Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826."Es ist gar seltsam," unterbrach sie ablenkend das Er konnte endlich den Zwang nicht länger aus¬ Das Fenster in seinem Zimmer stand offen, er „Es iſt gar ſeltſam,“ unterbrach ſie ablenkend das Er konnte endlich den Zwang nicht laͤnger aus¬ Das Fenſter in ſeinem Zimmer ſtand offen, er <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0188" n="178"/> „Es iſt gar ſeltſam,“ unterbrach ſie ablenkend das<lb/> Stillſchweigen, „ſo ploͤtzlich aus der lauten Luſt in die<lb/> weite Nacht hinauszutreten. Seht nur, die Wolken<lb/> gehn oft ſo ſchreckhaft wechſelnd uͤber den Himmel,<lb/> daß man wahnſinnig werden muͤßte, wenn man lange<lb/> hineinſaͤhe; bald wie ungeheure Mondgebirge mit<lb/> ſchwindlichen Abgruͤnden und ſchrecklichen Zacken, or¬<lb/> dentlich wie Geſichter, bald wieder wie Drachen, oft<lb/> ploͤtzlich lange Haͤlſe ausſtreckend, und drunter ſchießt<lb/> der Fluß heimlich wie eine goldne Schlange durch das<lb/> Dunkel, das weiße Haus da druͤben ſieht aus wie ein<lb/> ſtilles Marmorbild.“ — „Wo?“ fuhr Florio, bei die¬<lb/> ſem Worte heftig erſchreckt, aus ſeinen Gedanken auf. —<lb/> Das Maͤdchen ſah ihn verwundert an, und beide ſchwie¬<lb/> gen einige Augenblicke ſtill. — „Ihr werdet Lucca<lb/> verlaſſen?“ ſagte ſie endlich zoͤgernd und leiſe, als<lb/> fuͤrchtete ſie ſich vor einer Antwort. „Nein,“ erwie¬<lb/> derte Florio zerſtreut, „doch, ja, ja, bald, recht ſehr<lb/> bald!“ — Sie ſchien noch etwas ſagen zu wollen,<lb/> wandte aber ploͤtzlich, die Worte zuruͤckdraͤngend, ihr<lb/> Geſicht ab in die Dunkelheit.</p><lb/> <p>Er konnte endlich den Zwang nicht laͤnger aus¬<lb/> halten. Sein Herz war ſo voll und gepreßt und doch<lb/> ſo uͤberſelig. Er nahm ſchnell Abſchied, eilte hinab<lb/> und ritt ohne Fortunato und alle Begleitung in die<lb/> Stadt zuruͤck.</p><lb/> <p>Das Fenſter in ſeinem Zimmer ſtand offen, er<lb/> blickte fluͤchtig noch einmal hinaus. Die Gegend draußen<lb/> lag unkenntlich und ſtill wie eine wunderbar verſchraͤnkte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [178/0188]
„Es iſt gar ſeltſam,“ unterbrach ſie ablenkend das
Stillſchweigen, „ſo ploͤtzlich aus der lauten Luſt in die
weite Nacht hinauszutreten. Seht nur, die Wolken
gehn oft ſo ſchreckhaft wechſelnd uͤber den Himmel,
daß man wahnſinnig werden muͤßte, wenn man lange
hineinſaͤhe; bald wie ungeheure Mondgebirge mit
ſchwindlichen Abgruͤnden und ſchrecklichen Zacken, or¬
dentlich wie Geſichter, bald wieder wie Drachen, oft
ploͤtzlich lange Haͤlſe ausſtreckend, und drunter ſchießt
der Fluß heimlich wie eine goldne Schlange durch das
Dunkel, das weiße Haus da druͤben ſieht aus wie ein
ſtilles Marmorbild.“ — „Wo?“ fuhr Florio, bei die¬
ſem Worte heftig erſchreckt, aus ſeinen Gedanken auf. —
Das Maͤdchen ſah ihn verwundert an, und beide ſchwie¬
gen einige Augenblicke ſtill. — „Ihr werdet Lucca
verlaſſen?“ ſagte ſie endlich zoͤgernd und leiſe, als
fuͤrchtete ſie ſich vor einer Antwort. „Nein,“ erwie¬
derte Florio zerſtreut, „doch, ja, ja, bald, recht ſehr
bald!“ — Sie ſchien noch etwas ſagen zu wollen,
wandte aber ploͤtzlich, die Worte zuruͤckdraͤngend, ihr
Geſicht ab in die Dunkelheit.
Er konnte endlich den Zwang nicht laͤnger aus¬
halten. Sein Herz war ſo voll und gepreßt und doch
ſo uͤberſelig. Er nahm ſchnell Abſchied, eilte hinab
und ritt ohne Fortunato und alle Begleitung in die
Stadt zuruͤck.
Das Fenſter in ſeinem Zimmer ſtand offen, er
blickte fluͤchtig noch einmal hinaus. Die Gegend draußen
lag unkenntlich und ſtill wie eine wunderbar verſchraͤnkte
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