Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Das Mittelalter.
dieser Sitte gemäß bot er nun, als Dame, den Kuß einer neben
ihm sitzenden schönen Gräfin. Aber es war wider die Sitte,
daß er es mit verbundenem Gesichte that. Die Gräfin verlangt
daher, wofern sie das Pace von ihm nehmen solle, daß er zuvor
die Rise vom Gesicht fortziehe. Er that es. Die Schöne erkannte
ihn lachend als einen Mann, doch erfüllte sie sein Begehren, "um
aller guten Weiber willen, weil er Frauenkleider angelegt habe."

Weil Ulrich von Liechtenstein das volle aufgelösete Haar der
Frauen an seinem Haupte nur schwer hätte herstellen können, so
wählte er eine im Vergleich zu dieser weit seltnere Tracht, die
Zöpfe. In solcher Länge ließ er sie machen, daß sie herab bis
auf den Sattel reichten, wenn er zu Pferde saß, und umflocht sie
netzartig mit Perlschnüren. Die Zöpfe in dieser Gestalt, mit
Perlen oder farbigen und goldenen Schnüren umwunden, sind
in jener Zeit in Deutschland auf bildlichen Quellen eine seltne
Erscheinung. Auf den Bildern der Herrad von Landsberg trägt
sie die schon mehrfach erwähnte Dirne, mit Bänden umflochten,
und weit über den Rücken herabfallend. Die Bilder der Lieder-
handschriften geben kein Beispiel mehr. Häufiger ist ihre Erwäh-
nung in den epischen Gedichten, welche ihren Stoff aus Frank-
reich geholt haben, und namentlich im Wigalois, wo sie, mit
Gold und Seide bewunden, als gewöhnliche Tracht angenommen
zu sein scheinen. Auch Wolfram kennt sie im Parzival, aber nur
an jenem Ungeheuer, der oben geschilderten Kondrie:

"Ueber den Hut ihr Zopf sich schwang
Bis auf das Maulthier; er war lang,
Schwarz und fest, nicht allzuklar,
Lind wie der Schweine Rückenhaar."

Oefter sind auch die langen Locken selbst im uneigentlichen Sinne
Zöpfe genannt, was um so eher geschehen konnte, als sich die
Spitzen der wallenden Haarmassen zuweilen von kleinen Perl-
schnüren umschlungen finden.

Hüte für Frauen werden von den Dichtern mehrfach er-
wähnt. So wird häufiger ein Pfauenhut mit seidener Schnur
genannt. Auch die Jungfrau Kondrie trägt einen solchen aus

II. Das Mittelalter.
dieſer Sitte gemäß bot er nun, als Dame, den Kuß einer neben
ihm ſitzenden ſchönen Gräfin. Aber es war wider die Sitte,
daß er es mit verbundenem Geſichte that. Die Gräfin verlangt
daher, wofern ſie das Pace von ihm nehmen ſolle, daß er zuvor
die Riſe vom Geſicht fortziehe. Er that es. Die Schöne erkannte
ihn lachend als einen Mann, doch erfüllte ſie ſein Begehren, „um
aller guten Weiber willen, weil er Frauenkleider angelegt habe.“

Weil Ulrich von Liechtenſtein das volle aufgelöſete Haar der
Frauen an ſeinem Haupte nur ſchwer hätte herſtellen können, ſo
wählte er eine im Vergleich zu dieſer weit ſeltnere Tracht, die
Zöpfe. In ſolcher Länge ließ er ſie machen, daß ſie herab bis
auf den Sattel reichten, wenn er zu Pferde ſaß, und umflocht ſie
netzartig mit Perlſchnüren. Die Zöpfe in dieſer Geſtalt, mit
Perlen oder farbigen und goldenen Schnüren umwunden, ſind
in jener Zeit in Deutſchland auf bildlichen Quellen eine ſeltne
Erſcheinung. Auf den Bildern der Herrad von Landsberg trägt
ſie die ſchon mehrfach erwähnte Dirne, mit Bänden umflochten,
und weit über den Rücken herabfallend. Die Bilder der Lieder-
handſchriften geben kein Beiſpiel mehr. Häufiger iſt ihre Erwäh-
nung in den epiſchen Gedichten, welche ihren Stoff aus Frank-
reich geholt haben, und namentlich im Wigalois, wo ſie, mit
Gold und Seide bewunden, als gewöhnliche Tracht angenommen
zu ſein ſcheinen. Auch Wolfram kennt ſie im Parzival, aber nur
an jenem Ungeheuer, der oben geſchilderten Kondrie:

„Ueber den Hut ihr Zopf ſich ſchwang
Bis auf das Maulthier; er war lang,
Schwarz und feſt, nicht allzuklar,
Lind wie der Schweine Rückenhaar.“

Oefter ſind auch die langen Locken ſelbſt im uneigentlichen Sinne
Zöpfe genannt, was um ſo eher geſchehen konnte, als ſich die
Spitzen der wallenden Haarmaſſen zuweilen von kleinen Perl-
ſchnüren umſchlungen finden.

Hüte für Frauen werden von den Dichtern mehrfach er-
wähnt. So wird häufiger ein Pfauenhut mit ſeidener Schnur
genannt. Auch die Jungfrau Kondrie trägt einen ſolchen aus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0140" n="122"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/>
die&#x017F;er Sitte gemäß bot er nun, als Dame, den Kuß einer neben<lb/>
ihm &#x017F;itzenden &#x017F;chönen Gräfin. Aber es war <hi rendition="#g">wider</hi> die Sitte,<lb/>
daß er es mit verbundenem Ge&#x017F;ichte that. Die Gräfin verlangt<lb/>
daher, wofern &#x017F;ie das Pace von ihm nehmen &#x017F;olle, daß er zuvor<lb/>
die Ri&#x017F;e vom Ge&#x017F;icht fortziehe. Er that es. Die Schöne erkannte<lb/>
ihn lachend als einen Mann, doch erfüllte &#x017F;ie &#x017F;ein Begehren, &#x201E;um<lb/>
aller guten Weiber willen, weil er Frauenkleider angelegt habe.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Weil Ulrich von Liechten&#x017F;tein das volle aufgelö&#x017F;ete Haar der<lb/>
Frauen an &#x017F;einem Haupte nur &#x017F;chwer hätte her&#x017F;tellen können, &#x017F;o<lb/>
wählte er eine im Vergleich zu die&#x017F;er weit &#x017F;eltnere Tracht, die<lb/><hi rendition="#g">Zöpfe</hi>. In &#x017F;olcher Länge ließ er &#x017F;ie machen, daß &#x017F;ie herab bis<lb/>
auf den Sattel reichten, wenn er zu Pferde &#x017F;aß, und umflocht &#x017F;ie<lb/>
netzartig mit Perl&#x017F;chnüren. Die Zöpfe in die&#x017F;er Ge&#x017F;talt, mit<lb/>
Perlen oder farbigen und goldenen Schnüren umwunden, &#x017F;ind<lb/>
in jener Zeit in Deut&#x017F;chland auf bildlichen Quellen eine &#x017F;eltne<lb/>
Er&#x017F;cheinung. Auf den Bildern der Herrad von Landsberg trägt<lb/>
&#x017F;ie die &#x017F;chon mehrfach erwähnte Dirne, mit Bänden umflochten,<lb/>
und weit über den Rücken herabfallend. Die Bilder der Lieder-<lb/>
hand&#x017F;chriften geben kein Bei&#x017F;piel mehr. Häufiger i&#x017F;t ihre Erwäh-<lb/>
nung in den epi&#x017F;chen Gedichten, welche ihren Stoff aus Frank-<lb/>
reich geholt haben, und namentlich im Wigalois, wo &#x017F;ie, mit<lb/>
Gold und Seide bewunden, als gewöhnliche Tracht angenommen<lb/>
zu &#x017F;ein &#x017F;cheinen. Auch Wolfram kennt &#x017F;ie im Parzival, aber nur<lb/>
an jenem Ungeheuer, der oben ge&#x017F;childerten Kondrie:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>&#x201E;Ueber den Hut ihr Zopf &#x017F;ich &#x017F;chwang</l><lb/>
              <l>Bis auf das Maulthier; er war lang,</l><lb/>
              <l>Schwarz und fe&#x017F;t, nicht allzuklar,</l><lb/>
              <l>Lind wie der Schweine Rückenhaar.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <p>Oefter &#x017F;ind auch die langen Locken &#x017F;elb&#x017F;t im uneigentlichen Sinne<lb/>
Zöpfe genannt, was um &#x017F;o eher ge&#x017F;chehen konnte, als &#x017F;ich die<lb/>
Spitzen der wallenden Haarma&#x017F;&#x017F;en zuweilen von kleinen Perl-<lb/>
&#x017F;chnüren um&#x017F;chlungen finden.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Hüte</hi> für Frauen werden von den Dichtern mehrfach er-<lb/>
wähnt. So wird häufiger ein Pfauenhut mit &#x017F;eidener Schnur<lb/>
genannt. Auch die Jungfrau Kondrie trägt einen &#x017F;olchen aus<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0140] II. Das Mittelalter. dieſer Sitte gemäß bot er nun, als Dame, den Kuß einer neben ihm ſitzenden ſchönen Gräfin. Aber es war wider die Sitte, daß er es mit verbundenem Geſichte that. Die Gräfin verlangt daher, wofern ſie das Pace von ihm nehmen ſolle, daß er zuvor die Riſe vom Geſicht fortziehe. Er that es. Die Schöne erkannte ihn lachend als einen Mann, doch erfüllte ſie ſein Begehren, „um aller guten Weiber willen, weil er Frauenkleider angelegt habe.“ Weil Ulrich von Liechtenſtein das volle aufgelöſete Haar der Frauen an ſeinem Haupte nur ſchwer hätte herſtellen können, ſo wählte er eine im Vergleich zu dieſer weit ſeltnere Tracht, die Zöpfe. In ſolcher Länge ließ er ſie machen, daß ſie herab bis auf den Sattel reichten, wenn er zu Pferde ſaß, und umflocht ſie netzartig mit Perlſchnüren. Die Zöpfe in dieſer Geſtalt, mit Perlen oder farbigen und goldenen Schnüren umwunden, ſind in jener Zeit in Deutſchland auf bildlichen Quellen eine ſeltne Erſcheinung. Auf den Bildern der Herrad von Landsberg trägt ſie die ſchon mehrfach erwähnte Dirne, mit Bänden umflochten, und weit über den Rücken herabfallend. Die Bilder der Lieder- handſchriften geben kein Beiſpiel mehr. Häufiger iſt ihre Erwäh- nung in den epiſchen Gedichten, welche ihren Stoff aus Frank- reich geholt haben, und namentlich im Wigalois, wo ſie, mit Gold und Seide bewunden, als gewöhnliche Tracht angenommen zu ſein ſcheinen. Auch Wolfram kennt ſie im Parzival, aber nur an jenem Ungeheuer, der oben geſchilderten Kondrie: „Ueber den Hut ihr Zopf ſich ſchwang Bis auf das Maulthier; er war lang, Schwarz und feſt, nicht allzuklar, Lind wie der Schweine Rückenhaar.“ Oefter ſind auch die langen Locken ſelbſt im uneigentlichen Sinne Zöpfe genannt, was um ſo eher geſchehen konnte, als ſich die Spitzen der wallenden Haarmaſſen zuweilen von kleinen Perl- ſchnüren umſchlungen finden. Hüte für Frauen werden von den Dichtern mehrfach er- wähnt. So wird häufiger ein Pfauenhut mit ſeidener Schnur genannt. Auch die Jungfrau Kondrie trägt einen ſolchen aus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/140
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/140>, abgerufen am 29.03.2024.