Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. "Was sind alle Wonnen des Mais," so ruft derselbe Dichter aus, "Ahi, wie schnell ich dann köre! Herr Mai, ihr müßtet Märze sein, eh ich meine Frau da verlöre." In diesem Sinne sind auch die allgemeinen Ausdrücke von der Die männliche Schönheit wird von den Dichtern der hö- 1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. „Was ſind alle Wonnen des Mais,“ ſo ruft derſelbe Dichter aus, „Ahi, wie ſchnell ich dann köre! Herr Mai, ihr müßtet Märze ſein, eh ich meine Frau da verlöre.“ In dieſem Sinne ſind auch die allgemeinen Ausdrücke von der Die männliche Schönheit wird von den Dichtern der hö- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0111" n="93"/> <fw place="top" type="header">1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.</fw><lb/> <p>„Was ſind alle Wonnen des Mais,“ ſo ruft derſelbe Dichter aus,<lb/> „und der Vögelein Sang gegen eine ſchöne Frau! Wir laſſen alle<lb/> Blumen ſtehn, und gaffen an das werthe Weib.“ Und wenn er<lb/> zwiſchen beiden wählen ſollte,</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Ahi, wie ſchnell ich dann köre!</l><lb/> <l>Herr Mai, ihr müßtet Märze ſein, eh ich meine Frau da verlöre.“</l> </lg><lb/> <p>In dieſem Sinne ſind auch die allgemeinen Ausdrücke von der<lb/> Schönheit: wenn die Strahlende, Sonnenweiße, Glänzendar-<lb/> mige, deren Antlitz leuchtet wie ein Spiegel, erſcheint, daß die<lb/> ganze Halle wiederſtrahlt oder der Sonne ihr Schein genommen<lb/> wird, da ſchweigen alle, Vogel und Thier, und Berg und Wald<lb/> neigen ſich, und wem ſie giebt ihren Gruß, der iſt ledig aller<lb/> ſchlechten Traurigkeit. —</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">männliche</hi> Schönheit wird von den Dichtern der hö-<lb/> fiſchen Zeit beſtändig im Sinne der weiblichen geſchildert. Es iſt<lb/> das höchſt charakteriſtiſch für die Periode des Frauencultus, wo<lb/> alles ſociale und geiſtige Leben vom Einfluß der Frau durchdrun-<lb/> gen und beherrſcht iſt. Eine männliche Erſcheinung von helden-<lb/> mäßigem Wuchs, von hoher Bruſt und ſtrotzender Muskelkraft,<lb/> deren Leidenſchaft und Charakter aus den kräftigen, ſtarken,<lb/> männlich ſchönen Zügen des Geſichts hervortritt, findet allenfalls<lb/> noch im Nibelungenlied Anerkennung, in welchem neben der<lb/> ebenſo holden wie ſtarken Sigfriedsgeſtalt noch ein Hagen für<lb/> ſchön gilt. Wohlgewachſen, breit an der Bruſt, mit langen Bei-<lb/> nen und herrlichem Gang wird er ſchönen Leibes genannt, ob-<lb/> wohl ſein Haar ſchon mit Grau gemiſcht iſt und er ſchrecklichen<lb/> Geſichts finſter drein ſchaut und mit geſchwinden Blicken ſeinen<lb/> grimmen Muth offenbart. Wie anders bei den ritterlichen Epi-<lb/> kern! Ihnen gilt nur der weibliche Reiz der friſchen Jugend. Der<lb/> junge Triſtan mit roſenrothem Munde, mit lichter Haut, klaren<lb/> Augen und hellbraunen Locken, und der junge Parzival, da er in<lb/> faſt knabenhafter, unbewußter Jugendſchöne von ſeiner Mutter<lb/> zum erſten Mal in die Welt entlaſſen wird, ſind ihre Ideale.<lb/> Weiße, blanke, wohlgeformte Hände von adliger Art, glänzende<lb/> Nägel, Lilien und Roſen auf den vollen Wangen, ein blühender<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0111]
1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
„Was ſind alle Wonnen des Mais,“ ſo ruft derſelbe Dichter aus,
„und der Vögelein Sang gegen eine ſchöne Frau! Wir laſſen alle
Blumen ſtehn, und gaffen an das werthe Weib.“ Und wenn er
zwiſchen beiden wählen ſollte,
„Ahi, wie ſchnell ich dann köre!
Herr Mai, ihr müßtet Märze ſein, eh ich meine Frau da verlöre.“
In dieſem Sinne ſind auch die allgemeinen Ausdrücke von der
Schönheit: wenn die Strahlende, Sonnenweiße, Glänzendar-
mige, deren Antlitz leuchtet wie ein Spiegel, erſcheint, daß die
ganze Halle wiederſtrahlt oder der Sonne ihr Schein genommen
wird, da ſchweigen alle, Vogel und Thier, und Berg und Wald
neigen ſich, und wem ſie giebt ihren Gruß, der iſt ledig aller
ſchlechten Traurigkeit. —
Die männliche Schönheit wird von den Dichtern der hö-
fiſchen Zeit beſtändig im Sinne der weiblichen geſchildert. Es iſt
das höchſt charakteriſtiſch für die Periode des Frauencultus, wo
alles ſociale und geiſtige Leben vom Einfluß der Frau durchdrun-
gen und beherrſcht iſt. Eine männliche Erſcheinung von helden-
mäßigem Wuchs, von hoher Bruſt und ſtrotzender Muskelkraft,
deren Leidenſchaft und Charakter aus den kräftigen, ſtarken,
männlich ſchönen Zügen des Geſichts hervortritt, findet allenfalls
noch im Nibelungenlied Anerkennung, in welchem neben der
ebenſo holden wie ſtarken Sigfriedsgeſtalt noch ein Hagen für
ſchön gilt. Wohlgewachſen, breit an der Bruſt, mit langen Bei-
nen und herrlichem Gang wird er ſchönen Leibes genannt, ob-
wohl ſein Haar ſchon mit Grau gemiſcht iſt und er ſchrecklichen
Geſichts finſter drein ſchaut und mit geſchwinden Blicken ſeinen
grimmen Muth offenbart. Wie anders bei den ritterlichen Epi-
kern! Ihnen gilt nur der weibliche Reiz der friſchen Jugend. Der
junge Triſtan mit roſenrothem Munde, mit lichter Haut, klaren
Augen und hellbraunen Locken, und der junge Parzival, da er in
faſt knabenhafter, unbewußter Jugendſchöne von ſeiner Mutter
zum erſten Mal in die Welt entlaſſen wird, ſind ihre Ideale.
Weiße, blanke, wohlgeformte Hände von adliger Art, glänzende
Nägel, Lilien und Roſen auf den vollen Wangen, ein blühender
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