Nacht wieder verschlungen hat! Kam er mir doch wahr¬ haftig vor, wie einer von den falben ungestalten Nacht¬ schmetterlingen, die wie aus einem phantastischen Traume entflogen durch die Dämmerung schwirren, und mit ihrem langen Katzenbarte und gräßlich großen Augen ordentlich ein Gesicht haben wollen. Florio, der sich mit Donati schon ziemlich befreundet hatte, äußerte seine Verwunderung über dieses harte Urtheil. Aber der Sänger, durch solche erstaunliche Sanftmuth nur immer mehr gereizt, schimpfte lustig fort nnd nannte den Ritter, zu Florio's heimlichem Aerger, einen Mond¬ scheinjäger, einen Schmachthahn, einen Renomisten in der Melancholie.
Unter solcherlei Gesprächen waren sie endlich bei der Herberge angelangt, und Jeder begab sich bald in das ihm angewiesene Gemach.
Florio warf sich angekleidet auf das Ruhebett hin, aber er konnte lange nicht einschlafen. In seiner von den Bildern des Tages aufgeregten Seele wogte und hallte und sang es noch immer fort. Und wie die Thüren im Hause nun immer seltner auf und zugin¬ gen, nur manchmal noch eine Stimme erschallte, bis endlich Haus, Stadt und Feld in tiefe Stille versank: da war es ihm, als führe er mit schwanenweißen See¬ geln einsam auf einem mondbeglänzten Meer. Leise schlugen die Wellen an das Schiff, Sirenen tauchten aus dem Wasser, die alle aussahen, wie das schöne Mädchen mit dem Blumenkranze vom vorigen Abend. Sie sang so wunderbar, traurig und ohne Ende, als
Nacht wieder verſchlungen hat! Kam er mir doch wahr¬ haftig vor, wie einer von den falben ungeſtalten Nacht¬ ſchmetterlingen, die wie aus einem phantaſtiſchen Traume entflogen durch die Daͤmmerung ſchwirren, und mit ihrem langen Katzenbarte und graͤßlich großen Augen ordentlich ein Geſicht haben wollen. Florio, der ſich mit Donati ſchon ziemlich befreundet hatte, aͤußerte ſeine Verwunderung uͤber dieſes harte Urtheil. Aber der Saͤnger, durch ſolche erſtaunliche Sanftmuth nur immer mehr gereizt, ſchimpfte luſtig fort nnd nannte den Ritter, zu Florio's heimlichem Aerger, einen Mond¬ ſcheinjaͤger, einen Schmachthahn, einen Renomiſten in der Melancholie.
Unter ſolcherlei Geſpraͤchen waren ſie endlich bei der Herberge angelangt, und Jeder begab ſich bald in das ihm angewieſene Gemach.
Florio warf ſich angekleidet auf das Ruhebett hin, aber er konnte lange nicht einſchlafen. In ſeiner von den Bildern des Tages aufgeregten Seele wogte und hallte und ſang es noch immer fort. Und wie die Thuͤren im Hauſe nun immer ſeltner auf und zugin¬ gen, nur manchmal noch eine Stimme erſchallte, bis endlich Haus, Stadt und Feld in tiefe Stille verſank: da war es ihm, als fuͤhre er mit ſchwanenweißen See¬ geln einſam auf einem mondbeglaͤnzten Meer. Leiſe ſchlugen die Wellen an das Schiff, Sirenen tauchten aus dem Waſſer, die alle ausſahen, wie das ſchoͤne Maͤdchen mit dem Blumenkranze vom vorigen Abend. Sie ſang ſo wunderbar, traurig und ohne Ende, als
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0162"n="152"/>
Nacht wieder verſchlungen hat! Kam er mir doch wahr¬<lb/>
haftig vor, wie einer von den falben ungeſtalten Nacht¬<lb/>ſchmetterlingen, die wie aus einem phantaſtiſchen Traume<lb/>
entflogen durch die Daͤmmerung ſchwirren, und mit<lb/>
ihrem langen Katzenbarte und graͤßlich großen Augen<lb/>
ordentlich ein Geſicht haben wollen. Florio, der ſich<lb/>
mit Donati ſchon ziemlich befreundet hatte, aͤußerte<lb/>ſeine Verwunderung uͤber dieſes harte Urtheil. Aber<lb/>
der Saͤnger, durch ſolche erſtaunliche Sanftmuth nur<lb/>
immer mehr gereizt, ſchimpfte luſtig fort nnd nannte<lb/>
den Ritter, zu Florio's heimlichem Aerger, einen Mond¬<lb/>ſcheinjaͤger, einen Schmachthahn, einen Renomiſten in<lb/>
der Melancholie.</p><lb/><p>Unter ſolcherlei Geſpraͤchen waren ſie endlich bei<lb/>
der Herberge angelangt, und Jeder begab ſich bald in<lb/>
das ihm angewieſene Gemach.</p><lb/><p>Florio warf ſich angekleidet auf das Ruhebett hin,<lb/>
aber er konnte lange nicht einſchlafen. In ſeiner von<lb/>
den Bildern des Tages aufgeregten Seele wogte und<lb/>
hallte <choice><sic>uud</sic><corr>und</corr></choice>ſang es noch immer fort. Und wie die<lb/>
Thuͤren im Hauſe nun immer ſeltner auf und zugin¬<lb/>
gen, nur manchmal noch eine Stimme erſchallte, bis<lb/>
endlich Haus, Stadt und Feld in tiefe Stille verſank:<lb/>
da war es ihm, als fuͤhre er mit ſchwanenweißen See¬<lb/>
geln einſam auf einem mondbeglaͤnzten Meer. Leiſe<lb/>ſchlugen die Wellen an das Schiff, Sirenen tauchten<lb/>
aus dem Waſſer, die alle ausſahen, wie das ſchoͤne<lb/>
Maͤdchen mit dem Blumenkranze vom vorigen Abend.<lb/>
Sie ſang ſo wunderbar, traurig und ohne Ende, als<lb/></p></div></body></text></TEI>
[152/0162]
Nacht wieder verſchlungen hat! Kam er mir doch wahr¬
haftig vor, wie einer von den falben ungeſtalten Nacht¬
ſchmetterlingen, die wie aus einem phantaſtiſchen Traume
entflogen durch die Daͤmmerung ſchwirren, und mit
ihrem langen Katzenbarte und graͤßlich großen Augen
ordentlich ein Geſicht haben wollen. Florio, der ſich
mit Donati ſchon ziemlich befreundet hatte, aͤußerte
ſeine Verwunderung uͤber dieſes harte Urtheil. Aber
der Saͤnger, durch ſolche erſtaunliche Sanftmuth nur
immer mehr gereizt, ſchimpfte luſtig fort nnd nannte
den Ritter, zu Florio's heimlichem Aerger, einen Mond¬
ſcheinjaͤger, einen Schmachthahn, einen Renomiſten in
der Melancholie.
Unter ſolcherlei Geſpraͤchen waren ſie endlich bei
der Herberge angelangt, und Jeder begab ſich bald in
das ihm angewieſene Gemach.
Florio warf ſich angekleidet auf das Ruhebett hin,
aber er konnte lange nicht einſchlafen. In ſeiner von
den Bildern des Tages aufgeregten Seele wogte und
hallte und ſang es noch immer fort. Und wie die
Thuͤren im Hauſe nun immer ſeltner auf und zugin¬
gen, nur manchmal noch eine Stimme erſchallte, bis
endlich Haus, Stadt und Feld in tiefe Stille verſank:
da war es ihm, als fuͤhre er mit ſchwanenweißen See¬
geln einſam auf einem mondbeglaͤnzten Meer. Leiſe
ſchlugen die Wellen an das Schiff, Sirenen tauchten
aus dem Waſſer, die alle ausſahen, wie das ſchoͤne
Maͤdchen mit dem Blumenkranze vom vorigen Abend.
Sie ſang ſo wunderbar, traurig und ohne Ende, als
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/162>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.