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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
roth wie keine Blume im Kranz -- so sind die gewöhnlichen Be-
zeichnungen des Mundes. Süßer Athem sollte aus ihm hervor-
gehen. Die Reihe der lichten Zähne schildert Wolfram von
Eschenbach bei Jeschute, der schönen Gemahlin des Herzogs Ori-
lus de Lalander, als "schneeweiß, zusammen dicht gefügt und
klein"; sonst werden sie noch eben und gesund genannt und mit
dem Elfenbein verglichen. Als Eigenschaften der Ohren gelten
Kleinheit, Weiße und ovale Rundung. Die Brauen und die
Wimpern sollen braun sein, um sich durch den Gegensatz zu der
lichten Farbe des Gesichts und dem blonden Haare bemerklich zu
machen. Es bekundet das ein feines Gefühl für den geistigen
Ausdruck der Schönheit, denn wenn die Brauen hell gegen Stirn,
Wangen und Haare abstechen, so erscheint das Gesicht todt oder
büßt wenigstens an lebendigem Ausdruck ein. Die Linie der
Brauen, fein, "wie mit dem Pinsel gestrichen", steht Anfangs
ziemlich grade über dem Auge, dann verliert sie sich nach den
Schläfen zu in einem sanften, leisen Bogen. Auf den Malereien
ist die Linie häufig ein reiner Bogen.

Die Augen sollen weit gestellt sein. Die blaue Farbe hat
in dieser Zeit ihren Werth verloren; man liebt sie braun, aber
hell und klar,

"Zwei Augen, braun nach Falkenart,
Darin das Weiße sich nicht spart."

Wenn die Augen der Frauen mit denen ihres Lieblingsvogels,
des Falken, oder mit denen des Adlers verglichen werden, so soll
damit außer der Größe und der hellen Farbe, die zu verschiedenen
Zeiten wie bei verschiedener Seelenstimmung des Menschen an-
dern Charakter anzunehmen vermag, auch das Seelische, fast
Träumerische des Blickes angedeutet werden, der aus der Tiefe
kommt und in die Tiefe dringet, hinter welchem man eine ganze
Welt von Gedanken und Gefühlen zu ahnen glaubt. Die Augen
sollen leuchten wie der Sterne Schein; ihre freundlichen, lachen-
den Blicke machen alles Leid vergessen. In den Zeichnungen
sind die Augen meistens lang gezogen, wie lang geschlitzt, und
die Lieder ein wenig gesenkt -- was in der altvenetianischen

1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
roth wie keine Blume im Kranz — ſo ſind die gewöhnlichen Be-
zeichnungen des Mundes. Süßer Athem ſollte aus ihm hervor-
gehen. Die Reihe der lichten Zähne ſchildert Wolfram von
Eſchenbach bei Jeſchute, der ſchönen Gemahlin des Herzogs Ori-
lus de Lalander, als „ſchneeweiß, zuſammen dicht gefügt und
klein“; ſonſt werden ſie noch eben und geſund genannt und mit
dem Elfenbein verglichen. Als Eigenſchaften der Ohren gelten
Kleinheit, Weiße und ovale Rundung. Die Brauen und die
Wimpern ſollen braun ſein, um ſich durch den Gegenſatz zu der
lichten Farbe des Geſichts und dem blonden Haare bemerklich zu
machen. Es bekundet das ein feines Gefühl für den geiſtigen
Ausdruck der Schönheit, denn wenn die Brauen hell gegen Stirn,
Wangen und Haare abſtechen, ſo erſcheint das Geſicht todt oder
büßt wenigſtens an lebendigem Ausdruck ein. Die Linie der
Brauen, fein, „wie mit dem Pinſel geſtrichen“, ſteht Anfangs
ziemlich grade über dem Auge, dann verliert ſie ſich nach den
Schläfen zu in einem ſanften, leiſen Bogen. Auf den Malereien
iſt die Linie häufig ein reiner Bogen.

Die Augen ſollen weit geſtellt ſein. Die blaue Farbe hat
in dieſer Zeit ihren Werth verloren; man liebt ſie braun, aber
hell und klar,

„Zwei Augen, braun nach Falkenart,
Darin das Weiße ſich nicht ſpart.“

Wenn die Augen der Frauen mit denen ihres Lieblingsvogels,
des Falken, oder mit denen des Adlers verglichen werden, ſo ſoll
damit außer der Größe und der hellen Farbe, die zu verſchiedenen
Zeiten wie bei verſchiedener Seelenſtimmung des Menſchen an-
dern Charakter anzunehmen vermag, auch das Seeliſche, faſt
Träumeriſche des Blickes angedeutet werden, der aus der Tiefe
kommt und in die Tiefe dringet, hinter welchem man eine ganze
Welt von Gedanken und Gefühlen zu ahnen glaubt. Die Augen
ſollen leuchten wie der Sterne Schein; ihre freundlichen, lachen-
den Blicke machen alles Leid vergeſſen. In den Zeichnungen
ſind die Augen meiſtens lang gezogen, wie lang geſchlitzt, und
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[89/0107] 1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. roth wie keine Blume im Kranz — ſo ſind die gewöhnlichen Be- zeichnungen des Mundes. Süßer Athem ſollte aus ihm hervor- gehen. Die Reihe der lichten Zähne ſchildert Wolfram von Eſchenbach bei Jeſchute, der ſchönen Gemahlin des Herzogs Ori- lus de Lalander, als „ſchneeweiß, zuſammen dicht gefügt und klein“; ſonſt werden ſie noch eben und geſund genannt und mit dem Elfenbein verglichen. Als Eigenſchaften der Ohren gelten Kleinheit, Weiße und ovale Rundung. Die Brauen und die Wimpern ſollen braun ſein, um ſich durch den Gegenſatz zu der lichten Farbe des Geſichts und dem blonden Haare bemerklich zu machen. Es bekundet das ein feines Gefühl für den geiſtigen Ausdruck der Schönheit, denn wenn die Brauen hell gegen Stirn, Wangen und Haare abſtechen, ſo erſcheint das Geſicht todt oder büßt wenigſtens an lebendigem Ausdruck ein. Die Linie der Brauen, fein, „wie mit dem Pinſel geſtrichen“, ſteht Anfangs ziemlich grade über dem Auge, dann verliert ſie ſich nach den Schläfen zu in einem ſanften, leiſen Bogen. Auf den Malereien iſt die Linie häufig ein reiner Bogen. Die Augen ſollen weit geſtellt ſein. Die blaue Farbe hat in dieſer Zeit ihren Werth verloren; man liebt ſie braun, aber hell und klar, „Zwei Augen, braun nach Falkenart, Darin das Weiße ſich nicht ſpart.“ Wenn die Augen der Frauen mit denen ihres Lieblingsvogels, des Falken, oder mit denen des Adlers verglichen werden, ſo ſoll damit außer der Größe und der hellen Farbe, die zu verſchiedenen Zeiten wie bei verſchiedener Seelenſtimmung des Menſchen an- dern Charakter anzunehmen vermag, auch das Seeliſche, faſt Träumeriſche des Blickes angedeutet werden, der aus der Tiefe kommt und in die Tiefe dringet, hinter welchem man eine ganze Welt von Gedanken und Gefühlen zu ahnen glaubt. Die Augen ſollen leuchten wie der Sterne Schein; ihre freundlichen, lachen- den Blicke machen alles Leid vergeſſen. In den Zeichnungen ſind die Augen meiſtens lang gezogen, wie lang geſchlitzt, und die Lieder ein wenig geſenkt — was in der altvenetianiſchen

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/107>, abgerufen am 26.04.2024.