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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
"Ihr wißt, wie Ameisen pflegen
Um die Mitte schmal zu sein,
Noch schlanker war das Mägdelein,"

sagt Wolfram von Eschenbach von der schönen Antikonie. Im
Ortnit wird die kaiserliche Prinzessin geschildert: von rechter
Größe, schmal zu beiden Seiten und von den Schultern bis zu den
Füßen gedreht wie eine Kerze. Auf dieser Schlankheit und Zier-
lichkeit der Taille beruhte die Grazie in Gang und Bewegung,
daher die Damen um die Mitte "schwank" genannt werden, gleich
dem Rohr, das sich grazios im Wasser bewegt.

"Die Maget war zu Maße lang,
Inmitten schmal und rund und schwank,"

das ist die Frau Abenteuer bei Peter Suchenwirt. Durch den
Schnitt der Kleidung half man der Natur nach. Die Plastik, die
sich in dieser Periode aus der früheren Roheit rasch zur Höhe ent-
faltet, führt uns alle Frauengestalten in diesem Geschmack vor:
sie sind durchaus schlank und in den Hüften leicht und elastisch
bewegt. Den Höhepunkt dürften unter andern die lieblichen klu-
gen und thörichten Jungfrauen an der Brautthür der Nürnberger
Sebalduskirche bezeichnen, deren Entstehung den Bildern der
Manessischen Liederhandschrift gleichzeitig in den ersten Anfang
des vierzehnten Jahrhunderts fällt. --

Für die Hautfarbe wurde in Deutschland und Frankreich
durchaus Roth und Weiß verlangt. Leib, Arme, Hände und
Schläfen mußten weiß sein, schwanenweiß, weiß wie Elfenbein,
Hermelin, Schnee und Lilien -- die Dichter sind nicht arm an
diesen Vergleichen. Auf den vollen Wangen aber sollten die frischen
Rosen blühen, wie Kondwiramur, Parzivals schöne Gemahlin,
von Wolfram geschildert wird:

"Also saß des Landes Frau,
Wie erquickt von süßem Thau
Die Rose aus der zarten Hülle
Hebt des Schimmers frische Fülle,
Der zumal ist weiß und roth."
1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
„Ihr wißt, wie Ameiſen pflegen
Um die Mitte ſchmal zu ſein,
Noch ſchlanker war das Mägdelein,“

ſagt Wolfram von Eſchenbach von der ſchönen Antikonie. Im
Ortnit wird die kaiſerliche Prinzeſſin geſchildert: von rechter
Größe, ſchmal zu beiden Seiten und von den Schultern bis zu den
Füßen gedreht wie eine Kerze. Auf dieſer Schlankheit und Zier-
lichkeit der Taille beruhte die Grazie in Gang und Bewegung,
daher die Damen um die Mitte „ſchwank“ genannt werden, gleich
dem Rohr, das ſich grazios im Waſſer bewegt.

„Die Maget war zu Maße lang,
Inmitten ſchmal und rund und ſchwank,“

das iſt die Frau Abenteuer bei Peter Suchenwirt. Durch den
Schnitt der Kleidung half man der Natur nach. Die Plaſtik, die
ſich in dieſer Periode aus der früheren Roheit raſch zur Höhe ent-
faltet, führt uns alle Frauengeſtalten in dieſem Geſchmack vor:
ſie ſind durchaus ſchlank und in den Hüften leicht und elaſtiſch
bewegt. Den Höhepunkt dürften unter andern die lieblichen klu-
gen und thörichten Jungfrauen an der Brautthür der Nürnberger
Sebalduskirche bezeichnen, deren Entſtehung den Bildern der
Maneſſiſchen Liederhandſchrift gleichzeitig in den erſten Anfang
des vierzehnten Jahrhunderts fällt. —

Für die Hautfarbe wurde in Deutſchland und Frankreich
durchaus Roth und Weiß verlangt. Leib, Arme, Hände und
Schläfen mußten weiß ſein, ſchwanenweiß, weiß wie Elfenbein,
Hermelin, Schnee und Lilien — die Dichter ſind nicht arm an
dieſen Vergleichen. Auf den vollen Wangen aber ſollten die friſchen
Roſen blühen, wie Kondwiramur, Parzivals ſchöne Gemahlin,
von Wolfram geſchildert wird:

„Alſo ſaß des Landes Frau,
Wie erquickt von ſüßem Thau
Die Roſe aus der zarten Hülle
Hebt des Schimmers friſche Fülle,
Der zumal iſt weiß und roth.“
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[85/0103] 1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. „Ihr wißt, wie Ameiſen pflegen Um die Mitte ſchmal zu ſein, Noch ſchlanker war das Mägdelein,“ ſagt Wolfram von Eſchenbach von der ſchönen Antikonie. Im Ortnit wird die kaiſerliche Prinzeſſin geſchildert: von rechter Größe, ſchmal zu beiden Seiten und von den Schultern bis zu den Füßen gedreht wie eine Kerze. Auf dieſer Schlankheit und Zier- lichkeit der Taille beruhte die Grazie in Gang und Bewegung, daher die Damen um die Mitte „ſchwank“ genannt werden, gleich dem Rohr, das ſich grazios im Waſſer bewegt. „Die Maget war zu Maße lang, Inmitten ſchmal und rund und ſchwank,“ das iſt die Frau Abenteuer bei Peter Suchenwirt. Durch den Schnitt der Kleidung half man der Natur nach. Die Plaſtik, die ſich in dieſer Periode aus der früheren Roheit raſch zur Höhe ent- faltet, führt uns alle Frauengeſtalten in dieſem Geſchmack vor: ſie ſind durchaus ſchlank und in den Hüften leicht und elaſtiſch bewegt. Den Höhepunkt dürften unter andern die lieblichen klu- gen und thörichten Jungfrauen an der Brautthür der Nürnberger Sebalduskirche bezeichnen, deren Entſtehung den Bildern der Maneſſiſchen Liederhandſchrift gleichzeitig in den erſten Anfang des vierzehnten Jahrhunderts fällt. — Für die Hautfarbe wurde in Deutſchland und Frankreich durchaus Roth und Weiß verlangt. Leib, Arme, Hände und Schläfen mußten weiß ſein, ſchwanenweiß, weiß wie Elfenbein, Hermelin, Schnee und Lilien — die Dichter ſind nicht arm an dieſen Vergleichen. Auf den vollen Wangen aber ſollten die friſchen Roſen blühen, wie Kondwiramur, Parzivals ſchöne Gemahlin, von Wolfram geſchildert wird: „Alſo ſaß des Landes Frau, Wie erquickt von ſüßem Thau Die Roſe aus der zarten Hülle Hebt des Schimmers friſche Fülle, Der zumal iſt weiß und roth.“

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/103>, abgerufen am 20.04.2024.