Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724.

Bild:
<< vorherige Seite
d)

von allerhand schul-
wohl als sein discurs verrathen kan. Jm übrigen
ist dieses dabey die gröste kunst, daß man keine
kunst mercken lässet: Gleichwie dieses die klügsten
schmeicheleyen sind, welche gleichsam unter der ma-
sque eines ernsthaften und aufrichtigen gesichtes an-
gebracht werden.

Hierbey aber kan ich selbst nicht leugnen, wie un-
sere Oratorie dadurch gar schwer gemacht wird, weil
man von allen dingen, welche dazu nöthig sind, ohn-
möglich regeln geben kan. Denn wer will die Ca-
sus
erzehlen, welche unzehlich sind, und wenn solches
auch geschehen könnte, was würde uns die ausar-
beitung anderer leute helfen, da man immer was
neues erfinden, und den beyfall der zuhörer und le-
ser dadurch am meisten verdienen muß, wenn etwas
geredet oder geschrieben wird, das sie zuvor weder ge-
höret noch gesehen haben?

Weil ferner zum reden und schreiben, wie oben all-
bereit gesaget worden, vornehmlich ordnung erfor-
dert wird, die ordnung aber viel sachen präsuppo-
niret, welche sie rangiren kan, so folget vors erste,
daß die Oratorie kein werck vor kinder, sondern vor
erwachsene und solche leute sey, die nicht allein ihr
judicium wohl zugebrauchen, sondern auch aus den
disciplinen, vornehmlich aus der Moral und Histo-
rie ihre beweißthümer und amplificationes herzu-
nehmen wissen: Es folget ferner, daß man ohne
diese hülfs-mittel zwar die präcepta Oratoria aus-
wendig lernen, aber dessentwegen doch keine gelehr-
te rede verfertigen könne: Und drittens folget auch,
daß die leute, welche noch gar nichts im kopfe ha-
ben, nothwendig ungedultig werden, und davon
lauffen müssen, wenn sie sich in schreiben und reden
üben sollen.

Darzu kömmt noch, daß der stilus so sehr unter-
schieden, und dergestalt mancher, der doch sonst gute
wissenschaften hat, dennoch immer zweifelhaftig ist,

d)

von allerhand ſchul-
wohl als ſein diſcurs verrathen kan. Jm uͤbrigen
iſt dieſes dabey die groͤſte kunſt, daß man keine
kunſt mercken laͤſſet: Gleichwie dieſes die kluͤgſten
ſchmeicheleyen ſind, welche gleichſam unter der ma-
ſque eines ernſthaften und aufrichtigen geſichtes an-
gebracht werden.

Hierbey aber kan ich ſelbſt nicht leugnen, wie un-
ſere Oratorie dadurch gar ſchwer gemacht wird, weil
man von allen dingen, welche dazu noͤthig ſind, ohn-
moͤglich regeln geben kan. Denn wer will die Ca-
ſus
erzehlen, welche unzehlich ſind, und wenn ſolches
auch geſchehen koͤnnte, was wuͤrde uns die ausar-
beitung anderer leute helfen, da man immer was
neues erfinden, und den beyfall der zuhoͤrer und le-
ſer dadurch am meiſten verdienen muß, wenn etwas
geredet oder geſchrieben wird, das ſie zuvor weder ge-
hoͤret noch geſehen haben?

Weil ferner zum reden und ſchreiben, wie oben all-
bereit geſaget worden, vornehmlich ordnung erfor-
dert wird, die ordnung aber viel ſachen praͤſuppo-
niret, welche ſie rangiren kan, ſo folget vors erſte,
daß die Oratorie kein werck vor kinder, ſondern vor
erwachſene und ſolche leute ſey, die nicht allein ihr
judicium wohl zugebrauchen, ſondern auch aus den
diſciplinen, vornehmlich aus der Moral und Hiſto-
rie ihre beweißthuͤmer und amplificationes herzu-
nehmen wiſſen: Es folget ferner, daß man ohne
dieſe huͤlfs-mittel zwar die praͤcepta Oratoria aus-
wendig lernen, aber deſſentwegen doch keine gelehr-
te rede verfertigen koͤnne: Und drittens folget auch,
daß die leute, welche noch gar nichts im kopfe ha-
ben, nothwendig ungedultig werden, und davon
lauffen muͤſſen, wenn ſie ſich in ſchreiben und reden
uͤben ſollen.

Darzu koͤmmt noch, daß der ſtilus ſo ſehr unter-
ſchieden, und dergeſtalt mancher, der doch ſonſt gute
wiſſenſchaften hat, dennoch immer zweifelhaftig iſt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <note xml:id="note-d-23" prev="#notefn-d-23" place="end" n="d)">
            <floatingText>
              <body>
                <p><pb facs="#f0454" n="436"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von                                                 allerhand &#x017F;chul-</hi></fw><lb/>
wohl als                                         &#x017F;ein di&#x017F;curs verrathen kan. Jm                                         u&#x0364;brigen<lb/>
i&#x017F;t die&#x017F;es dabey die                                         gro&#x0364;&#x017F;te kun&#x017F;t, daß man keine<lb/>
kun&#x017F;t mercken la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et: Gleichwie                                         die&#x017F;es die klu&#x0364;g&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;chmeicheleyen &#x017F;ind, welche gleich&#x017F;am                                         unter der ma-<lb/>
&#x017F;que eines ern&#x017F;thaften und                                         aufrichtigen ge&#x017F;ichtes an-<lb/>
gebracht werden.</p><lb/>
                <p>Hierbey aber kan ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht leugnen, wie                                         un-<lb/>
&#x017F;ere Oratorie dadurch gar &#x017F;chwer                                         gemacht wird, weil<lb/>
man von allen dingen, welche dazu                                         no&#x0364;thig &#x017F;ind, ohn-<lb/>
mo&#x0364;glich regeln                                         geben kan. Denn wer will die <hi rendition="#aq">Ca-<lb/>
&#x017F;us</hi> erzehlen, welche unzehlich &#x017F;ind,                                         und wenn &#x017F;olches<lb/>
auch ge&#x017F;chehen                                         ko&#x0364;nnte, was wu&#x0364;rde uns die ausar-<lb/>
beitung anderer leute helfen, da man immer was<lb/>
neues                                         erfinden, und den beyfall der zuho&#x0364;rer und le-<lb/>
&#x017F;er dadurch am mei&#x017F;ten verdienen muß, wenn                                         etwas<lb/>
geredet oder ge&#x017F;chrieben wird, das                                         &#x017F;ie zuvor weder ge-<lb/>
ho&#x0364;ret noch                                         ge&#x017F;ehen haben?</p><lb/>
                <p>Weil ferner zum reden und &#x017F;chreiben, wie oben                                         all-<lb/>
bereit ge&#x017F;aget worden, vornehmlich ordnung                                         erfor-<lb/>
dert wird, die ordnung aber viel &#x017F;achen                                         pra&#x0364;&#x017F;uppo-<lb/>
niret, welche &#x017F;ie                                         rangiren kan, &#x017F;o folget vors er&#x017F;te,<lb/>
daß                                         die Oratorie kein werck vor kinder, &#x017F;ondern vor<lb/>
erwach&#x017F;ene und &#x017F;olche leute &#x017F;ey, die                                         nicht allein ihr<lb/>
judicium wohl zugebrauchen,                                         &#x017F;ondern auch aus den<lb/>
di&#x017F;ciplinen,                                         vornehmlich aus der Moral und Hi&#x017F;to-<lb/>
rie ihre                                         beweißthu&#x0364;mer und amplificationes herzu-<lb/>
nehmen                                         wi&#x017F;&#x017F;en: Es folget ferner, daß man ohne<lb/>
die&#x017F;e hu&#x0364;lfs-mittel zwar die pra&#x0364;cepta                                         Oratoria aus-<lb/>
wendig lernen, aber                                         de&#x017F;&#x017F;entwegen doch keine gelehr-<lb/>
te rede                                         verfertigen ko&#x0364;nne: Und drittens folget auch,<lb/>
daß die leute, welche noch gar nichts im kopfe ha-<lb/>
ben,                                         nothwendig ungedultig werden, und davon<lb/>
lauffen                                         mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich in                                         &#x017F;chreiben und reden<lb/>
u&#x0364;ben                                         &#x017F;ollen.</p><lb/>
                <p>Darzu ko&#x0364;mmt noch, daß der &#x017F;tilus &#x017F;o                                         &#x017F;ehr unter-<lb/>
&#x017F;chieden, und                                         derge&#x017F;talt mancher, der doch &#x017F;on&#x017F;t                                         gute<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften hat, dennoch                                         immer zweifelhaftig i&#x017F;t,<lb/></p>
              </body>
            </floatingText>
          </note>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[436/0454] von allerhand ſchul- d⁾ wohl als ſein diſcurs verrathen kan. Jm uͤbrigen iſt dieſes dabey die groͤſte kunſt, daß man keine kunſt mercken laͤſſet: Gleichwie dieſes die kluͤgſten ſchmeicheleyen ſind, welche gleichſam unter der ma- ſque eines ernſthaften und aufrichtigen geſichtes an- gebracht werden. Hierbey aber kan ich ſelbſt nicht leugnen, wie un- ſere Oratorie dadurch gar ſchwer gemacht wird, weil man von allen dingen, welche dazu noͤthig ſind, ohn- moͤglich regeln geben kan. Denn wer will die Ca- ſus erzehlen, welche unzehlich ſind, und wenn ſolches auch geſchehen koͤnnte, was wuͤrde uns die ausar- beitung anderer leute helfen, da man immer was neues erfinden, und den beyfall der zuhoͤrer und le- ſer dadurch am meiſten verdienen muß, wenn etwas geredet oder geſchrieben wird, das ſie zuvor weder ge- hoͤret noch geſehen haben? Weil ferner zum reden und ſchreiben, wie oben all- bereit geſaget worden, vornehmlich ordnung erfor- dert wird, die ordnung aber viel ſachen praͤſuppo- niret, welche ſie rangiren kan, ſo folget vors erſte, daß die Oratorie kein werck vor kinder, ſondern vor erwachſene und ſolche leute ſey, die nicht allein ihr judicium wohl zugebrauchen, ſondern auch aus den diſciplinen, vornehmlich aus der Moral und Hiſto- rie ihre beweißthuͤmer und amplificationes herzu- nehmen wiſſen: Es folget ferner, daß man ohne dieſe huͤlfs-mittel zwar die praͤcepta Oratoria aus- wendig lernen, aber deſſentwegen doch keine gelehr- te rede verfertigen koͤnne: Und drittens folget auch, daß die leute, welche noch gar nichts im kopfe ha- ben, nothwendig ungedultig werden, und davon lauffen muͤſſen, wenn ſie ſich in ſchreiben und reden uͤben ſollen. Darzu koͤmmt noch, daß der ſtilus ſo ſehr unter- ſchieden, und dergeſtalt mancher, der doch ſonſt gute wiſſenſchaften hat, dennoch immer zweifelhaftig iſt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724/454
Zitationshilfe: Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724/454>, abgerufen am 19.05.2024.