Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

ten und Weinflaschen, breiteten eine schöne bunte Decke
auf dem grünen Rasen aus, streckten sich darüber hin
und schmaußten sehr vergnüglich, theilten auch mir
von Allem sehr reichlich mit, was mir gar wohl be¬
kam, da ich seit einigen Tagen schon nicht mehr ver¬
nünftig gespeißt hatte. -- "Und daß Du's weißt," sagte
der Eine zu mir, -- "aber Du kennst uns doch nicht?" --
ich schüttelte mit dem Kopfe. -- "Also, daß Du's weißt:
ich bin der Maler Leonhard, und das dort ist -- wie¬
der ein Maler -- Guido geheißen."

Ich besah mir nun die beiden Maler genauer bei
der Morgendämmerung. Der Eine, Herr Leonhard,
war groß, schlank, braun, mit lustigen feurigen Augen.
Der Andere war viel jünger, kleiner und feiner, auf
altdeutsche Mode gekleidet, wie es der Portier nannte,
mit weißem Kragen und bloßen Hals, um den die
dunkelbraunen Locken herab hingen, die er oft aus dem
hübschen Gesichte wegschütteln mußte. -- Als dieser
genug gefrühstückt hatte, griff er nach meiner Geige,
die ich neben mir auf den Boden gelegt hatte, setzte
sich damit auf einen umgehauenen Baumast, und klim¬
perte darauf mit den Fingern. Dann sang er dazu so
hell wie ein Waldvögelein, daß es mir recht durch's
ganze Herz klang:

Fliegt der erste Morgenstrahl
Durch das stille Nebelthal,
Rauscht erwachend Wald und Hügel:
Wer da fliegen kann, nimmt Flügel!

ten und Weinflaſchen, breiteten eine ſchoͤne bunte Decke
auf dem gruͤnen Raſen aus, ſtreckten ſich daruͤber hin
und ſchmaußten ſehr vergnuͤglich, theilten auch mir
von Allem ſehr reichlich mit, was mir gar wohl be¬
kam, da ich ſeit einigen Tagen ſchon nicht mehr ver¬
nuͤnftig geſpeißt hatte. — „Und daß Du's weißt,“ ſagte
der Eine zu mir, — „aber Du kennſt uns doch nicht?“ —
ich ſchuͤttelte mit dem Kopfe. — „Alſo, daß Du's weißt:
ich bin der Maler Leonhard, und das dort iſt — wie¬
der ein Maler — Guido geheißen.

Ich beſah mir nun die beiden Maler genauer bei
der Morgendaͤmmerung. Der Eine, Herr Leonhard,
war groß, ſchlank, braun, mit luſtigen feurigen Augen.
Der Andere war viel juͤnger, kleiner und feiner, auf
altdeutſche Mode gekleidet, wie es der Portier nannte,
mit weißem Kragen und bloßen Hals, um den die
dunkelbraunen Locken herab hingen, die er oft aus dem
huͤbſchen Geſichte wegſchuͤtteln mußte. — Als dieſer
genug gefruͤhſtuͤckt hatte, griff er nach meiner Geige,
die ich neben mir auf den Boden gelegt hatte, ſetzte
ſich damit auf einen umgehauenen Baumaſt, und klim¬
perte darauf mit den Fingern. Dann ſang er dazu ſo
hell wie ein Waldvoͤgelein, daß es mir recht durch's
ganze Herz klang:

Fliegt der erſte Morgenſtrahl
Durch das ſtille Nebelthal,
Rauſcht erwachend Wald und Huͤgel:
Wer da fliegen kann, nimmt Fluͤgel!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0060" n="50"/>
ten und Weinfla&#x017F;chen, breiteten eine &#x017F;cho&#x0364;ne bunte Decke<lb/>
auf dem gru&#x0364;nen Ra&#x017F;en aus, &#x017F;treckten &#x017F;ich daru&#x0364;ber hin<lb/>
und &#x017F;chmaußten &#x017F;ehr vergnu&#x0364;glich, theilten auch mir<lb/>
von Allem &#x017F;ehr reichlich mit, was mir gar wohl be¬<lb/>
kam, da ich &#x017F;eit einigen Tagen &#x017F;chon nicht mehr ver¬<lb/>
nu&#x0364;nftig ge&#x017F;peißt hatte. &#x2014; &#x201E;Und daß Du's weißt,&#x201C; &#x017F;agte<lb/>
der Eine zu mir, &#x2014; &#x201E;aber Du kenn&#x017F;t uns doch nicht?&#x201C; &#x2014;<lb/>
ich &#x017F;chu&#x0364;ttelte mit dem Kopfe. &#x2014; &#x201E;Al&#x017F;o, daß Du's weißt:<lb/>
ich bin der Maler Leonhard, und das dort i&#x017F;t &#x2014; wie¬<lb/>
der ein Maler &#x2014; Guido geheißen.<choice><sic/><corr>&#x201C;</corr></choice></p><lb/>
          <p>Ich be&#x017F;ah mir nun die beiden Maler genauer bei<lb/>
der Morgenda&#x0364;mmerung. Der Eine, Herr Leonhard,<lb/>
war groß, &#x017F;chlank, braun, mit lu&#x017F;tigen feurigen Augen.<lb/>
Der Andere war viel ju&#x0364;nger, kleiner und feiner, auf<lb/>
altdeut&#x017F;che Mode gekleidet, wie es der Portier nannte,<lb/>
mit weißem Kragen und bloßen Hals, um den die<lb/>
dunkelbraunen Locken herab hingen, die er oft aus dem<lb/>
hu&#x0364;b&#x017F;chen Ge&#x017F;ichte weg&#x017F;chu&#x0364;tteln mußte. &#x2014; Als die&#x017F;er<lb/>
genug gefru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;ckt hatte, griff er nach meiner Geige,<lb/>
die ich neben mir auf den Boden gelegt hatte, &#x017F;etzte<lb/>
&#x017F;ich damit auf einen umgehauenen Bauma&#x017F;t, und klim¬<lb/>
perte darauf mit den Fingern. Dann &#x017F;ang er dazu &#x017F;o<lb/>
hell wie ein Waldvo&#x0364;gelein, daß es mir recht durch's<lb/>
ganze Herz klang:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Fliegt der er&#x017F;te Morgen&#x017F;trahl</l><lb/>
              <l>Durch das &#x017F;tille Nebelthal,</l><lb/>
              <l>Rau&#x017F;cht erwachend Wald und Hu&#x0364;gel:</l><lb/>
              <l>Wer da fliegen kann, nimmt Flu&#x0364;gel!</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0060] ten und Weinflaſchen, breiteten eine ſchoͤne bunte Decke auf dem gruͤnen Raſen aus, ſtreckten ſich daruͤber hin und ſchmaußten ſehr vergnuͤglich, theilten auch mir von Allem ſehr reichlich mit, was mir gar wohl be¬ kam, da ich ſeit einigen Tagen ſchon nicht mehr ver¬ nuͤnftig geſpeißt hatte. — „Und daß Du's weißt,“ ſagte der Eine zu mir, — „aber Du kennſt uns doch nicht?“ — ich ſchuͤttelte mit dem Kopfe. — „Alſo, daß Du's weißt: ich bin der Maler Leonhard, und das dort iſt — wie¬ der ein Maler — Guido geheißen.“ Ich beſah mir nun die beiden Maler genauer bei der Morgendaͤmmerung. Der Eine, Herr Leonhard, war groß, ſchlank, braun, mit luſtigen feurigen Augen. Der Andere war viel juͤnger, kleiner und feiner, auf altdeutſche Mode gekleidet, wie es der Portier nannte, mit weißem Kragen und bloßen Hals, um den die dunkelbraunen Locken herab hingen, die er oft aus dem huͤbſchen Geſichte wegſchuͤtteln mußte. — Als dieſer genug gefruͤhſtuͤckt hatte, griff er nach meiner Geige, die ich neben mir auf den Boden gelegt hatte, ſetzte ſich damit auf einen umgehauenen Baumaſt, und klim¬ perte darauf mit den Fingern. Dann ſang er dazu ſo hell wie ein Waldvoͤgelein, daß es mir recht durch's ganze Herz klang: Fliegt der erſte Morgenſtrahl Durch das ſtille Nebelthal, Rauſcht erwachend Wald und Huͤgel: Wer da fliegen kann, nimmt Fluͤgel!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/60
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/60>, abgerufen am 05.05.2024.