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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
Hildesheim, Hannover, Lüneburg u. s. w., wenn auch der eine
Rath mit mehr, der andere mit weniger Strenge seine Bestim-
mungen aufrecht zu erhalten suchte. In der ersteren Beziehung
zeichneten sich die von Nürnberg und Augsburg aus. Gegen den
letzteren versuchte es einst ein Krämer, der mit Seide, Damast
und gewässerten Tüchern handelte, sich aufzulehnen und klagte
ohne Unterlaß über die scharfe Kleiderordnung (1441) und "warf
böse Karten aus." Da ließ ihn der Rath einen ganzen Monat
gefangen setzen, und strafte ihn um eine namhafte Summe Gelds
zum Besten der Armen, und zur Erbauung der Stadtmauern
mußte er 5000 Ziegelsteine und 20 Faß ungelöschten Kalk liefern.

Aber alle diese Bestimmungen sind in Deutschland verein-
zelt und nur auf ein mehr oder weniger kleines Gebiet beschränkt.
Seltner sind damals noch fürstliche Verordnungen, von denen
wir einer gedenken wollen, welche der Kurfürst Ernst und der
Herzog Albert zu Sachsen im Jahr 1482 erließen. Danach soll
keine Frau oder Jungfrau vom Ritterstande ein Kleid tragen,
das über zwei Ellen auf der Erde nachgeht. Keine soll mehr als
einen seidenen und zwei gestickte Röcke besitzen, auch nur eine sei-
dene Schaube, und kein Kleid soll über anderthalbhundert Gul-
den werth sein -- das dürfte nach heutigem Werthe bis gegen
1000 Gulden sein. Diese außerordentlich weite Bestimmung, die
doch eine Beschränkung ist, zeigt, bis zu welcher Höhe der Luxus
damals angewachsen war.

Erst gegen das Ende des Jahrhunderts regt sich ein gemein-
samer Geist. Es war der Adel, der freiwillig, an sich und sein
Heil denkend, sich zu gemeinsamem Entgegenwirken verband.
Der Luxus und Aufwand an Putz und Kleidern hatte namentlich
bei Turnieren als den höchsten festlichen Gelegenheiten in der
Art überhand genommen, daß ein großer Theil des Adels sich
ganz von ihnen fern hielt, ein anderer bereits in seinen Vermö-
gensumständen sich zerrüttet hatte. Schlösser und Güter wurden
verpfändet, um mit der nöthigen Pracht erscheinen zu können.
Ohnehin schon war es keinem zweifelhaft, daß gegenüber dem
Emporblühen des Bürgerstandes der Adel im raschen Sinken be-

II. Das Mittelalter.
Hildesheim, Hannover, Lüneburg u. ſ. w., wenn auch der eine
Rath mit mehr, der andere mit weniger Strenge ſeine Beſtim-
mungen aufrecht zu erhalten ſuchte. In der erſteren Beziehung
zeichneten ſich die von Nürnberg und Augsburg aus. Gegen den
letzteren verſuchte es einſt ein Krämer, der mit Seide, Damaſt
und gewäſſerten Tüchern handelte, ſich aufzulehnen und klagte
ohne Unterlaß über die ſcharfe Kleiderordnung (1441) und „warf
böſe Karten aus.“ Da ließ ihn der Rath einen ganzen Monat
gefangen ſetzen, und ſtrafte ihn um eine namhafte Summe Gelds
zum Beſten der Armen, und zur Erbauung der Stadtmauern
mußte er 5000 Ziegelſteine und 20 Faß ungelöſchten Kalk liefern.

Aber alle dieſe Beſtimmungen ſind in Deutſchland verein-
zelt und nur auf ein mehr oder weniger kleines Gebiet beſchränkt.
Seltner ſind damals noch fürſtliche Verordnungen, von denen
wir einer gedenken wollen, welche der Kurfürſt Ernſt und der
Herzog Albert zu Sachſen im Jahr 1482 erließen. Danach ſoll
keine Frau oder Jungfrau vom Ritterſtande ein Kleid tragen,
das über zwei Ellen auf der Erde nachgeht. Keine ſoll mehr als
einen ſeidenen und zwei geſtickte Röcke beſitzen, auch nur eine ſei-
dene Schaube, und kein Kleid ſoll über anderthalbhundert Gul-
den werth ſein — das dürfte nach heutigem Werthe bis gegen
1000 Gulden ſein. Dieſe außerordentlich weite Beſtimmung, die
doch eine Beſchränkung iſt, zeigt, bis zu welcher Höhe der Luxus
damals angewachſen war.

Erſt gegen das Ende des Jahrhunderts regt ſich ein gemein-
ſamer Geiſt. Es war der Adel, der freiwillig, an ſich und ſein
Heil denkend, ſich zu gemeinſamem Entgegenwirken verband.
Der Luxus und Aufwand an Putz und Kleidern hatte namentlich
bei Turnieren als den höchſten feſtlichen Gelegenheiten in der
Art überhand genommen, daß ein großer Theil des Adels ſich
ganz von ihnen fern hielt, ein anderer bereits in ſeinen Vermö-
gensumſtänden ſich zerrüttet hatte. Schlöſſer und Güter wurden
verpfändet, um mit der nöthigen Pracht erſcheinen zu können.
Ohnehin ſchon war es keinem zweifelhaft, daß gegenüber dem
Emporblühen des Bürgerſtandes der Adel im raſchen Sinken be-

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[188/0206] II. Das Mittelalter. Hildesheim, Hannover, Lüneburg u. ſ. w., wenn auch der eine Rath mit mehr, der andere mit weniger Strenge ſeine Beſtim- mungen aufrecht zu erhalten ſuchte. In der erſteren Beziehung zeichneten ſich die von Nürnberg und Augsburg aus. Gegen den letzteren verſuchte es einſt ein Krämer, der mit Seide, Damaſt und gewäſſerten Tüchern handelte, ſich aufzulehnen und klagte ohne Unterlaß über die ſcharfe Kleiderordnung (1441) und „warf böſe Karten aus.“ Da ließ ihn der Rath einen ganzen Monat gefangen ſetzen, und ſtrafte ihn um eine namhafte Summe Gelds zum Beſten der Armen, und zur Erbauung der Stadtmauern mußte er 5000 Ziegelſteine und 20 Faß ungelöſchten Kalk liefern. Aber alle dieſe Beſtimmungen ſind in Deutſchland verein- zelt und nur auf ein mehr oder weniger kleines Gebiet beſchränkt. Seltner ſind damals noch fürſtliche Verordnungen, von denen wir einer gedenken wollen, welche der Kurfürſt Ernſt und der Herzog Albert zu Sachſen im Jahr 1482 erließen. Danach ſoll keine Frau oder Jungfrau vom Ritterſtande ein Kleid tragen, das über zwei Ellen auf der Erde nachgeht. Keine ſoll mehr als einen ſeidenen und zwei geſtickte Röcke beſitzen, auch nur eine ſei- dene Schaube, und kein Kleid ſoll über anderthalbhundert Gul- den werth ſein — das dürfte nach heutigem Werthe bis gegen 1000 Gulden ſein. Dieſe außerordentlich weite Beſtimmung, die doch eine Beſchränkung iſt, zeigt, bis zu welcher Höhe der Luxus damals angewachſen war. Erſt gegen das Ende des Jahrhunderts regt ſich ein gemein- ſamer Geiſt. Es war der Adel, der freiwillig, an ſich und ſein Heil denkend, ſich zu gemeinſamem Entgegenwirken verband. Der Luxus und Aufwand an Putz und Kleidern hatte namentlich bei Turnieren als den höchſten feſtlichen Gelegenheiten in der Art überhand genommen, daß ein großer Theil des Adels ſich ganz von ihnen fern hielt, ein anderer bereits in ſeinen Vermö- gensumſtänden ſich zerrüttet hatte. Schlöſſer und Güter wurden verpfändet, um mit der nöthigen Pracht erſcheinen zu können. Ohnehin ſchon war es keinem zweifelhaft, daß gegenüber dem Emporblühen des Bürgerſtandes der Adel im raſchen Sinken be-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/206>, abgerufen am 27.04.2024.