Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Und wie so tausend Stimmen ferne sangen,
Als riefen mich von hinnen seel'ge Brüder,
Fühlt' ich die alten Schmerzen immer wieder,
Seit Deine Blicke, Jungfrau, mich bezwangen.
Da war's, als ob sich still Dein Auge hübe,
Lang'st sehnsuchtsvoll nach mir mit off'nen Armen,
Fühlst selbst den Schmerz, den Du mir süß gegeben. --
Umfangen fühl' ich innigst mich erwarmen,
Berührt mit gold'nen Strahlen mich das Leben,
Ach! daß ich ewig Dir am Herzen bliebe!

V.
Wann Lenzesstrahlen golden niederrinnen,
Sieht man die Schaaren losgebunden ziehen,
Im Waldrevier, dem neu der Schmuck geliehen,
Die lust'ge Jagd nach Lieb' und Scherz beginnen.
Den Sänger will der Frühling gar umspinnen,
Er, der Geliebteste, darf nicht entfliehen,
Fühlt rings ein Lied durch alle Farben ziehen,
Das ihn so lockend nimmer läßt von hinnen.
Gefangen so, sitzt er viel' seel'ge Jahre;
Des Einsamen spottet des Pöbels Scherzen,
Der aller Glorie möchte Lieb' entkleiden.
Doch er grüßt fröhlich alle, wie sie fahren,
Und muthig sagt er zu den süßen Schmerzen:
"Gern sterb' ich bald, wollt ihr von mir je scheiden!"

Und wie ſo tauſend Stimmen ferne ſangen,
Als riefen mich von hinnen ſeel'ge Bruͤder,
Fuͤhlt' ich die alten Schmerzen immer wieder,
Seit Deine Blicke, Jungfrau, mich bezwangen.
Da war's, als ob ſich ſtill Dein Auge huͤbe,
Lang'ſt ſehnſuchtsvoll nach mir mit off'nen Armen,
Fuͤhlſt ſelbſt den Schmerz, den Du mir ſuͤß gegeben. —
Umfangen fuͤhl' ich innigſt mich erwarmen,
Beruͤhrt mit gold'nen Strahlen mich das Leben,
Ach! daß ich ewig Dir am Herzen bliebe!

V.
Wann Lenzesſtrahlen golden niederrinnen,
Sieht man die Schaaren losgebunden ziehen,
Im Waldrevier, dem neu der Schmuck geliehen,
Die luſt'ge Jagd nach Lieb' und Scherz beginnen.
Den Saͤnger will der Fruͤhling gar umſpinnen,
Er, der Geliebteſte, darf nicht entfliehen,
Fuͤhlt rings ein Lied durch alle Farben ziehen,
Das ihn ſo lockend nimmer laͤßt von hinnen.
Gefangen ſo, ſitzt er viel' ſeel'ge Jahre;
Des Einſamen ſpottet des Poͤbels Scherzen,
Der aller Glorie moͤchte Lieb' entkleiden.
Doch er gruͤßt froͤhlich alle, wie ſie fahren,
Und muthig ſagt er zu den ſuͤßen Schmerzen:
„Gern ſterb' ich bald, wollt ihr von mir je ſcheiden!“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg>
            <pb facs="#f0362" n="344"/>
            <lg type="poem">
              <l>Und wie &#x017F;o tau&#x017F;end Stimmen ferne &#x017F;angen,</l><lb/>
              <l>Als riefen mich von hinnen &#x017F;eel'ge Bru&#x0364;der,</l><lb/>
              <l>Fu&#x0364;hlt' ich die alten Schmerzen immer wieder,</l><lb/>
              <l>Seit Deine Blicke, Jungfrau, mich bezwangen.</l><lb/>
            </lg>
            <lg type="poem">
              <l>Da war's, als ob &#x017F;ich &#x017F;till Dein Auge hu&#x0364;be,</l><lb/>
              <l>Lang'&#x017F;t &#x017F;ehn&#x017F;uchtsvoll nach mir mit off'nen Armen,</l><lb/>
              <l>Fu&#x0364;hl&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t den Schmerz, den Du mir &#x017F;u&#x0364;ß gegeben. &#x2014;</l><lb/>
            </lg>
            <lg type="poem">
              <l>Umfangen fu&#x0364;hl' ich innig&#x017F;t mich erwarmen,</l><lb/>
              <l>Beru&#x0364;hrt mit gold'nen Strahlen mich das Leben,</l><lb/>
              <l>Ach! daß ich ewig Dir am Herzen bliebe!</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <lg>
            <head><hi rendition="#aq">V</hi>.<lb/></head>
            <lg type="poem">
              <l>Wann Lenzes&#x017F;trahlen golden niederrinnen,</l><lb/>
              <l>Sieht man die Schaaren losgebunden ziehen,</l><lb/>
              <l>Im Waldrevier, dem neu der Schmuck geliehen,</l><lb/>
              <l>Die lu&#x017F;t'ge Jagd nach Lieb' und Scherz beginnen.</l><lb/>
            </lg>
            <lg type="poem">
              <l>Den Sa&#x0364;nger will der Fru&#x0364;hling gar um&#x017F;pinnen,</l><lb/>
              <l>Er, der Geliebte&#x017F;te, darf nicht entfliehen,</l><lb/>
              <l>Fu&#x0364;hlt rings ein Lied durch alle Farben ziehen,</l><lb/>
              <l>Das ihn &#x017F;o lockend nimmer la&#x0364;ßt von hinnen.</l><lb/>
            </lg>
            <lg type="poem">
              <l>Gefangen &#x017F;o, &#x017F;itzt er viel' &#x017F;eel'ge Jahre;</l><lb/>
              <l>Des Ein&#x017F;amen &#x017F;pottet des Po&#x0364;bels Scherzen,</l><lb/>
              <l>Der aller Glorie mo&#x0364;chte Lieb' entkleiden.</l><lb/>
            </lg>
            <lg type="poem">
              <l>Doch er gru&#x0364;ßt fro&#x0364;hlich alle, wie &#x017F;ie fahren,</l><lb/>
              <l>Und muthig &#x017F;agt er zu den &#x017F;u&#x0364;ßen Schmerzen:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Gern &#x017F;terb' ich bald, wollt ihr von mir je &#x017F;cheiden!&#x201C;</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[344/0362] Und wie ſo tauſend Stimmen ferne ſangen, Als riefen mich von hinnen ſeel'ge Bruͤder, Fuͤhlt' ich die alten Schmerzen immer wieder, Seit Deine Blicke, Jungfrau, mich bezwangen. Da war's, als ob ſich ſtill Dein Auge huͤbe, Lang'ſt ſehnſuchtsvoll nach mir mit off'nen Armen, Fuͤhlſt ſelbſt den Schmerz, den Du mir ſuͤß gegeben. — Umfangen fuͤhl' ich innigſt mich erwarmen, Beruͤhrt mit gold'nen Strahlen mich das Leben, Ach! daß ich ewig Dir am Herzen bliebe! V. Wann Lenzesſtrahlen golden niederrinnen, Sieht man die Schaaren losgebunden ziehen, Im Waldrevier, dem neu der Schmuck geliehen, Die luſt'ge Jagd nach Lieb' und Scherz beginnen. Den Saͤnger will der Fruͤhling gar umſpinnen, Er, der Geliebteſte, darf nicht entfliehen, Fuͤhlt rings ein Lied durch alle Farben ziehen, Das ihn ſo lockend nimmer laͤßt von hinnen. Gefangen ſo, ſitzt er viel' ſeel'ge Jahre; Des Einſamen ſpottet des Poͤbels Scherzen, Der aller Glorie moͤchte Lieb' entkleiden. Doch er gruͤßt froͤhlich alle, wie ſie fahren, Und muthig ſagt er zu den ſuͤßen Schmerzen: „Gern ſterb' ich bald, wollt ihr von mir je ſcheiden!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/362
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/362>, abgerufen am 18.06.2024.