Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.Doch hör' ich wunderbare Stimmen sprechen: "Die Perlen, die Du treu geweint im Schmerze, Sie wird sie sorglich all' zusammenbinden, Mit eigner Kette so Dich süß umwinden, Hinauf zieh'n Dich an Mund und blühend Herze -- Was Himmel schloß, mag nicht der Himmel brechen." VIII. Nun ziehen Nebel, falbe Blätter fallen, Oed' alle Stellen, die uns oft entzücket! Und noch einmal tief' Rührung uns beglücket, Wie aus der Flucht die Abschiedslieder schallen. Wohl manchem blüht aus solchem Tod Gefallen: Daß er nun eng an's blüh'nde Herz gedrücket, Von rothen Lippen hold're Sträuße pflücket Als Lenz je beut mit Wäldern, Wiesen allen. Mir sagte niemals Ihrer Augen Bläue: "Ruh' auch aus! Willst Du ewig sinnen?" Und einsam sah' ich so den Sommer fahren. So will ich tief des Lenzes Blüthe wahren, Und mit Erinnern zaubrisch mich umspinnen, Bis ich nach langem Traum erwach' im Maie. IX. Wenn Du am Felsenhange stand'st alleine,
Unten im Walde Vögel seltsam sangen Und Hörner aus der Ferne irrend klangen, Als ob die Heimath drüben nach Dir weine, Doch hoͤr' ich wunderbare Stimmen ſprechen: „Die Perlen, die Du treu geweint im Schmerze, Sie wird ſie ſorglich all' zuſammenbinden, Mit eigner Kette ſo Dich ſuͤß umwinden, Hinauf zieh'n Dich an Mund und bluͤhend Herze — Was Himmel ſchloß, mag nicht der Himmel brechen.“ VIII. Nun ziehen Nebel, falbe Blaͤtter fallen, Oed' alle Stellen, die uns oft entzuͤcket! Und noch einmal tief' Ruͤhrung uns begluͤcket, Wie aus der Flucht die Abſchiedslieder ſchallen. Wohl manchem bluͤht aus ſolchem Tod Gefallen: Daß er nun eng an's bluͤh'nde Herz gedruͤcket, Von rothen Lippen hold're Straͤuße pfluͤcket Als Lenz je beut mit Waͤldern, Wieſen allen. Mir ſagte niemals Ihrer Augen Blaͤue: „Ruh' auch aus! Willſt Du ewig ſinnen?“ Und einſam ſah' ich ſo den Sommer fahren. So will ich tief des Lenzes Bluͤthe wahren, Und mit Erinnern zaubriſch mich umſpinnen, Bis ich nach langem Traum erwach' im Maie. IX. Wenn Du am Felſenhange ſtand'ſt alleine,
Unten im Walde Voͤgel ſeltſam ſangen Und Hoͤrner aus der Ferne irrend klangen, Als ob die Heimath druͤben nach Dir weine, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg> <pb facs="#f0364" n="346"/> <lg type="poem"> <l>Doch hoͤr' ich wunderbare Stimmen ſprechen:</l><lb/> <l>„Die Perlen, die Du treu geweint im Schmerze,</l><lb/> <l>Sie wird ſie ſorglich all' zuſammenbinden,</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Mit eigner Kette ſo Dich ſuͤß umwinden,</l><lb/> <l>Hinauf zieh'n Dich an Mund und bluͤhend Herze —</l><lb/> <l>Was Himmel ſchloß, mag nicht der Himmel brechen.“</l><lb/> </lg> </lg> <lg> <head><hi rendition="#aq">VIII</hi>.<lb/></head> <lg type="poem"> <l>Nun ziehen Nebel, falbe Blaͤtter fallen,</l><lb/> <l>Oed' alle Stellen, die uns oft entzuͤcket!</l><lb/> <l>Und noch einmal tief' Ruͤhrung uns begluͤcket,</l><lb/> <l>Wie aus der Flucht die Abſchiedslieder ſchallen.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Wohl manchem bluͤht aus ſolchem Tod Gefallen:</l><lb/> <l>Daß er nun eng an's bluͤh'nde Herz gedruͤcket,</l><lb/> <l>Von rothen Lippen hold're Straͤuße pfluͤcket</l><lb/> <l>Als Lenz je beut mit Waͤldern, Wieſen allen.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Mir ſagte niemals Ihrer Augen Blaͤue:</l><lb/> <l>„Ruh' auch aus! Willſt Du ewig ſinnen?“</l><lb/> <l>Und einſam ſah' ich ſo den Sommer fahren.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>So will ich tief des Lenzes Bluͤthe wahren,</l><lb/> <l>Und mit Erinnern zaubriſch mich umſpinnen,</l><lb/> <l>Bis ich nach langem Traum erwach' im Maie.</l><lb/> </lg> </lg> <lg> <head><hi rendition="#aq">IX</hi>.<lb/></head> <lg type="poem"> <l>Wenn Du am Felſenhange ſtand'ſt alleine,</l><lb/> <l>Unten im Walde Voͤgel ſeltſam ſangen</l><lb/> <l>Und Hoͤrner aus der Ferne irrend klangen,</l><lb/> <l>Als ob die Heimath druͤben nach Dir weine,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [346/0364]
Doch hoͤr' ich wunderbare Stimmen ſprechen:
„Die Perlen, die Du treu geweint im Schmerze,
Sie wird ſie ſorglich all' zuſammenbinden,
Mit eigner Kette ſo Dich ſuͤß umwinden,
Hinauf zieh'n Dich an Mund und bluͤhend Herze —
Was Himmel ſchloß, mag nicht der Himmel brechen.“
VIII.
Nun ziehen Nebel, falbe Blaͤtter fallen,
Oed' alle Stellen, die uns oft entzuͤcket!
Und noch einmal tief' Ruͤhrung uns begluͤcket,
Wie aus der Flucht die Abſchiedslieder ſchallen.
Wohl manchem bluͤht aus ſolchem Tod Gefallen:
Daß er nun eng an's bluͤh'nde Herz gedruͤcket,
Von rothen Lippen hold're Straͤuße pfluͤcket
Als Lenz je beut mit Waͤldern, Wieſen allen.
Mir ſagte niemals Ihrer Augen Blaͤue:
„Ruh' auch aus! Willſt Du ewig ſinnen?“
Und einſam ſah' ich ſo den Sommer fahren.
So will ich tief des Lenzes Bluͤthe wahren,
Und mit Erinnern zaubriſch mich umſpinnen,
Bis ich nach langem Traum erwach' im Maie.
IX.
Wenn Du am Felſenhange ſtand'ſt alleine,
Unten im Walde Voͤgel ſeltſam ſangen
Und Hoͤrner aus der Ferne irrend klangen,
Als ob die Heimath druͤben nach Dir weine,
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Zitationshilfe: | Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/364>, abgerufen am 23.07.2024. |