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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.

Die Weiße und Röthe sollten sich gegenseitig durchdringen und in
dem Maße gemischt sein, daß die Röthe "den bessern Theil hat."
Auf den Miniaturen dieser Zeit, bei denen die nackten Theile ge-
wöhnlich ungefärbt gelassen sind, finden wir doch auf den Wan-
gen der Frauen nicht leicht den rothen Fleck vergessen. Die englischen
Damen machten in diesem Geschmack eine Ausnahme; sie liebten schon
damals wie noch heute mit aristokratischem Tick die blassen Wangen
und suchten sie künstlich herbeizuführen, wenn die Natur sie allzu-
freigebig mit der Farbe der Gesundheit beschenkt hatte. Mittel
gab es mancherlei, sowohl in Gestalt von weißen Schminken, als
Wasser und Essenzen zum Waschen und zum Trinken. Auch wur-
den Hunger und Aderlaß zu diesem Zwecke angewandt. Umgekehrt
bediente man sich in Deutschland, Frankreich und Italien für die
Wangen der rothen Schminke, und um sich dauernd zu färben,
fanden es die Französinnen für gut, tüchtig und kräftig zu früh-
stücken, während die deutschen Damen, der Leidenschaft ihres Lan-
des getreu, dem Weine zusprachen. Im alten Volkslied heißt es
vom Rheinwein:

"Schenk du ein!
Trink, gut Kätterlein,
Machst rothe Wängelein."

Besonders waren damals die Florentinerinnen berühmt als Mei-
ster in der Gesichtsmalerei. Die Mittel, wodurch man dem Teint
nachzuhelfen suchte, waren schon im Nibelungenlied so bekannt,
daß der Dichter von den Frauen am Hofe Rüdigers rühmend sa-
gen konnte, daß man wenig gefälschte Frauenfarbe dort gefunden
habe. Sie wurden sammt den Salben, mit denen man die Run-
zeln ausschmierte, in dieser Schönheit bedürftigen Zeit so zahlreich
-- es werden dreihundert angegeben --, und ihr Gebrauch dehnte
sich in dem Maße aus, daß die Geistlichkeit für nöthig hielt, da-
gegen zu Felde zu ziehen. Ihr Grund, den sie anzuführen pflegt,
ist etwas eigenthümlicher Art. Die Frau, sagen sie, welche eine
fremde Farbe auf ihr Gesicht aufträgt, die will ein Gesicht haben,
wie es der Maler macht, aber nicht, wie es ihr Gott erschaffen hat:
sie verleugnet also Gott. So sagt auch Bruder Berthold, der Pre-

II. Das Mittelalter.

Die Weiße und Röthe ſollten ſich gegenſeitig durchdringen und in
dem Maße gemiſcht ſein, daß die Röthe „den beſſern Theil hat.“
Auf den Miniaturen dieſer Zeit, bei denen die nackten Theile ge-
wöhnlich ungefärbt gelaſſen ſind, finden wir doch auf den Wan-
gen der Frauen nicht leicht den rothen Fleck vergeſſen. Die engliſchen
Damen machten in dieſem Geſchmack eine Ausnahme; ſie liebten ſchon
damals wie noch heute mit ariſtokratiſchem Tick die blaſſen Wangen
und ſuchten ſie künſtlich herbeizuführen, wenn die Natur ſie allzu-
freigebig mit der Farbe der Geſundheit beſchenkt hatte. Mittel
gab es mancherlei, ſowohl in Geſtalt von weißen Schminken, als
Waſſer und Eſſenzen zum Waſchen und zum Trinken. Auch wur-
den Hunger und Aderlaß zu dieſem Zwecke angewandt. Umgekehrt
bediente man ſich in Deutſchland, Frankreich und Italien für die
Wangen der rothen Schminke, und um ſich dauernd zu färben,
fanden es die Franzöſinnen für gut, tüchtig und kräftig zu früh-
ſtücken, während die deutſchen Damen, der Leidenſchaft ihres Lan-
des getreu, dem Weine zuſprachen. Im alten Volkslied heißt es
vom Rheinwein:

„Schenk du ein!
Trink, gut Kätterlein,
Machſt rothe Wängelein.“

Beſonders waren damals die Florentinerinnen berühmt als Mei-
ſter in der Geſichtsmalerei. Die Mittel, wodurch man dem Teint
nachzuhelfen ſuchte, waren ſchon im Nibelungenlied ſo bekannt,
daß der Dichter von den Frauen am Hofe Rüdigers rühmend ſa-
gen konnte, daß man wenig gefälſchte Frauenfarbe dort gefunden
habe. Sie wurden ſammt den Salben, mit denen man die Run-
zeln ausſchmierte, in dieſer Schönheit bedürftigen Zeit ſo zahlreich
— es werden dreihundert angegeben —, und ihr Gebrauch dehnte
ſich in dem Maße aus, daß die Geiſtlichkeit für nöthig hielt, da-
gegen zu Felde zu ziehen. Ihr Grund, den ſie anzuführen pflegt,
iſt etwas eigenthümlicher Art. Die Frau, ſagen ſie, welche eine
fremde Farbe auf ihr Geſicht aufträgt, die will ein Geſicht haben,
wie es der Maler macht, aber nicht, wie es ihr Gott erſchaffen hat:
ſie verleugnet alſo Gott. So ſagt auch Bruder Berthold, der Pre-

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[86/0104] II. Das Mittelalter. Die Weiße und Röthe ſollten ſich gegenſeitig durchdringen und in dem Maße gemiſcht ſein, daß die Röthe „den beſſern Theil hat.“ Auf den Miniaturen dieſer Zeit, bei denen die nackten Theile ge- wöhnlich ungefärbt gelaſſen ſind, finden wir doch auf den Wan- gen der Frauen nicht leicht den rothen Fleck vergeſſen. Die engliſchen Damen machten in dieſem Geſchmack eine Ausnahme; ſie liebten ſchon damals wie noch heute mit ariſtokratiſchem Tick die blaſſen Wangen und ſuchten ſie künſtlich herbeizuführen, wenn die Natur ſie allzu- freigebig mit der Farbe der Geſundheit beſchenkt hatte. Mittel gab es mancherlei, ſowohl in Geſtalt von weißen Schminken, als Waſſer und Eſſenzen zum Waſchen und zum Trinken. Auch wur- den Hunger und Aderlaß zu dieſem Zwecke angewandt. Umgekehrt bediente man ſich in Deutſchland, Frankreich und Italien für die Wangen der rothen Schminke, und um ſich dauernd zu färben, fanden es die Franzöſinnen für gut, tüchtig und kräftig zu früh- ſtücken, während die deutſchen Damen, der Leidenſchaft ihres Lan- des getreu, dem Weine zuſprachen. Im alten Volkslied heißt es vom Rheinwein: „Schenk du ein! Trink, gut Kätterlein, Machſt rothe Wängelein.“ Beſonders waren damals die Florentinerinnen berühmt als Mei- ſter in der Geſichtsmalerei. Die Mittel, wodurch man dem Teint nachzuhelfen ſuchte, waren ſchon im Nibelungenlied ſo bekannt, daß der Dichter von den Frauen am Hofe Rüdigers rühmend ſa- gen konnte, daß man wenig gefälſchte Frauenfarbe dort gefunden habe. Sie wurden ſammt den Salben, mit denen man die Run- zeln ausſchmierte, in dieſer Schönheit bedürftigen Zeit ſo zahlreich — es werden dreihundert angegeben —, und ihr Gebrauch dehnte ſich in dem Maße aus, daß die Geiſtlichkeit für nöthig hielt, da- gegen zu Felde zu ziehen. Ihr Grund, den ſie anzuführen pflegt, iſt etwas eigenthümlicher Art. Die Frau, ſagen ſie, welche eine fremde Farbe auf ihr Geſicht aufträgt, die will ein Geſicht haben, wie es der Maler macht, aber nicht, wie es ihr Gott erſchaffen hat: ſie verleugnet alſo Gott. So ſagt auch Bruder Berthold, der Pre-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/104>, abgerufen am 26.04.2024.