Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.Was weckst du, Frühling, mich von neuem wieder? Daß all' die alten Wünsche auferstehen, Geht über's Land ein wunderbares Wehen; Das schauert mir so lieblich durch die Glieder. Die schöne Mutter grüßen tausend Lieder, Die, wieder jung, im Brautkranz süß zu sehen; Der Wald will sprechen, rauschend Ströme gehen, Najaden tauchen singend auf und nieder. Die Rose seh' ich gehn aus grüner Klause Und, wie so buhlerisch die Lüfte fächeln, Erröthend in die laue Fluth sich dehnen. So mich auch ruft ihr aus dem stillen Hause -- Und schmerzlich nun muß ich im Frühling lächeln, Versinkend zwischen Duft und Klang vor Sehnen. So singend wandelte sie fort, bald in dem Grü¬ Was weckſt du, Fruͤhling, mich von neuem wieder? Daß all' die alten Wuͤnſche auferſtehen, Geht uͤber's Land ein wunderbares Wehen; Das ſchauert mir ſo lieblich durch die Glieder. Die ſchoͤne Mutter gruͤßen tauſend Lieder, Die, wieder jung, im Brautkranz ſuͤß zu ſehen; Der Wald will ſprechen, rauſchend Stroͤme gehen, Najaden tauchen ſingend auf und nieder. Die Roſe ſeh' ich gehn aus gruͤner Klauſe Und, wie ſo buhleriſch die Luͤfte faͤcheln, Erroͤthend in die laue Fluth ſich dehnen. So mich auch ruft ihr aus dem ſtillen Hauſe — Und ſchmerzlich nun muß ich im Fruͤhling laͤcheln, Verſinkend zwiſchen Duft und Klang vor Sehnen. So ſingend wandelte ſie fort, bald in dem Gruͤ¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0172" n="162"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Was weckſt du, Fruͤhling, mich von neuem wieder?</l><lb/> <l>Daß all' die alten Wuͤnſche auferſtehen,</l><lb/> <l>Geht uͤber's Land ein wunderbares Wehen;</l><lb/> <l>Das ſchauert mir ſo lieblich durch die Glieder.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Die ſchoͤne Mutter gruͤßen tauſend Lieder,</l><lb/> <l>Die, wieder jung, im Brautkranz ſuͤß zu ſehen;</l><lb/> <l>Der Wald will ſprechen, rauſchend Stroͤme gehen,</l><lb/> <l>Najaden tauchen ſingend auf und nieder.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Die Roſe ſeh' ich gehn aus gruͤner Klauſe</l><lb/> <l>Und, wie ſo buhleriſch die Luͤfte faͤcheln,</l><lb/> <l>Erroͤthend in die laue Fluth ſich dehnen.</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>So mich auch ruft ihr aus dem ſtillen Hauſe —</l><lb/> <l>Und ſchmerzlich nun muß ich im Fruͤhling laͤcheln,</l><lb/> <l>Verſinkend zwiſchen Duft und Klang vor Sehnen.</l><lb/> </lg> </lg> <p>So ſingend wandelte ſie fort, bald in dem Gruͤ¬<lb/> nen verſchwindend, bald wieder erſcheinend, immer fer¬<lb/> ner und ferner, bis ſie ſich endlich in der Gegend des<lb/> Palaſtes ganz verlor. Nun war es auf einmal wieder<lb/> ſtille, nur die Baͤume und Waſſerkuͤnſte rauſchten wie<lb/> vorher. Florio ſtand in bluͤhende Traͤume verſunken,<lb/> es war ihm, als haͤtte er die ſchoͤne Lautenſpielerin ſchon<lb/> lange gekannt und nur in der Zerſtreuung des Lebens<lb/> wieder vergeſſen und verloren, als ginge ſie nun vor<lb/> Wehmuth zwiſchen dem Quellenrauſchen unter und<lb/> riefe ihn unaufhoͤrlich, ihr zu folgen. — Tiefbewegt<lb/> eilte er weiter in den Garten hinein auf die Gegend<lb/> zu, wo ſie verſchwunden war. Da kam er unter ur¬<lb/> alten Baͤumen an ein verfallen Mauerwerk, an dem<lb/> noch hin und wieder ſchoͤne Bildereien halb kenntlich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [162/0172]
Was weckſt du, Fruͤhling, mich von neuem wieder?
Daß all' die alten Wuͤnſche auferſtehen,
Geht uͤber's Land ein wunderbares Wehen;
Das ſchauert mir ſo lieblich durch die Glieder.
Die ſchoͤne Mutter gruͤßen tauſend Lieder,
Die, wieder jung, im Brautkranz ſuͤß zu ſehen;
Der Wald will ſprechen, rauſchend Stroͤme gehen,
Najaden tauchen ſingend auf und nieder.
Die Roſe ſeh' ich gehn aus gruͤner Klauſe
Und, wie ſo buhleriſch die Luͤfte faͤcheln,
Erroͤthend in die laue Fluth ſich dehnen.
So mich auch ruft ihr aus dem ſtillen Hauſe —
Und ſchmerzlich nun muß ich im Fruͤhling laͤcheln,
Verſinkend zwiſchen Duft und Klang vor Sehnen.
So ſingend wandelte ſie fort, bald in dem Gruͤ¬
nen verſchwindend, bald wieder erſcheinend, immer fer¬
ner und ferner, bis ſie ſich endlich in der Gegend des
Palaſtes ganz verlor. Nun war es auf einmal wieder
ſtille, nur die Baͤume und Waſſerkuͤnſte rauſchten wie
vorher. Florio ſtand in bluͤhende Traͤume verſunken,
es war ihm, als haͤtte er die ſchoͤne Lautenſpielerin ſchon
lange gekannt und nur in der Zerſtreuung des Lebens
wieder vergeſſen und verloren, als ginge ſie nun vor
Wehmuth zwiſchen dem Quellenrauſchen unter und
riefe ihn unaufhoͤrlich, ihr zu folgen. — Tiefbewegt
eilte er weiter in den Garten hinein auf die Gegend
zu, wo ſie verſchwunden war. Da kam er unter ur¬
alten Baͤumen an ein verfallen Mauerwerk, an dem
noch hin und wieder ſchoͤne Bildereien halb kenntlich
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Zitationshilfe: | Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/172>, abgerufen am 28.07.2024. |