1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Isolde über dem glänzenden Gebende eine Krone von feinem ara- bischen Golde mit Edelsteinen. Aehnliches kommt auf Bildern vor *); so trägt z. B. Herodias die Krone auf dem Schleier und dem Gebende mit dem um das Kinn gehenden Streifen, und ähnlich ist ebendaselbst die Himmelskönigin Maria dargestellt, nur wallt bei ihr der Schleier über die Krone hinweg.
Als drittes Stück der Kopftracht behauptet sich der Schleier, bald in leichterer, loser Gestalt frei aufgelegt, bald haubenartig oder, wie bei der Superbia der Herrad von Landsberg, phanta- stisch als Turban verschlungen und mit den Enden herabfallend und vom Winde bewegt; bald liegt er auch als schwererer Stoff über den Kopf und verhüllt ihn theilweise. In dieser letzten Form zeigt er sich auch in der Manessischen Handschrift, doch athmen diese Bilder noch zu viel des heitern Rittergeistes, als daß er hier nonnenhaften Eindruck machen könnte. Er ist nur lose über den Kopf gelegt und fällt faltig und frei auf die Schultern, nicht einmal das reiche, aufgelösete Haar, viel weniger das Gesicht verdeckend. Häufig liegt noch über ihm ein reiches, goldenes Schapel, oder er ist mit buntem Saum verziert.
Schon in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, zu der Zeit, als sich zuerst die Opposition gegen den Frauendienst und die Heiterkeit des höfischen Ritterlebens geltend machte, gesellte sich zu dem haubenartigen Schleier noch die Rise, ein Tuch, welches Kinn und Mund verhüllte. Beide zusammen spielen frei- lich noch im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert als unter- scheidende Tracht verheiratheter Frauen eine bei weitem größere Rolle. Ulrich von Liechtenstein aber, da er sich als Frau Venus verkleidete und somit Ursache hatte, sein männliches Gesicht zu verdecken, trug zum Schleier stets noch die Rise und verhüllte mit beiden sein Gesicht bis auf die Augen. In dieser Gestalt ging er auch in die Messe, wo er sich aber ebendadurch verrieth. Es war Sitte, daß man bei den Worten des Priesters: Pax Domini sit vobiscum, seinem Nachbar einen Kuß, das Pace, gab. Ganz
*) Hefner I, 64.
1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Iſolde über dem glänzenden Gebende eine Krone von feinem ara- biſchen Golde mit Edelſteinen. Aehnliches kommt auf Bildern vor *); ſo trägt z. B. Herodias die Krone auf dem Schleier und dem Gebende mit dem um das Kinn gehenden Streifen, und ähnlich iſt ebendaſelbſt die Himmelskönigin Maria dargeſtellt, nur wallt bei ihr der Schleier über die Krone hinweg.
Als drittes Stück der Kopftracht behauptet ſich der Schleier, bald in leichterer, loſer Geſtalt frei aufgelegt, bald haubenartig oder, wie bei der Superbia der Herrad von Landsberg, phanta- ſtiſch als Turban verſchlungen und mit den Enden herabfallend und vom Winde bewegt; bald liegt er auch als ſchwererer Stoff über den Kopf und verhüllt ihn theilweiſe. In dieſer letzten Form zeigt er ſich auch in der Maneſſiſchen Handſchrift, doch athmen dieſe Bilder noch zu viel des heitern Rittergeiſtes, als daß er hier nonnenhaften Eindruck machen könnte. Er iſt nur loſe über den Kopf gelegt und fällt faltig und frei auf die Schultern, nicht einmal das reiche, aufgelöſete Haar, viel weniger das Geſicht verdeckend. Häufig liegt noch über ihm ein reiches, goldenes Schapel, oder er iſt mit buntem Saum verziert.
Schon in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, zu der Zeit, als ſich zuerſt die Oppoſition gegen den Frauendienſt und die Heiterkeit des höfiſchen Ritterlebens geltend machte, geſellte ſich zu dem haubenartigen Schleier noch die Riſe, ein Tuch, welches Kinn und Mund verhüllte. Beide zuſammen ſpielen frei- lich noch im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert als unter- ſcheidende Tracht verheiratheter Frauen eine bei weitem größere Rolle. Ulrich von Liechtenſtein aber, da er ſich als Frau Venus verkleidete und ſomit Urſache hatte, ſein männliches Geſicht zu verdecken, trug zum Schleier ſtets noch die Riſe und verhüllte mit beiden ſein Geſicht bis auf die Augen. In dieſer Geſtalt ging er auch in die Meſſe, wo er ſich aber ebendadurch verrieth. Es war Sitte, daß man bei den Worten des Prieſters: Pax Domini sit vobiscum, ſeinem Nachbar einen Kuß, das Pace, gab. Ganz
*) Hefner I, 64.
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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Iſolde über dem glänzenden Gebende eine Krone von feinem ara-
biſchen Golde mit Edelſteinen. Aehnliches kommt auf Bildern
vor *); ſo trägt z. B. Herodias die Krone auf dem Schleier und
dem Gebende mit dem um das Kinn gehenden Streifen, und
ähnlich iſt ebendaſelbſt die Himmelskönigin Maria dargeſtellt,
nur wallt bei ihr der Schleier über die Krone hinweg.
Als drittes Stück der Kopftracht behauptet ſich der Schleier,
bald in leichterer, loſer Geſtalt frei aufgelegt, bald haubenartig
oder, wie bei der Superbia der Herrad von Landsberg, phanta-
ſtiſch als Turban verſchlungen und mit den Enden herabfallend
und vom Winde bewegt; bald liegt er auch als ſchwererer Stoff
über den Kopf und verhüllt ihn theilweiſe. In dieſer letzten Form
zeigt er ſich auch in der Maneſſiſchen Handſchrift, doch athmen
dieſe Bilder noch zu viel des heitern Rittergeiſtes, als daß er hier
nonnenhaften Eindruck machen könnte. Er iſt nur loſe über den
Kopf gelegt und fällt faltig und frei auf die Schultern, nicht
einmal das reiche, aufgelöſete Haar, viel weniger das Geſicht
verdeckend. Häufig liegt noch über ihm ein reiches, goldenes
Schapel, oder er iſt mit buntem Saum verziert.
Schon in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, zu der
Zeit, als ſich zuerſt die Oppoſition gegen den Frauendienſt und
die Heiterkeit des höfiſchen Ritterlebens geltend machte, geſellte
ſich zu dem haubenartigen Schleier noch die Riſe, ein Tuch,
welches Kinn und Mund verhüllte. Beide zuſammen ſpielen frei-
lich noch im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert als unter-
ſcheidende Tracht verheiratheter Frauen eine bei weitem größere
Rolle. Ulrich von Liechtenſtein aber, da er ſich als Frau Venus
verkleidete und ſomit Urſache hatte, ſein männliches Geſicht zu
verdecken, trug zum Schleier ſtets noch die Riſe und verhüllte mit
beiden ſein Geſicht bis auf die Augen. In dieſer Geſtalt ging er
auch in die Meſſe, wo er ſich aber ebendadurch verrieth. Es war
Sitte, daß man bei den Worten des Prieſters: Pax Domini sit
vobiscum, ſeinem Nachbar einen Kuß, das Pace, gab. Ganz
*) Hefner I, 64.
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/139>, abgerufen am 08.07.2024.
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