ihm, als sey das alles lange versunken, und über ihm ginge der Strom der Tage mit leichten, klaren Wel¬ len, und unten läge nur der Garten gebunden und verzaubert und träumte von dem vergangenen Leben.
Er war noch nicht weit vorgedrungen, als er Lau¬ tenklänge vernahm, bald stärker, bald wieder in dem Rauschen der Springbrunnen leise verhallend. Lau¬ schend blieb er stehn, die Töne kamen immer näher und näher, da trat plötzlich in dem stillen Bogengange eine hohe schlanke Dame von wundersamer Schönheit zwischen den grünen Bäumen hervor, langsam wan¬ delnd und ohne aufzublicken. Sie trug eine prächtige mit goldnem Bildwerk gezierte Laute im Arm, auf der sie, wie in tiefe Gedanken versunken, einzelne Accorde griff. Ihr langes goldenes Haar fiel in reichen Locken über die fast blassen, blendendweißen Achseln bis in den Rücken hinab; die langen weiten Aermel, wie vom Blüthenschnee gewoben, wurden von zierlichen golde¬ nen Spangen gehalten; den schönen Leib umschloß ein himmelblaues Gewand, ringsum an den Enden mit buntglühenden, wunderbar in einander verschlungenen Blumen gestickt. Ein heller Sonnenblick durch eine Oeffnung des Bogenganges schweifte so eben scharfbe¬ leuchtend über die blühende Gestalt. Florio fuhr in¬ nerlichst zusammen -- es waren unverkennbar die Züge, die Gestalt des schönen Venusbildes, das er heute Nacht am Weiher gesehen. -- Sie aber sang, ohne den Fremden zu bemerken:
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ihm, als ſey das alles lange verſunken, und uͤber ihm ginge der Strom der Tage mit leichten, klaren Wel¬ len, und unten laͤge nur der Garten gebunden und verzaubert und traͤumte von dem vergangenen Leben.
Er war noch nicht weit vorgedrungen, als er Lau¬ tenklaͤnge vernahm, bald ſtaͤrker, bald wieder in dem Rauſchen der Springbrunnen leiſe verhallend. Lau¬ ſchend blieb er ſtehn, die Toͤne kamen immer naͤher und naͤher, da trat ploͤtzlich in dem ſtillen Bogengange eine hohe ſchlanke Dame von wunderſamer Schoͤnheit zwiſchen den gruͤnen Baͤumen hervor, langſam wan¬ delnd und ohne aufzublicken. Sie trug eine praͤchtige mit goldnem Bildwerk gezierte Laute im Arm, auf der ſie, wie in tiefe Gedanken verſunken, einzelne Accorde griff. Ihr langes goldenes Haar fiel in reichen Locken uͤber die faſt blaſſen, blendendweißen Achſeln bis in den Ruͤcken hinab; die langen weiten Aermel, wie vom Bluͤthenſchnee gewoben, wurden von zierlichen golde¬ nen Spangen gehalten; den ſchoͤnen Leib umſchloß ein himmelblaues Gewand, ringsum an den Enden mit buntgluͤhenden, wunderbar in einander verſchlungenen Blumen geſtickt. Ein heller Sonnenblick durch eine Oeffnung des Bogenganges ſchweifte ſo eben ſcharfbe¬ leuchtend uͤber die bluͤhende Geſtalt. Florio fuhr in¬ nerlichſt zuſammen — es waren unverkennbar die Zuͤge, die Geſtalt des ſchoͤnen Venusbildes, das er heute Nacht am Weiher geſehen. — Sie aber ſang, ohne den Fremden zu bemerken:
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ihm, als ſey das alles lange verſunken, und uͤber ihm
ginge der Strom der Tage mit leichten, klaren Wel¬
len, und unten laͤge nur der Garten gebunden und
verzaubert und traͤumte von dem vergangenen Leben.
Er war noch nicht weit vorgedrungen, als er Lau¬
tenklaͤnge vernahm, bald ſtaͤrker, bald wieder in dem
Rauſchen der Springbrunnen leiſe verhallend. Lau¬
ſchend blieb er ſtehn, die Toͤne kamen immer naͤher
und naͤher, da trat ploͤtzlich in dem ſtillen Bogengange
eine hohe ſchlanke Dame von wunderſamer Schoͤnheit
zwiſchen den gruͤnen Baͤumen hervor, langſam wan¬
delnd und ohne aufzublicken. Sie trug eine praͤchtige
mit goldnem Bildwerk gezierte Laute im Arm, auf der
ſie, wie in tiefe Gedanken verſunken, einzelne Accorde
griff. Ihr langes goldenes Haar fiel in reichen Locken
uͤber die faſt blaſſen, blendendweißen Achſeln bis in
den Ruͤcken hinab; die langen weiten Aermel, wie vom
Bluͤthenſchnee gewoben, wurden von zierlichen golde¬
nen Spangen gehalten; den ſchoͤnen Leib umſchloß ein
himmelblaues Gewand, ringsum an den Enden mit
buntgluͤhenden, wunderbar in einander verſchlungenen
Blumen geſtickt. Ein heller Sonnenblick durch eine
Oeffnung des Bogenganges ſchweifte ſo eben ſcharfbe¬
leuchtend uͤber die bluͤhende Geſtalt. Florio fuhr in¬
nerlichſt zuſammen — es waren unverkennbar die Zuͤge,
die Geſtalt des ſchoͤnen Venusbildes, das er heute
Nacht am Weiher geſehen. — Sie aber ſang, ohne
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/171>, abgerufen am 27.07.2024.
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