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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

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und schweigend stiegen sie in dem stillgewordnen Hause
die Stufen hinan. "Ich löse nun mein Wort," sagte
Fortunato, indem sie auf der Terrasse über dem Dache
der Villa anlangten, wo noch eine kleine Gesellschaft
unter dem heiter gestirnten Himmel versammelt war.
Florio erkannte sogleich mehrere Gesichter, die er an
jenem ersten fröhlichen Abend bei den Zelten gesehen.
Mitten unter ihnen erblickte er auch seine schöne Nach¬
barin wieder. Aber der fröhliche Blumenkranz fehlte
heute in den Haaren, ohne Band, ohne Schmuck wall¬
ten die schönen Locken um das Köpfchen und den zier¬
lichen Hals. Er stand fast betroffen still bei dem An¬
blick. Die Erinerung an jenen Abend überflog ihn mit
einer seltsam wehmüthigen Gewalt. Es war ihm, als
sey das schon lange her, so ganz anders war alles seit¬
dem geworden.

Das Fräulein wurde Bianka genannt, und ihm
als Pietro's Nichte vorgestellt. Sie schien ganz ver¬
schüchtert, als er sich ihr näherte, und wagte es kaum
zu ihm aufzublicken. Er äußerte ihr seine Verwun¬
derung, sie diesen Abend hindurch nicht gesehen zu ha¬
ben. "Ihr habt mich öfter gesehen," sagte sie leise,
und er glaubte dieses Flüstern wieder zu erkennen. --
Währenddeß wurde sie die Rose an seiner Brust gewahr,
welche er von der Griechin erhalten, und schlug errö¬
thend die Augen nieder. Florio bemerkte es wohl, ihm
fiel dabei ein, wie er nach dem Tanze die Griechin
doppelt gesehen. Mein Gott! dachte er verwirrt bei
sich, wer war denn das? --

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und ſchweigend ſtiegen ſie in dem ſtillgewordnen Hauſe
die Stufen hinan. „Ich loͤſe nun mein Wort,“ ſagte
Fortunato, indem ſie auf der Terraſſe uͤber dem Dache
der Villa anlangten, wo noch eine kleine Geſellſchaft
unter dem heiter geſtirnten Himmel verſammelt war.
Florio erkannte ſogleich mehrere Geſichter, die er an
jenem erſten froͤhlichen Abend bei den Zelten geſehen.
Mitten unter ihnen erblickte er auch ſeine ſchoͤne Nach¬
barin wieder. Aber der froͤhliche Blumenkranz fehlte
heute in den Haaren, ohne Band, ohne Schmuck wall¬
ten die ſchoͤnen Locken um das Koͤpfchen und den zier¬
lichen Hals. Er ſtand faſt betroffen ſtill bei dem An¬
blick. Die Erinerung an jenen Abend uͤberflog ihn mit
einer ſeltſam wehmuͤthigen Gewalt. Es war ihm, als
ſey das ſchon lange her, ſo ganz anders war alles ſeit¬
dem geworden.

Das Fraͤulein wurde Bianka genannt, und ihm
als Pietro's Nichte vorgeſtellt. Sie ſchien ganz ver¬
ſchuͤchtert, als er ſich ihr naͤherte, und wagte es kaum
zu ihm aufzublicken. Er aͤußerte ihr ſeine Verwun¬
derung, ſie dieſen Abend hindurch nicht geſehen zu ha¬
ben. „Ihr habt mich oͤfter geſehen,“ ſagte ſie leiſe,
und er glaubte dieſes Fluͤſtern wieder zu erkennen. —
Waͤhrenddeß wurde ſie die Roſe an ſeiner Bruſt gewahr,
welche er von der Griechin erhalten, und ſchlug erroͤ¬
thend die Augen nieder. Florio bemerkte es wohl, ihm
fiel dabei ein, wie er nach dem Tanze die Griechin
doppelt geſehen. Mein Gott! dachte er verwirrt bei
ſich, wer war denn das? —

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[177/0187] und ſchweigend ſtiegen ſie in dem ſtillgewordnen Hauſe die Stufen hinan. „Ich loͤſe nun mein Wort,“ ſagte Fortunato, indem ſie auf der Terraſſe uͤber dem Dache der Villa anlangten, wo noch eine kleine Geſellſchaft unter dem heiter geſtirnten Himmel verſammelt war. Florio erkannte ſogleich mehrere Geſichter, die er an jenem erſten froͤhlichen Abend bei den Zelten geſehen. Mitten unter ihnen erblickte er auch ſeine ſchoͤne Nach¬ barin wieder. Aber der froͤhliche Blumenkranz fehlte heute in den Haaren, ohne Band, ohne Schmuck wall¬ ten die ſchoͤnen Locken um das Koͤpfchen und den zier¬ lichen Hals. Er ſtand faſt betroffen ſtill bei dem An¬ blick. Die Erinerung an jenen Abend uͤberflog ihn mit einer ſeltſam wehmuͤthigen Gewalt. Es war ihm, als ſey das ſchon lange her, ſo ganz anders war alles ſeit¬ dem geworden. Das Fraͤulein wurde Bianka genannt, und ihm als Pietro's Nichte vorgeſtellt. Sie ſchien ganz ver¬ ſchuͤchtert, als er ſich ihr naͤherte, und wagte es kaum zu ihm aufzublicken. Er aͤußerte ihr ſeine Verwun¬ derung, ſie dieſen Abend hindurch nicht geſehen zu ha¬ ben. „Ihr habt mich oͤfter geſehen,“ ſagte ſie leiſe, und er glaubte dieſes Fluͤſtern wieder zu erkennen. — Waͤhrenddeß wurde ſie die Roſe an ſeiner Bruſt gewahr, welche er von der Griechin erhalten, und ſchlug erroͤ¬ thend die Augen nieder. Florio bemerkte es wohl, ihm fiel dabei ein, wie er nach dem Tanze die Griechin doppelt geſehen. Mein Gott! dachte er verwirrt bei ſich, wer war denn das? — M

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/187>, abgerufen am 28.04.2024.