Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Das Mittelalter.
Schule dieser Zeit zum vollen Kunststil ausgebildet ist --, sodaß
sie dadurch den Ausdruck des Schmachtens, des Gefühlvollen,
der Hingebung in der Liebe erhalten. Wie es noch heut auf der
Bühne und im Leben geschieht, liebten und verstanden es die
Engländerinnen schon damals diesen Ausdruck zu verstärken.
Selbst die großäugigen Madonnen der Kunst, die früheren hohen
Himmelsköniginnen mit dem starren Herrscherblick der Majestät,
sie werden mit geneigtem Haupt und gesenkten Augenliedern
menschlich liebende Mütter und -- menschlich schmachtende Jung-
frauen.

Das blonde Haar war glücklicher als die blauen Augen,
es behauptete sich in unvergänglichem Ruhm, sodaß es nöthigen-
falls, wenn die Natur ungnädig es versagt hatte, wie in alten
Zeiten durch Färben hergestellt wurde. Doch war das braune
nicht daneben verachtet, wie wir im Parzival von Gawans
Schwester Itonje sehen:

"Die den rothen Mund, das braune Haar
Ihr seht bei hellen Augen tragen."

Sonst sind die Dichter voll vom Lobe des blonden Haares, und
goldfarben, goldglänzend, gleich gesponnenem Gold, so und ähn-
lich lauten die Beiwörter. Fein wie Gespinnst und lockig sollte
es sein,

"Als Gold gesponnen war ihr Haar,
Gedoldet als die Träubel,
Und schimmert als die Läubel,
Die reich vor Golde zittern."

So lang wünschte man es, daß man sich drein hüllen konnte.
Die Eigenschaften eines schönen Scheitels sind Schmalheit und
Weiße. -- Auch der Männer Schmuck war das blonde Haar,
der damaligen freien Haartracht entsprechend. Rührend ist die Scene,
wie die Seeräuber von der Jomsburg, endlich gefangen genommen,
in langer Reihe zum Tode bereit dasitzen, und als die Reihe des
Sterbens an den jüngsten, den blondgelockten, kommt, dieser
bittet, man möge sein schönes Haar zuvor aufbinden, damit es
nicht blutig werde. -- Die Künstler dieser Zeit, die Verfertiger

II. Das Mittelalter.
Schule dieſer Zeit zum vollen Kunſtſtil ausgebildet iſt —, ſodaß
ſie dadurch den Ausdruck des Schmachtens, des Gefühlvollen,
der Hingebung in der Liebe erhalten. Wie es noch heut auf der
Bühne und im Leben geſchieht, liebten und verſtanden es die
Engländerinnen ſchon damals dieſen Ausdruck zu verſtärken.
Selbſt die großäugigen Madonnen der Kunſt, die früheren hohen
Himmelsköniginnen mit dem ſtarren Herrſcherblick der Majeſtät,
ſie werden mit geneigtem Haupt und geſenkten Augenliedern
menſchlich liebende Mütter und — menſchlich ſchmachtende Jung-
frauen.

Das blonde Haar war glücklicher als die blauen Augen,
es behauptete ſich in unvergänglichem Ruhm, ſodaß es nöthigen-
falls, wenn die Natur ungnädig es verſagt hatte, wie in alten
Zeiten durch Färben hergeſtellt wurde. Doch war das braune
nicht daneben verachtet, wie wir im Parzival von Gawans
Schweſter Itonje ſehen:

„Die den rothen Mund, das braune Haar
Ihr ſeht bei hellen Augen tragen.“

Sonſt ſind die Dichter voll vom Lobe des blonden Haares, und
goldfarben, goldglänzend, gleich geſponnenem Gold, ſo und ähn-
lich lauten die Beiwörter. Fein wie Geſpinnſt und lockig ſollte
es ſein,

„Als Gold geſponnen war ihr Haar,
Gedoldet als die Träubel,
Und ſchimmert als die Läubel,
Die reich vor Golde zittern.“

So lang wünſchte man es, daß man ſich drein hüllen konnte.
Die Eigenſchaften eines ſchönen Scheitels ſind Schmalheit und
Weiße. — Auch der Männer Schmuck war das blonde Haar,
der damaligen freien Haartracht entſprechend. Rührend iſt die Scene,
wie die Seeräuber von der Jomsburg, endlich gefangen genommen,
in langer Reihe zum Tode bereit daſitzen, und als die Reihe des
Sterbens an den jüngſten, den blondgelockten, kommt, dieſer
bittet, man möge ſein ſchönes Haar zuvor aufbinden, damit es
nicht blutig werde. — Die Künſtler dieſer Zeit, die Verfertiger

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0108" n="90"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/>
Schule die&#x017F;er Zeit zum vollen Kun&#x017F;t&#x017F;til ausgebildet i&#x017F;t &#x2014;, &#x017F;odaß<lb/>
&#x017F;ie dadurch den Ausdruck des Schmachtens, des Gefühlvollen,<lb/>
der Hingebung in der Liebe erhalten. Wie es noch heut auf der<lb/>
Bühne und im Leben ge&#x017F;chieht, liebten und ver&#x017F;tanden es die<lb/>
Engländerinnen &#x017F;chon damals die&#x017F;en Ausdruck zu ver&#x017F;tärken.<lb/>
Selb&#x017F;t die großäugigen Madonnen der Kun&#x017F;t, die früheren hohen<lb/>
Himmelsköniginnen mit dem &#x017F;tarren Herr&#x017F;cherblick der Maje&#x017F;tät,<lb/>
&#x017F;ie werden mit geneigtem Haupt und ge&#x017F;enkten Augenliedern<lb/>
men&#x017F;chlich liebende Mütter und &#x2014; men&#x017F;chlich &#x017F;chmachtende Jung-<lb/>
frauen.</p><lb/>
            <p>Das blonde <hi rendition="#g">Haar</hi> war glücklicher als die blauen Augen,<lb/>
es behauptete &#x017F;ich in unvergänglichem Ruhm, &#x017F;odaß es nöthigen-<lb/>
falls, wenn die Natur ungnädig es ver&#x017F;agt hatte, wie in alten<lb/>
Zeiten durch Färben herge&#x017F;tellt wurde. Doch war das braune<lb/>
nicht daneben verachtet, wie wir im Parzival von Gawans<lb/>
Schwe&#x017F;ter Itonje &#x017F;ehen:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>&#x201E;Die den rothen Mund, das braune Haar</l><lb/>
              <l>Ihr &#x017F;eht bei hellen Augen tragen.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <p>Son&#x017F;t &#x017F;ind die Dichter voll vom Lobe des blonden Haares, und<lb/>
goldfarben, goldglänzend, gleich ge&#x017F;ponnenem Gold, &#x017F;o und ähn-<lb/>
lich lauten die Beiwörter. Fein wie Ge&#x017F;pinn&#x017F;t und lockig &#x017F;ollte<lb/>
es &#x017F;ein,</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>&#x201E;Als Gold ge&#x017F;ponnen war ihr Haar,</l><lb/>
              <l>Gedoldet als die Träubel,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;chimmert als die Läubel,</l><lb/>
              <l>Die reich vor Golde zittern.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <p>So lang wün&#x017F;chte man es, daß man &#x017F;ich drein hüllen konnte.<lb/>
Die Eigen&#x017F;chaften eines &#x017F;chönen Scheitels &#x017F;ind Schmalheit und<lb/>
Weiße. &#x2014; Auch der Männer Schmuck war das blonde Haar,<lb/>
der damaligen freien Haartracht ent&#x017F;prechend. Rührend i&#x017F;t die Scene,<lb/>
wie die Seeräuber von der Jomsburg, endlich gefangen genommen,<lb/>
in langer Reihe zum Tode bereit da&#x017F;itzen, und als die Reihe des<lb/>
Sterbens an den jüng&#x017F;ten, den blondgelockten, kommt, die&#x017F;er<lb/>
bittet, man möge &#x017F;ein &#x017F;chönes Haar zuvor aufbinden, damit es<lb/>
nicht blutig werde. &#x2014; Die Kün&#x017F;tler die&#x017F;er Zeit, die Verfertiger<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0108] II. Das Mittelalter. Schule dieſer Zeit zum vollen Kunſtſtil ausgebildet iſt —, ſodaß ſie dadurch den Ausdruck des Schmachtens, des Gefühlvollen, der Hingebung in der Liebe erhalten. Wie es noch heut auf der Bühne und im Leben geſchieht, liebten und verſtanden es die Engländerinnen ſchon damals dieſen Ausdruck zu verſtärken. Selbſt die großäugigen Madonnen der Kunſt, die früheren hohen Himmelsköniginnen mit dem ſtarren Herrſcherblick der Majeſtät, ſie werden mit geneigtem Haupt und geſenkten Augenliedern menſchlich liebende Mütter und — menſchlich ſchmachtende Jung- frauen. Das blonde Haar war glücklicher als die blauen Augen, es behauptete ſich in unvergänglichem Ruhm, ſodaß es nöthigen- falls, wenn die Natur ungnädig es verſagt hatte, wie in alten Zeiten durch Färben hergeſtellt wurde. Doch war das braune nicht daneben verachtet, wie wir im Parzival von Gawans Schweſter Itonje ſehen: „Die den rothen Mund, das braune Haar Ihr ſeht bei hellen Augen tragen.“ Sonſt ſind die Dichter voll vom Lobe des blonden Haares, und goldfarben, goldglänzend, gleich geſponnenem Gold, ſo und ähn- lich lauten die Beiwörter. Fein wie Geſpinnſt und lockig ſollte es ſein, „Als Gold geſponnen war ihr Haar, Gedoldet als die Träubel, Und ſchimmert als die Läubel, Die reich vor Golde zittern.“ So lang wünſchte man es, daß man ſich drein hüllen konnte. Die Eigenſchaften eines ſchönen Scheitels ſind Schmalheit und Weiße. — Auch der Männer Schmuck war das blonde Haar, der damaligen freien Haartracht entſprechend. Rührend iſt die Scene, wie die Seeräuber von der Jomsburg, endlich gefangen genommen, in langer Reihe zum Tode bereit daſitzen, und als die Reihe des Sterbens an den jüngſten, den blondgelockten, kommt, dieſer bittet, man möge ſein ſchönes Haar zuvor aufbinden, damit es nicht blutig werde. — Die Künſtler dieſer Zeit, die Verfertiger

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/108
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/108>, abgerufen am 24.11.2024.