Eschstruth, Nataly von: Katz' und Maus. Berlin, 1886.Achtlos Dir zu Füßen sprießen;
Kann wohl Menschenkunst je formen Solch' ein Bildwerk, lichtdurchflossen? Ach, in welcher Werkstatt wurde Solch' ein Glöcklein je gegossen! Blind, verständnißlos durchstürmet Wohl die Menge Flur und Auen, Doch Euch Künstlern gab die Gottheit Augen, seine Kunst zu schauen; Gab Euch die lebend'ge Seele, Seine Werke zu begreifen, Gab das Vorbild, Euer Streben Groß und prachtvoll dran zu reifen. Sieh, Gerhardus, diese Blume: Weitgeschweifte Kirchenbogen, Gleich den marmorkant'gen Stützen Von den Adern scharf durchzogen! Kannst Du bessre Wölbung schauen? Dehne sie zu stolzen Hallen, Laß Dein Netz von Ornamenten Nach Geschmack darüber fallen! Aendre, feile, such' die Formen Deinem Chore anzupassen, Nach der kleinen Glockenblume Thürme Deine Riesenmassen! Sieh, Du lächelst! -- Meine Weisheit Kommt so jämmerlich zu Falle? Ach, wie hoffnungslos versinket Glockenblum' und Münsterhalle!" Und sie lachet hell und schelmisch, Reicht ihm schnell die Hand entgegen, Achtlos Dir zu Füßen ſprießen;
Kann wohl Menſchenkunſt je formen Solch' ein Bildwerk, lichtdurchfloſſen? Ach, in welcher Werkſtatt wurde Solch' ein Glöcklein je gegoſſen! Blind, verſtändnißlos durchſtürmet Wohl die Menge Flur und Auen, Doch Euch Künſtlern gab die Gottheit Augen, ſeine Kunſt zu ſchauen; Gab Euch die lebend'ge Seele, Seine Werke zu begreifen, Gab das Vorbild, Euer Streben Groß und prachtvoll dran zu reifen. Sieh, Gerhardus, dieſe Blume: Weitgeſchweifte Kirchenbogen, Gleich den marmorkant'gen Stützen Von den Adern ſcharf durchzogen! Kannſt Du beſſre Wölbung ſchauen? Dehne ſie zu ſtolzen Hallen, Laß Dein Netz von Ornamenten Nach Geſchmack darüber fallen! Aendre, feile, ſuch' die Formen Deinem Chore anzupaſſen, Nach der kleinen Glockenblume Thürme Deine Rieſenmaſſen! Sieh, Du lächelſt! — Meine Weisheit Kommt ſo jämmerlich zu Falle? Ach, wie hoffnungslos verſinket Glockenblum' und Münſterhalle!“ Und ſie lachet hell und ſchelmiſch, Reicht ihm ſchnell die Hand entgegen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0130" n="116"/> <lg n="5"> <l>Achtlos Dir zu Füßen ſprießen;</l><lb/> <l>Kann wohl Menſchenkunſt je formen</l><lb/> <l>Solch' ein Bildwerk, lichtdurchfloſſen?</l><lb/> <l>Ach, in welcher Werkſtatt wurde</l><lb/> <l>Solch' ein Glöcklein je gegoſſen!</l><lb/> <l>Blind, verſtändnißlos durchſtürmet</l><lb/> <l>Wohl die Menge Flur und Auen,</l><lb/> <l>Doch Euch Künſtlern gab die Gottheit</l><lb/> <l>Augen, ſeine Kunſt zu ſchauen;</l><lb/> <l>Gab Euch die lebend'ge Seele,</l><lb/> <l>Seine Werke zu begreifen,</l><lb/> <l>Gab das Vorbild, Euer Streben</l><lb/> <l>Groß und prachtvoll dran zu reifen.</l><lb/> <l>Sieh, Gerhardus, dieſe Blume:</l><lb/> <l>Weitgeſchweifte Kirchenbogen,</l><lb/> <l>Gleich den marmorkant'gen Stützen</l><lb/> <l>Von den Adern ſcharf durchzogen!</l><lb/> <l>Kannſt Du beſſre Wölbung ſchauen?</l><lb/> <l>Dehne ſie zu ſtolzen Hallen,</l><lb/> <l>Laß Dein Netz von Ornamenten</l><lb/> <l>Nach Geſchmack darüber fallen!</l><lb/> <l>Aendre, feile, ſuch' die Formen</l><lb/> <l>Deinem Chore anzupaſſen,</l><lb/> <l>Nach der kleinen Glockenblume</l><lb/> <l>Thürme Deine Rieſenmaſſen!</l><lb/> <l>Sieh, Du lächelſt! — Meine Weisheit</l><lb/> <l>Kommt ſo jämmerlich zu Falle?</l><lb/> <l>Ach, wie hoffnungslos verſinket</l><lb/> <l>Glockenblum' und Münſterhalle!“</l><lb/> <l>Und ſie lachet hell und ſchelmiſch,</l><lb/> <l>Reicht ihm ſchnell die Hand entgegen,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [116/0130]
Achtlos Dir zu Füßen ſprießen;
Kann wohl Menſchenkunſt je formen
Solch' ein Bildwerk, lichtdurchfloſſen?
Ach, in welcher Werkſtatt wurde
Solch' ein Glöcklein je gegoſſen!
Blind, verſtändnißlos durchſtürmet
Wohl die Menge Flur und Auen,
Doch Euch Künſtlern gab die Gottheit
Augen, ſeine Kunſt zu ſchauen;
Gab Euch die lebend'ge Seele,
Seine Werke zu begreifen,
Gab das Vorbild, Euer Streben
Groß und prachtvoll dran zu reifen.
Sieh, Gerhardus, dieſe Blume:
Weitgeſchweifte Kirchenbogen,
Gleich den marmorkant'gen Stützen
Von den Adern ſcharf durchzogen!
Kannſt Du beſſre Wölbung ſchauen?
Dehne ſie zu ſtolzen Hallen,
Laß Dein Netz von Ornamenten
Nach Geſchmack darüber fallen!
Aendre, feile, ſuch' die Formen
Deinem Chore anzupaſſen,
Nach der kleinen Glockenblume
Thürme Deine Rieſenmaſſen!
Sieh, Du lächelſt! — Meine Weisheit
Kommt ſo jämmerlich zu Falle?
Ach, wie hoffnungslos verſinket
Glockenblum' und Münſterhalle!“
Und ſie lachet hell und ſchelmiſch,
Reicht ihm ſchnell die Hand entgegen,
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Zitationshilfe: | Eschstruth, Nataly von: Katz' und Maus. Berlin, 1886, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eschstruth_katz_1886/130>, abgerufen am 16.02.2025. |