten Sinn als eine Macht den Zeitgenoſſen ins Be-
wußtſein tritt. So konnte die in dieſer Beziehung ſo intereſſante
Limburger Chronik ſeit 1350 faſt von Jahr zu Jahr journalmä-
ßig den Wechſel der Moden berichten. Die Veränderung geſchah
ſchon uns Jahr 1380, wie ſie berichtet, ſo ſchnell und ſo durch-
greifend, daß auch die Schneider ſelbſt, wie die Moden wechſel-
ten. „Wer heuer war ein guter Schneider, der taugt jetzt nicht
eine Fliege mehr, alſo hatte ſich der Schnitt verwandelt in dieſen
Landen und in ſo kurzer Zeit.“ Das übertrifft ſelbſt die heutigen
Zuſtände, wo die Modeſchneider doch immerhin ein paar Jahr-
zehnte aushalten. — Der Ritter de la Tour, den wir bereits
kennen, warnt ſeine Töchter vor der Mode. „Ahmt nicht die
Frauen nach, welche, wenn ſie ein Kleidungsſtück von neuem
Schnitt ſehen, zu ihrem Manne ſagen: O wie ſchön! Mein Lie-
ber, ich bitte dich, laß mich es haben! Wenn der Mann entgeg-
net: Meine Theure, die Frauen, welche für verſtändig gelten,
die und die tragen es nicht, — ſo antworten ſie hartnäckig:
Was macht das? wenn Eine es trägt, kann ich es auch wohl
haben.“ Derſelbe Ritter erzählt auch von einer Dame, die, aus
dem engliſchen Frankreich mit neuen Moden zurückgekommen,
eine andere getadelt habe, daß ſie nicht „nach der laufenden Mode“
gekleidet ſei. Der Gemahl antwortet für ſie, daß ſeine Frau nicht
der Mode der Fremden folge, ſondern der Mode franzöſiſcher
Damen aus der guten Geſellſchaft, nicht aber der engliſchen. —
Schon konnte die Phantaſie des Einzelnen erfinderiſch eingreifen,
was früher eine völlige Unmöglichkeit geweſen wäre. Der Ritter
de la Tour giebt uns darüber eine Erzählung, die wie aus den
Tagen Ludwigs XV. und XVI., aus der Zeit der hohen Coiffü-
ren, lautet. „Es war im Jahr 1392 beim St. Margarethenfeſt,“
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 13
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