nach und nach sein ganzes Unglück erfahren. Sie hörte alles still und nachdenklich an. Als er aber schwieg, sprang sie plötzlich fröhlich auf. Wir reisen zusammen! rief sie aus, das ist eine langweilige Wirth¬ schaft hier, und ich und Guido, wir paßten eigentlich niemals zusammen. Wenn er sich betrinkt, so ist das genial, wenn er sich verliebt, so ist's Andacht, und wenn ich ihn darüber auslache, so wird er wüthend, und will mich durchaus mit sich emporflügeln, wie er's nennt. Ich hab's schon seit einigen Wochen beschlossen, ich reise heimlich fort und zurück nach Deutschland, ich habe so eben Geld genug, die Pferde sind bestellt -- kurz: wir reisen noch heute! -- Dabei wartete sie gar keine Antwort ab, sondern rumorte und packte dazwi¬ schen immer lustig fort, Otto wußte nicht, wie ihm geschah, durch das offene Fenster wehte frische Reise¬ luft herein, der Morgen dämmerte schon leise über der stillen Stadt.
Wer dem Teufel läßt ein Haar, den faßt er ganz und gar. So brannte der Kuß von gestern noch immer heimlich fort auf Otto's Lippen, über den Trümmern seines Glücks war über Nacht eine üppig blühende Wildniß schimmernder Erinnerungen und Hoff¬ nungen giftig aufgeschossen. -- Und als die ersten Streiflichter des Morgens über die Berge flogen und die früherwachten Lerchen noch halbverträumt in den Lüften hingen, da zogen Otto und Kordelchen
nach und nach ſein ganzes Ungluͤck erfahren. Sie hoͤrte alles ſtill und nachdenklich an. Als er aber ſchwieg, ſprang ſie ploͤtzlich froͤhlich auf. Wir reiſen zuſammen! rief ſie aus, das iſt eine langweilige Wirth¬ ſchaft hier, und ich und Guido, wir paßten eigentlich niemals zuſammen. Wenn er ſich betrinkt, ſo iſt das genial, wenn er ſich verliebt, ſo iſt's Andacht, und wenn ich ihn daruͤber auslache, ſo wird er wuͤthend, und will mich durchaus mit ſich emporfluͤgeln, wie er's nennt. Ich hab's ſchon ſeit einigen Wochen beſchloſſen, ich reiſe heimlich fort und zuruͤck nach Deutſchland, ich habe ſo eben Geld genug, die Pferde ſind beſtellt — kurz: wir reiſen noch heute! — Dabei wartete ſie gar keine Antwort ab, ſondern rumorte und packte dazwi¬ ſchen immer luſtig fort, Otto wußte nicht, wie ihm geſchah, durch das offene Fenſter wehte friſche Reiſe¬ luft herein, der Morgen daͤmmerte ſchon leiſe uͤber der ſtillen Stadt.
Wer dem Teufel laͤßt ein Haar, den faßt er ganz und gar. So brannte der Kuß von geſtern noch immer heimlich fort auf Otto's Lippen, uͤber den Truͤmmern ſeines Gluͤcks war uͤber Nacht eine uͤppig bluͤhende Wildniß ſchimmernder Erinnerungen und Hoff¬ nungen giftig aufgeſchoſſen. — Und als die erſten Streiflichter des Morgens uͤber die Berge flogen und die fruͤherwachten Lerchen noch halbvertraͤumt in den Luͤften hingen, da zogen Otto und Kordelchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0246"n="239"/>
nach und nach ſein ganzes Ungluͤck erfahren. Sie<lb/>
hoͤrte alles ſtill und nachdenklich an. Als er aber<lb/>ſchwieg, ſprang ſie ploͤtzlich froͤhlich auf. Wir reiſen<lb/>
zuſammen! rief ſie aus, das iſt eine langweilige Wirth¬<lb/>ſchaft hier, und ich und Guido, wir paßten eigentlich<lb/>
niemals zuſammen. Wenn er ſich betrinkt, ſo iſt das<lb/>
genial, wenn er ſich verliebt, ſo iſt's Andacht, und<lb/>
wenn ich ihn daruͤber auslache, ſo wird er wuͤthend,<lb/>
und will mich durchaus mit ſich emporfluͤgeln, wie er's<lb/>
nennt. Ich hab's ſchon ſeit einigen Wochen beſchloſſen,<lb/>
ich reiſe heimlich fort und zuruͤck nach Deutſchland, ich<lb/>
habe ſo eben Geld genug, die Pferde ſind beſtellt —<lb/>
kurz: wir reiſen noch heute! — Dabei wartete ſie gar<lb/>
keine Antwort ab, ſondern rumorte und packte dazwi¬<lb/>ſchen immer luſtig fort, Otto wußte nicht, wie ihm<lb/>
geſchah, durch das offene Fenſter wehte friſche Reiſe¬<lb/>
luft herein, der Morgen daͤmmerte ſchon leiſe uͤber der<lb/>ſtillen Stadt.</p><lb/><p>Wer dem Teufel laͤßt ein Haar, den faßt er ganz<lb/>
und gar. So brannte der Kuß von geſtern noch<lb/>
immer heimlich fort auf Otto's Lippen, uͤber den<lb/>
Truͤmmern ſeines Gluͤcks war uͤber Nacht eine uͤppig<lb/>
bluͤhende Wildniß ſchimmernder Erinnerungen und Hoff¬<lb/>
nungen giftig aufgeſchoſſen. — Und als die erſten<lb/>
Streiflichter des Morgens uͤber die Berge flogen<lb/>
und die fruͤherwachten Lerchen noch halbvertraͤumt in<lb/>
den Luͤften hingen, da zogen Otto und Kordelchen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[239/0246]
nach und nach ſein ganzes Ungluͤck erfahren. Sie
hoͤrte alles ſtill und nachdenklich an. Als er aber
ſchwieg, ſprang ſie ploͤtzlich froͤhlich auf. Wir reiſen
zuſammen! rief ſie aus, das iſt eine langweilige Wirth¬
ſchaft hier, und ich und Guido, wir paßten eigentlich
niemals zuſammen. Wenn er ſich betrinkt, ſo iſt das
genial, wenn er ſich verliebt, ſo iſt's Andacht, und
wenn ich ihn daruͤber auslache, ſo wird er wuͤthend,
und will mich durchaus mit ſich emporfluͤgeln, wie er's
nennt. Ich hab's ſchon ſeit einigen Wochen beſchloſſen,
ich reiſe heimlich fort und zuruͤck nach Deutſchland, ich
habe ſo eben Geld genug, die Pferde ſind beſtellt —
kurz: wir reiſen noch heute! — Dabei wartete ſie gar
keine Antwort ab, ſondern rumorte und packte dazwi¬
ſchen immer luſtig fort, Otto wußte nicht, wie ihm
geſchah, durch das offene Fenſter wehte friſche Reiſe¬
luft herein, der Morgen daͤmmerte ſchon leiſe uͤber der
ſtillen Stadt.
Wer dem Teufel laͤßt ein Haar, den faßt er ganz
und gar. So brannte der Kuß von geſtern noch
immer heimlich fort auf Otto's Lippen, uͤber den
Truͤmmern ſeines Gluͤcks war uͤber Nacht eine uͤppig
bluͤhende Wildniß ſchimmernder Erinnerungen und Hoff¬
nungen giftig aufgeſchoſſen. — Und als die erſten
Streiflichter des Morgens uͤber die Berge flogen
und die fruͤherwachten Lerchen noch halbvertraͤumt in
den Luͤften hingen, da zogen Otto und Kordelchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/246>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.