Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.Und wie so tausend Stimmen ferne sangen, Als riefen mich von hinnen seel'ge Brüder, Fühlt' ich die alten Schmerzen immer wieder, Seit Deine Blicke, Jungfrau, mich bezwangen. Da war's, als ob sich still Dein Auge hübe, Lang'st sehnsuchtsvoll nach mir mit off'nen Armen, Fühlst selbst den Schmerz, den Du mir süß gegeben. -- Umfangen fühl' ich innigst mich erwarmen, Berührt mit gold'nen Strahlen mich das Leben, Ach! daß ich ewig Dir am Herzen bliebe! V. Wann Lenzesstrahlen golden niederrinnen, Sieht man die Schaaren losgebunden ziehen, Im Waldrevier, dem neu der Schmuck geliehen, Die lust'ge Jagd nach Lieb' und Scherz beginnen. Den Sänger will der Frühling gar umspinnen, Er, der Geliebteste, darf nicht entfliehen, Fühlt rings ein Lied durch alle Farben ziehen, Das ihn so lockend nimmer läßt von hinnen. Gefangen so, sitzt er viel' seel'ge Jahre; Des Einsamen spottet des Pöbels Scherzen, Der aller Glorie möchte Lieb' entkleiden. Doch er grüßt fröhlich alle, wie sie fahren, Und muthig sagt er zu den süßen Schmerzen: "Gern sterb' ich bald, wollt ihr von mir je scheiden!" Und wie ſo tauſend Stimmen ferne ſangen, Als riefen mich von hinnen ſeel'ge Bruͤder, Fuͤhlt' ich die alten Schmerzen immer wieder, Seit Deine Blicke, Jungfrau, mich bezwangen. Da war's, als ob ſich ſtill Dein Auge huͤbe, Lang'ſt ſehnſuchtsvoll nach mir mit off'nen Armen, Fuͤhlſt ſelbſt den Schmerz, den Du mir ſuͤß gegeben. — Umfangen fuͤhl' ich innigſt mich erwarmen, Beruͤhrt mit gold'nen Strahlen mich das Leben, Ach! daß ich ewig Dir am Herzen bliebe! V. Wann Lenzesſtrahlen golden niederrinnen, Sieht man die Schaaren losgebunden ziehen, Im Waldrevier, dem neu der Schmuck geliehen, Die luſt'ge Jagd nach Lieb' und Scherz beginnen. Den Saͤnger will der Fruͤhling gar umſpinnen, Er, der Geliebteſte, darf nicht entfliehen, Fuͤhlt rings ein Lied durch alle Farben ziehen, Das ihn ſo lockend nimmer laͤßt von hinnen. Gefangen ſo, ſitzt er viel' ſeel'ge Jahre; Des Einſamen ſpottet des Poͤbels Scherzen, Der aller Glorie moͤchte Lieb' entkleiden. Doch er gruͤßt froͤhlich alle, wie ſie fahren, Und muthig ſagt er zu den ſuͤßen Schmerzen: „Gern ſterb' ich bald, wollt ihr von mir je ſcheiden!“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg> <pb facs="#f0362" n="344"/> <lg type="poem"> <l>Und wie ſo tauſend Stimmen ferne ſangen,</l><lb/> <l>Als riefen mich von hinnen ſeel'ge Bruͤder,</l><lb/> <l>Fuͤhlt' ich die alten Schmerzen immer wieder,</l><lb/> <l>Seit Deine Blicke, Jungfrau, mich bezwangen.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Da war's, als ob ſich ſtill Dein Auge huͤbe,</l><lb/> <l>Lang'ſt ſehnſuchtsvoll nach mir mit off'nen Armen,</l><lb/> <l>Fuͤhlſt ſelbſt den Schmerz, den Du mir ſuͤß gegeben. —</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Umfangen fuͤhl' ich innigſt mich erwarmen,</l><lb/> <l>Beruͤhrt mit gold'nen Strahlen mich das Leben,</l><lb/> <l>Ach! daß ich ewig Dir am Herzen bliebe!</l><lb/> </lg> </lg> <lg> <head><hi rendition="#aq">V</hi>.<lb/></head> <lg type="poem"> <l>Wann Lenzesſtrahlen golden niederrinnen,</l><lb/> <l>Sieht man die Schaaren losgebunden ziehen,</l><lb/> <l>Im Waldrevier, dem neu der Schmuck geliehen,</l><lb/> <l>Die luſt'ge Jagd nach Lieb' und Scherz beginnen.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Den Saͤnger will der Fruͤhling gar umſpinnen,</l><lb/> <l>Er, der Geliebteſte, darf nicht entfliehen,</l><lb/> <l>Fuͤhlt rings ein Lied durch alle Farben ziehen,</l><lb/> <l>Das ihn ſo lockend nimmer laͤßt von hinnen.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Gefangen ſo, ſitzt er viel' ſeel'ge Jahre;</l><lb/> <l>Des Einſamen ſpottet des Poͤbels Scherzen,</l><lb/> <l>Der aller Glorie moͤchte Lieb' entkleiden.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Doch er gruͤßt froͤhlich alle, wie ſie fahren,</l><lb/> <l>Und muthig ſagt er zu den ſuͤßen Schmerzen:</l><lb/> <l>„Gern ſterb' ich bald, wollt ihr von mir je ſcheiden!“</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [344/0362]
Und wie ſo tauſend Stimmen ferne ſangen,
Als riefen mich von hinnen ſeel'ge Bruͤder,
Fuͤhlt' ich die alten Schmerzen immer wieder,
Seit Deine Blicke, Jungfrau, mich bezwangen.
Da war's, als ob ſich ſtill Dein Auge huͤbe,
Lang'ſt ſehnſuchtsvoll nach mir mit off'nen Armen,
Fuͤhlſt ſelbſt den Schmerz, den Du mir ſuͤß gegeben. —
Umfangen fuͤhl' ich innigſt mich erwarmen,
Beruͤhrt mit gold'nen Strahlen mich das Leben,
Ach! daß ich ewig Dir am Herzen bliebe!
V.
Wann Lenzesſtrahlen golden niederrinnen,
Sieht man die Schaaren losgebunden ziehen,
Im Waldrevier, dem neu der Schmuck geliehen,
Die luſt'ge Jagd nach Lieb' und Scherz beginnen.
Den Saͤnger will der Fruͤhling gar umſpinnen,
Er, der Geliebteſte, darf nicht entfliehen,
Fuͤhlt rings ein Lied durch alle Farben ziehen,
Das ihn ſo lockend nimmer laͤßt von hinnen.
Gefangen ſo, ſitzt er viel' ſeel'ge Jahre;
Des Einſamen ſpottet des Poͤbels Scherzen,
Der aller Glorie moͤchte Lieb' entkleiden.
Doch er gruͤßt froͤhlich alle, wie ſie fahren,
Und muthig ſagt er zu den ſuͤßen Schmerzen:
„Gern ſterb' ich bald, wollt ihr von mir je ſcheiden!“
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Zitationshilfe: | Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/362>, abgerufen am 18.06.2024. |