Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.VI. Wann frisch die buntgewirkten Schleier wallen, Weit in das Land die Lerchen mich verführen, Da kann ich's tief im Herzen wieder spüren, Wie mich die Eine liebt und ruft vor allen. Wenn Nachtigall'n aus grünen Hallen schallen, Wen möchten nicht die tiefen Töne rühren; Wen nicht das süße Herzeleid verführen, Im Liebesschlagen todt vom Baum zu fallen? -- So sag' auch ich bei jedem Frühlingsglanze: Du süße Laute! laß' uns beide sterben, Beklagt vom Wiederhallen zarter Töne, Kann unser Lied auch nie den Lohn erwerben, Daß hier mit eignem, frischen Blumenkranze Uns endlich kröne nun die Wunderschöne! -- VII. Der Schäfer spricht, wenn er frühmorgens weidet: "Dort drüben wohnt Sie hinter Berg' und Flüssen!" Doch seine Wunden deckt Sie gern mit Küssen, Wann lauschend Licht am stillen Abend scheidet. Ob neu der Morgenschmuck die Erde kleidet,
Ob Nachtigallen Nacht und Stern' begrüßen, Stets fern und nah bleibt meine Lieb' der Süßen, Die in dem Lenz mich ewig sucht und meidet. -- VI. Wann friſch die buntgewirkten Schleier wallen, Weit in das Land die Lerchen mich verfuͤhren, Da kann ich's tief im Herzen wieder ſpuͤren, Wie mich die Eine liebt und ruft vor allen. Wenn Nachtigall'n aus gruͤnen Hallen ſchallen, Wen moͤchten nicht die tiefen Toͤne ruͤhren; Wen nicht das ſuͤße Herzeleid verfuͤhren, Im Liebesſchlagen todt vom Baum zu fallen? — So ſag' auch ich bei jedem Fruͤhlingsglanze: Du ſuͤße Laute! laß' uns beide ſterben, Beklagt vom Wiederhallen zarter Toͤne, Kann unſer Lied auch nie den Lohn erwerben, Daß hier mit eignem, friſchen Blumenkranze Uns endlich kroͤne nun die Wunderſchoͤne! — VII. Der Schaͤfer ſpricht, wenn er fruͤhmorgens weidet: „Dort druͤben wohnt Sie hinter Berg' und Fluͤſſen!“ Doch ſeine Wunden deckt Sie gern mit Kuͤſſen, Wann lauſchend Licht am ſtillen Abend ſcheidet. Ob neu der Morgenſchmuck die Erde kleidet,
Ob Nachtigallen Nacht und Stern' begruͤßen, Stets fern und nah bleibt meine Lieb' der Suͤßen, Die in dem Lenz mich ewig ſucht und meidet. — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0363" n="345"/> <lg> <head> <hi rendition="#aq #b">VI</hi> <hi rendition="#b">.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <l>Wann friſch die buntgewirkten Schleier wallen,</l><lb/> <l>Weit in das Land die Lerchen mich verfuͤhren,</l><lb/> <l>Da kann ich's tief im Herzen wieder ſpuͤren,</l><lb/> <l>Wie mich die Eine liebt und ruft vor allen.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Wenn Nachtigall'n aus gruͤnen Hallen ſchallen,</l><lb/> <l>Wen moͤchten nicht die tiefen Toͤne ruͤhren;</l><lb/> <l>Wen nicht das ſuͤße Herzeleid verfuͤhren,</l><lb/> <l>Im Liebesſchlagen todt vom Baum zu fallen? —</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>So ſag' auch ich bei jedem Fruͤhlingsglanze:</l><lb/> <l>Du ſuͤße Laute! laß' uns beide ſterben,</l><lb/> <l>Beklagt vom Wiederhallen zarter Toͤne,</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Kann unſer Lied auch nie den Lohn erwerben,</l><lb/> <l>Daß hier mit eignem, friſchen Blumenkranze</l><lb/> <l>Uns endlich kroͤne nun die Wunderſchoͤne! —</l><lb/> </lg> </lg> <lg> <head> <hi rendition="#aq #b">VII</hi> <hi rendition="#b">.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <l>Der Schaͤfer ſpricht, wenn er fruͤhmorgens weidet:</l><lb/> <l>„Dort druͤben wohnt Sie hinter Berg' und Fluͤſſen!“</l><lb/> <l>Doch ſeine Wunden deckt Sie gern mit Kuͤſſen,</l><lb/> <l>Wann lauſchend Licht am ſtillen Abend ſcheidet.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Ob neu der Morgenſchmuck die Erde kleidet,</l><lb/> <l>Ob Nachtigallen Nacht und Stern' begruͤßen,</l><lb/> <l>Stets fern und nah bleibt <hi rendition="#g">meine</hi> Lieb' der Suͤßen,</l><lb/> <l>Die in dem Lenz mich ewig ſucht und meidet. —</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [345/0363]
VI.
Wann friſch die buntgewirkten Schleier wallen,
Weit in das Land die Lerchen mich verfuͤhren,
Da kann ich's tief im Herzen wieder ſpuͤren,
Wie mich die Eine liebt und ruft vor allen.
Wenn Nachtigall'n aus gruͤnen Hallen ſchallen,
Wen moͤchten nicht die tiefen Toͤne ruͤhren;
Wen nicht das ſuͤße Herzeleid verfuͤhren,
Im Liebesſchlagen todt vom Baum zu fallen? —
So ſag' auch ich bei jedem Fruͤhlingsglanze:
Du ſuͤße Laute! laß' uns beide ſterben,
Beklagt vom Wiederhallen zarter Toͤne,
Kann unſer Lied auch nie den Lohn erwerben,
Daß hier mit eignem, friſchen Blumenkranze
Uns endlich kroͤne nun die Wunderſchoͤne! —
VII.
Der Schaͤfer ſpricht, wenn er fruͤhmorgens weidet:
„Dort druͤben wohnt Sie hinter Berg' und Fluͤſſen!“
Doch ſeine Wunden deckt Sie gern mit Kuͤſſen,
Wann lauſchend Licht am ſtillen Abend ſcheidet.
Ob neu der Morgenſchmuck die Erde kleidet,
Ob Nachtigallen Nacht und Stern' begruͤßen,
Stets fern und nah bleibt meine Lieb' der Suͤßen,
Die in dem Lenz mich ewig ſucht und meidet. —
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