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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

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Ende, eh' er sich dessen recht versah, allein mit dem
Mädchen befand. Sie blieb zögernd stehen und sah ihn
einige Augenblicke schweigend an. Die Larve war fort,
aber ein kurzer blüthenweißer Schleier, mit allerlei
wunderlichen goldgestickten Figuren verziert, verdeckte
das Gesichtchen. Er wunderte sich, daß die Scheue
nun so allein bei ihm aushielt.

"Ihr habt mich in meinem Gesange belauscht,"
sagte sie endlich freundlich. Es waren die ersten lauten
Worte, die er von ihr vernahm. Der melodische Klang
ihrer Stimme drang ihm durch die Seele, es war als
rührte sie erinnernd an alles Liebe, Schöne und Fröh¬
liche, was er im Leben erfahren. Er entschuldigte seine
Kühnheit und sprach verwirrt von der Einsamkeit, die
ihn verlockt, seiner Zerstreuung, dem Rauschen der
Wasserkunst. -- Einige Stimmen näherten sich un¬
terdeß dem Platze. Das Mädchen blickte scheu um
sich und ging rasch tiefer in die Nacht hinein. Sie
schien es gern zu sehen, daß Florio ihr folgte.

Kühn und vertraulicher bat er sie nun, sich nicht
länger zu verbergen, oder doch ihren Namen zu sagen,
damit ihre liebliche Erscheinung unter den tausend
verwirrenden Bildern des Tages ihm nicht wieder ver¬
loren ginge. "Laßt das," erwiederte sie träumerisch,
"nehmt die Blumen des Lebens fröhlich, wie sie der
Augenblick giebt, und forscht nicht nach den Wurzeln
im Grunde, denn unten ist es freudlos und still."
Florio sah sie erstaunt an; er begriff nicht, wie solche
räthselhafte Worte in den Mund des heitern Mädchens

Ende, eh' er ſich deſſen recht verſah, allein mit dem
Maͤdchen befand. Sie blieb zoͤgernd ſtehen und ſah ihn
einige Augenblicke ſchweigend an. Die Larve war fort,
aber ein kurzer bluͤthenweißer Schleier, mit allerlei
wunderlichen goldgeſtickten Figuren verziert, verdeckte
das Geſichtchen. Er wunderte ſich, daß die Scheue
nun ſo allein bei ihm aushielt.

„Ihr habt mich in meinem Geſange belauſcht,“
ſagte ſie endlich freundlich. Es waren die erſten lauten
Worte, die er von ihr vernahm. Der melodiſche Klang
ihrer Stimme drang ihm durch die Seele, es war als
ruͤhrte ſie erinnernd an alles Liebe, Schoͤne und Froͤh¬
liche, was er im Leben erfahren. Er entſchuldigte ſeine
Kuͤhnheit und ſprach verwirrt von der Einſamkeit, die
ihn verlockt, ſeiner Zerſtreuung, dem Rauſchen der
Waſſerkunſt. — Einige Stimmen naͤherten ſich un¬
terdeß dem Platze. Das Maͤdchen blickte ſcheu um
ſich und ging raſch tiefer in die Nacht hinein. Sie
ſchien es gern zu ſehen, daß Florio ihr folgte.

Kuͤhn und vertraulicher bat er ſie nun, ſich nicht
laͤnger zu verbergen, oder doch ihren Namen zu ſagen,
damit ihre liebliche Erſcheinung unter den tauſend
verwirrenden Bildern des Tages ihm nicht wieder ver¬
loren ginge. „Laßt das,“ erwiederte ſie traͤumeriſch,
„nehmt die Blumen des Lebens froͤhlich, wie ſie der
Augenblick giebt, und forſcht nicht nach den Wurzeln
im Grunde, denn unten iſt es freudlos und ſtill.“
Florio ſah ſie erſtaunt an; er begriff nicht, wie ſolche
raͤthſelhafte Worte in den Mund des heitern Maͤdchens

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[174/0184] Ende, eh' er ſich deſſen recht verſah, allein mit dem Maͤdchen befand. Sie blieb zoͤgernd ſtehen und ſah ihn einige Augenblicke ſchweigend an. Die Larve war fort, aber ein kurzer bluͤthenweißer Schleier, mit allerlei wunderlichen goldgeſtickten Figuren verziert, verdeckte das Geſichtchen. Er wunderte ſich, daß die Scheue nun ſo allein bei ihm aushielt. „Ihr habt mich in meinem Geſange belauſcht,“ ſagte ſie endlich freundlich. Es waren die erſten lauten Worte, die er von ihr vernahm. Der melodiſche Klang ihrer Stimme drang ihm durch die Seele, es war als ruͤhrte ſie erinnernd an alles Liebe, Schoͤne und Froͤh¬ liche, was er im Leben erfahren. Er entſchuldigte ſeine Kuͤhnheit und ſprach verwirrt von der Einſamkeit, die ihn verlockt, ſeiner Zerſtreuung, dem Rauſchen der Waſſerkunſt. — Einige Stimmen naͤherten ſich un¬ terdeß dem Platze. Das Maͤdchen blickte ſcheu um ſich und ging raſch tiefer in die Nacht hinein. Sie ſchien es gern zu ſehen, daß Florio ihr folgte. Kuͤhn und vertraulicher bat er ſie nun, ſich nicht laͤnger zu verbergen, oder doch ihren Namen zu ſagen, damit ihre liebliche Erſcheinung unter den tauſend verwirrenden Bildern des Tages ihm nicht wieder ver¬ loren ginge. „Laßt das,“ erwiederte ſie traͤumeriſch, „nehmt die Blumen des Lebens froͤhlich, wie ſie der Augenblick giebt, und forſcht nicht nach den Wurzeln im Grunde, denn unten iſt es freudlos und ſtill.“ Florio ſah ſie erſtaunt an; er begriff nicht, wie ſolche raͤthſelhafte Worte in den Mund des heitern Maͤdchens

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/184>, abgerufen am 27.04.2024.