Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Zugluft durch's offene Fenster fuhr in die beschriebenen
Blätter und als er um sich griff, schimpfte und
haschte, löschte ihm gar der Wind das Licht aus. Da
ballte er voller Zorn alle Papiere in seine Tasche zu¬
sammen, setzte den Hut auf den Kopf und nahm drau¬
ßen, da alles schon schlief, mit wenigen Worten nur
von dem Einsiedler Abschied, der, halb im Traum,
nicht wußte, was geschah. Dann raffte er noch ge¬
schwind die Victualien vom Tische in den Korb und
rüttelte den Burschen auf. Der mußte ohne weiteres
voraus, und so wanderte er mit langen Schritten den
Wald hinab, um nie mehr auf diesen Berg zurückzu¬
kehren, wo ihm die ungeheure Tugendwirthschaft auf
einmal unglaublich langweilig vorkam.

Wir aber lassen das Irrlicht wandern, und über¬
schauen noch einmal das nächtliche Gebirge. Die
Wälder und Abgründe liegen noch geheimnißvoll umher
in der tiefen Stille, nur das ungewisse Flimmern der
Sterne verkündet die Nähe des Morgens. Durch die
weite Einsamkeit aber tönt ein Gesang, es ist Victor's
Stimme:

Nächtlich macht der Herr die Rund',
Sucht die Seinen unverdrossen,
Aber überall verschlossen
Trifft er Thür und Herzensgrund,
Und er wendet sich voll Trauer:
Niemand ist, der mit mir wacht. --
Nur der Wald vernimmt's mit Schauer,
Rauschet fromm die ganze Nacht.

Zugluft durch's offene Fenſter fuhr in die beſchriebenen
Blaͤtter und als er um ſich griff, ſchimpfte und
haſchte, loͤſchte ihm gar der Wind das Licht aus. Da
ballte er voller Zorn alle Papiere in ſeine Taſche zu¬
ſammen, ſetzte den Hut auf den Kopf und nahm drau¬
ßen, da alles ſchon ſchlief, mit wenigen Worten nur
von dem Einſiedler Abſchied, der, halb im Traum,
nicht wußte, was geſchah. Dann raffte er noch ge¬
ſchwind die Victualien vom Tiſche in den Korb und
ruͤttelte den Burſchen auf. Der mußte ohne weiteres
voraus, und ſo wanderte er mit langen Schritten den
Wald hinab, um nie mehr auf dieſen Berg zuruͤckzu¬
kehren, wo ihm die ungeheure Tugendwirthſchaft auf
einmal unglaublich langweilig vorkam.

Wir aber laſſen das Irrlicht wandern, und uͤber¬
ſchauen noch einmal das naͤchtliche Gebirge. Die
Waͤlder und Abgruͤnde liegen noch geheimnißvoll umher
in der tiefen Stille, nur das ungewiſſe Flimmern der
Sterne verkuͤndet die Naͤhe des Morgens. Durch die
weite Einſamkeit aber toͤnt ein Geſang, es iſt Victor's
Stimme:

Naͤchtlich macht der Herr die Rund',
Sucht die Seinen unverdroſſen,
Aber uͤberall verſchloſſen
Trifft er Thuͤr und Herzensgrund,
Und er wendet ſich voll Trauer:
Niemand iſt, der mit mir wacht. —
Nur der Wald vernimmt's mit Schauer,
Rauſchet fromm die ganze Nacht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0381" n="374"/>
Zugluft durch's offene Fen&#x017F;ter fuhr in die be&#x017F;chriebenen<lb/>
Bla&#x0364;tter und als er um &#x017F;ich griff, &#x017F;chimpfte und<lb/>
ha&#x017F;chte, lo&#x0364;&#x017F;chte ihm gar der Wind das Licht aus. Da<lb/>
ballte er voller Zorn alle Papiere in &#x017F;eine Ta&#x017F;che zu¬<lb/>
&#x017F;ammen, &#x017F;etzte den Hut auf den Kopf und nahm drau¬<lb/>
ßen, da alles &#x017F;chon &#x017F;chlief, mit wenigen Worten nur<lb/>
von dem Ein&#x017F;iedler Ab&#x017F;chied, der, halb im Traum,<lb/>
nicht wußte, was ge&#x017F;chah. Dann raffte er noch ge¬<lb/>
&#x017F;chwind die Victualien vom Ti&#x017F;che in den Korb und<lb/>
ru&#x0364;ttelte den Bur&#x017F;chen auf. Der mußte ohne weiteres<lb/>
voraus, und &#x017F;o wanderte er mit langen Schritten den<lb/>
Wald hinab, um nie mehr auf die&#x017F;en Berg zuru&#x0364;ckzu¬<lb/>
kehren, wo ihm die ungeheure Tugendwirth&#x017F;chaft auf<lb/>
einmal unglaublich langweilig vorkam.</p><lb/>
          <p>Wir aber la&#x017F;&#x017F;en das Irrlicht wandern, und u&#x0364;ber¬<lb/>
&#x017F;chauen noch einmal das na&#x0364;chtliche Gebirge. Die<lb/>
Wa&#x0364;lder und Abgru&#x0364;nde liegen noch geheimnißvoll umher<lb/>
in der tiefen Stille, nur das ungewi&#x017F;&#x017F;e Flimmern der<lb/>
Sterne verku&#x0364;ndet die Na&#x0364;he des Morgens. Durch die<lb/>
weite Ein&#x017F;amkeit aber to&#x0364;nt ein Ge&#x017F;ang, es i&#x017F;t Victor's<lb/>
Stimme:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l rendition="#et">Na&#x0364;chtlich macht der Herr die Rund',</l><lb/>
              <l>Sucht die Seinen unverdro&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Aber u&#x0364;berall ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
              <l>Trifft er Thu&#x0364;r und Herzensgrund,</l><lb/>
              <l>Und er wendet &#x017F;ich voll Trauer:</l><lb/>
              <l>Niemand i&#x017F;t, der mit mir wacht. &#x2014;</l><lb/>
              <l>Nur der Wald vernimmt's mit Schauer,</l><lb/>
              <l>Rau&#x017F;chet fromm die ganze Nacht.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[374/0381] Zugluft durch's offene Fenſter fuhr in die beſchriebenen Blaͤtter und als er um ſich griff, ſchimpfte und haſchte, loͤſchte ihm gar der Wind das Licht aus. Da ballte er voller Zorn alle Papiere in ſeine Taſche zu¬ ſammen, ſetzte den Hut auf den Kopf und nahm drau¬ ßen, da alles ſchon ſchlief, mit wenigen Worten nur von dem Einſiedler Abſchied, der, halb im Traum, nicht wußte, was geſchah. Dann raffte er noch ge¬ ſchwind die Victualien vom Tiſche in den Korb und ruͤttelte den Burſchen auf. Der mußte ohne weiteres voraus, und ſo wanderte er mit langen Schritten den Wald hinab, um nie mehr auf dieſen Berg zuruͤckzu¬ kehren, wo ihm die ungeheure Tugendwirthſchaft auf einmal unglaublich langweilig vorkam. Wir aber laſſen das Irrlicht wandern, und uͤber¬ ſchauen noch einmal das naͤchtliche Gebirge. Die Waͤlder und Abgruͤnde liegen noch geheimnißvoll umher in der tiefen Stille, nur das ungewiſſe Flimmern der Sterne verkuͤndet die Naͤhe des Morgens. Durch die weite Einſamkeit aber toͤnt ein Geſang, es iſt Victor's Stimme: Naͤchtlich macht der Herr die Rund', Sucht die Seinen unverdroſſen, Aber uͤberall verſchloſſen Trifft er Thuͤr und Herzensgrund, Und er wendet ſich voll Trauer: Niemand iſt, der mit mir wacht. — Nur der Wald vernimmt's mit Schauer, Rauſchet fromm die ganze Nacht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/381
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/381>, abgerufen am 04.05.2024.