1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
"Was sind alle Wonnen des Mais," so ruft derselbe Dichter aus, "und der Vögelein Sang gegen eine schöne Frau! Wir lassen alle Blumen stehn, und gaffen an das werthe Weib." Und wenn er zwischen beiden wählen sollte,
"Ahi, wie schnell ich dann köre! Herr Mai, ihr müßtet Märze sein, eh ich meine Frau da verlöre."
In diesem Sinne sind auch die allgemeinen Ausdrücke von der Schönheit: wenn die Strahlende, Sonnenweiße, Glänzendar- mige, deren Antlitz leuchtet wie ein Spiegel, erscheint, daß die ganze Halle wiederstrahlt oder der Sonne ihr Schein genommen wird, da schweigen alle, Vogel und Thier, und Berg und Wald neigen sich, und wem sie giebt ihren Gruß, der ist ledig aller schlechten Traurigkeit. --
Die männliche Schönheit wird von den Dichtern der hö- fischen Zeit beständig im Sinne der weiblichen geschildert. Es ist das höchst charakteristisch für die Periode des Frauencultus, wo alles sociale und geistige Leben vom Einfluß der Frau durchdrun- gen und beherrscht ist. Eine männliche Erscheinung von helden- mäßigem Wuchs, von hoher Brust und strotzender Muskelkraft, deren Leidenschaft und Charakter aus den kräftigen, starken, männlich schönen Zügen des Gesichts hervortritt, findet allenfalls noch im Nibelungenlied Anerkennung, in welchem neben der ebenso holden wie starken Sigfriedsgestalt noch ein Hagen für schön gilt. Wohlgewachsen, breit an der Brust, mit langen Bei- nen und herrlichem Gang wird er schönen Leibes genannt, ob- wohl sein Haar schon mit Grau gemischt ist und er schrecklichen Gesichts finster drein schaut und mit geschwinden Blicken seinen grimmen Muth offenbart. Wie anders bei den ritterlichen Epi- kern! Ihnen gilt nur der weibliche Reiz der frischen Jugend. Der junge Tristan mit rosenrothem Munde, mit lichter Haut, klaren Augen und hellbraunen Locken, und der junge Parzival, da er in fast knabenhafter, unbewußter Jugendschöne von seiner Mutter zum ersten Mal in die Welt entlassen wird, sind ihre Ideale. Weiße, blanke, wohlgeformte Hände von adliger Art, glänzende Nägel, Lilien und Rosen auf den vollen Wangen, ein blühender
1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
„Was ſind alle Wonnen des Mais,“ ſo ruft derſelbe Dichter aus, „und der Vögelein Sang gegen eine ſchöne Frau! Wir laſſen alle Blumen ſtehn, und gaffen an das werthe Weib.“ Und wenn er zwiſchen beiden wählen ſollte,
„Ahi, wie ſchnell ich dann köre! Herr Mai, ihr müßtet Märze ſein, eh ich meine Frau da verlöre.“
In dieſem Sinne ſind auch die allgemeinen Ausdrücke von der Schönheit: wenn die Strahlende, Sonnenweiße, Glänzendar- mige, deren Antlitz leuchtet wie ein Spiegel, erſcheint, daß die ganze Halle wiederſtrahlt oder der Sonne ihr Schein genommen wird, da ſchweigen alle, Vogel und Thier, und Berg und Wald neigen ſich, und wem ſie giebt ihren Gruß, der iſt ledig aller ſchlechten Traurigkeit. —
Die männliche Schönheit wird von den Dichtern der hö- fiſchen Zeit beſtändig im Sinne der weiblichen geſchildert. Es iſt das höchſt charakteriſtiſch für die Periode des Frauencultus, wo alles ſociale und geiſtige Leben vom Einfluß der Frau durchdrun- gen und beherrſcht iſt. Eine männliche Erſcheinung von helden- mäßigem Wuchs, von hoher Bruſt und ſtrotzender Muskelkraft, deren Leidenſchaft und Charakter aus den kräftigen, ſtarken, männlich ſchönen Zügen des Geſichts hervortritt, findet allenfalls noch im Nibelungenlied Anerkennung, in welchem neben der ebenſo holden wie ſtarken Sigfriedsgeſtalt noch ein Hagen für ſchön gilt. Wohlgewachſen, breit an der Bruſt, mit langen Bei- nen und herrlichem Gang wird er ſchönen Leibes genannt, ob- wohl ſein Haar ſchon mit Grau gemiſcht iſt und er ſchrecklichen Geſichts finſter drein ſchaut und mit geſchwinden Blicken ſeinen grimmen Muth offenbart. Wie anders bei den ritterlichen Epi- kern! Ihnen gilt nur der weibliche Reiz der friſchen Jugend. Der junge Triſtan mit roſenrothem Munde, mit lichter Haut, klaren Augen und hellbraunen Locken, und der junge Parzival, da er in faſt knabenhafter, unbewußter Jugendſchöne von ſeiner Mutter zum erſten Mal in die Welt entlaſſen wird, ſind ihre Ideale. Weiße, blanke, wohlgeformte Hände von adliger Art, glänzende Nägel, Lilien und Roſen auf den vollen Wangen, ein blühender
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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
„Was ſind alle Wonnen des Mais,“ ſo ruft derſelbe Dichter aus,
„und der Vögelein Sang gegen eine ſchöne Frau! Wir laſſen alle
Blumen ſtehn, und gaffen an das werthe Weib.“ Und wenn er
zwiſchen beiden wählen ſollte,
„Ahi, wie ſchnell ich dann köre!
Herr Mai, ihr müßtet Märze ſein, eh ich meine Frau da verlöre.“
In dieſem Sinne ſind auch die allgemeinen Ausdrücke von der
Schönheit: wenn die Strahlende, Sonnenweiße, Glänzendar-
mige, deren Antlitz leuchtet wie ein Spiegel, erſcheint, daß die
ganze Halle wiederſtrahlt oder der Sonne ihr Schein genommen
wird, da ſchweigen alle, Vogel und Thier, und Berg und Wald
neigen ſich, und wem ſie giebt ihren Gruß, der iſt ledig aller
ſchlechten Traurigkeit. —
Die männliche Schönheit wird von den Dichtern der hö-
fiſchen Zeit beſtändig im Sinne der weiblichen geſchildert. Es iſt
das höchſt charakteriſtiſch für die Periode des Frauencultus, wo
alles ſociale und geiſtige Leben vom Einfluß der Frau durchdrun-
gen und beherrſcht iſt. Eine männliche Erſcheinung von helden-
mäßigem Wuchs, von hoher Bruſt und ſtrotzender Muskelkraft,
deren Leidenſchaft und Charakter aus den kräftigen, ſtarken,
männlich ſchönen Zügen des Geſichts hervortritt, findet allenfalls
noch im Nibelungenlied Anerkennung, in welchem neben der
ebenſo holden wie ſtarken Sigfriedsgeſtalt noch ein Hagen für
ſchön gilt. Wohlgewachſen, breit an der Bruſt, mit langen Bei-
nen und herrlichem Gang wird er ſchönen Leibes genannt, ob-
wohl ſein Haar ſchon mit Grau gemiſcht iſt und er ſchrecklichen
Geſichts finſter drein ſchaut und mit geſchwinden Blicken ſeinen
grimmen Muth offenbart. Wie anders bei den ritterlichen Epi-
kern! Ihnen gilt nur der weibliche Reiz der friſchen Jugend. Der
junge Triſtan mit roſenrothem Munde, mit lichter Haut, klaren
Augen und hellbraunen Locken, und der junge Parzival, da er in
faſt knabenhafter, unbewußter Jugendſchöne von ſeiner Mutter
zum erſten Mal in die Welt entlaſſen wird, ſind ihre Ideale.
Weiße, blanke, wohlgeformte Hände von adliger Art, glänzende
Nägel, Lilien und Roſen auf den vollen Wangen, ein blühender
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/111>, abgerufen am 08.07.2024.
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