Publikum. -- Und dennoch, erwiederte Otto nach einer kurzen Pause, wenn alle so dächten, so müßte die dramatische Poesie in der Luft spielen und die Bühne zu Grunde gehen. -- Ja, das hoff' ich auch! sagte Lothario, die Dichter müssen nur nicht nachgeben, son¬ dern die Theater poetisch aushungern, sie an ihrer eige¬ nen Misere und Langweiligkeit allmählig verschmach¬ ten lassen und unterdeß draußen frisch und keck die Welt auf ihre eigne Hand dramatisiren. Das Publi¬ kum ist so dumm gerade nicht, wie es aussieht. Ist es erst im Buch an die ursprüngliche Schönheit wie¬ der gewöhnt, so wird es auch die Bühnen schon zwin¬ gen, sich zu accommodiren. Aus der alten guten Poesie kann sich ein neues Theater bilden, nimmer¬ mehr aber eine neue Poesie aus den kranken Gelüsten des Publikums und der Pedanterei der Theatermaschi¬ nisten. Und überhaupt, junger Mensch, fuhr er fort, wollt Ihr ein Dichter werden -- und ich meine, Ihr habt die unglückliche Disposition dazu -- so müßt Ihr Euch ein für allemal daran gewöhnen, für die Hand¬ voll Gescheuter im Lande zu dichten und nach den andern nicht zu fragen. Vor allem aber müßt Ihr Euch hier von uns Komödianten und Frauenzimmern losmachen, denn wer sich so in der Rumpelkammer des Lebens herumtreibt, dem fliegen die Fledermäuse an den Kopf, und es wäre Schade um Euer weiches Flachshaar.
Publikum. — Und dennoch, erwiederte Otto nach einer kurzen Pauſe, wenn alle ſo daͤchten, ſo muͤßte die dramatiſche Poeſie in der Luft ſpielen und die Buͤhne zu Grunde gehen. — Ja, das hoff' ich auch! ſagte Lothario, die Dichter muͤſſen nur nicht nachgeben, ſon¬ dern die Theater poetiſch aushungern, ſie an ihrer eige¬ nen Miſere und Langweiligkeit allmaͤhlig verſchmach¬ ten laſſen und unterdeß draußen friſch und keck die Welt auf ihre eigne Hand dramatiſiren. Das Publi¬ kum iſt ſo dumm gerade nicht, wie es ausſieht. Iſt es erſt im Buch an die urſpruͤngliche Schoͤnheit wie¬ der gewoͤhnt, ſo wird es auch die Buͤhnen ſchon zwin¬ gen, ſich zu accommodiren. Aus der alten guten Poeſie kann ſich ein neues Theater bilden, nimmer¬ mehr aber eine neue Poeſie aus den kranken Geluͤſten des Publikums und der Pedanterei der Theatermaſchi¬ niſten. Und uͤberhaupt, junger Menſch, fuhr er fort, wollt Ihr ein Dichter werden — und ich meine, Ihr habt die ungluͤckliche Dispoſition dazu — ſo muͤßt Ihr Euch ein fuͤr allemal daran gewoͤhnen, fuͤr die Hand¬ voll Geſcheuter im Lande zu dichten und nach den andern nicht zu fragen. Vor allem aber muͤßt Ihr Euch hier von uns Komoͤdianten und Frauenzimmern losmachen, denn wer ſich ſo in der Rumpelkammer des Lebens herumtreibt, dem fliegen die Fledermaͤuſe an den Kopf, und es waͤre Schade um Euer weiches Flachshaar.
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Publikum. — Und dennoch, erwiederte Otto nach einer
kurzen Pauſe, wenn alle ſo daͤchten, ſo muͤßte die
dramatiſche Poeſie in der Luft ſpielen und die Buͤhne
zu Grunde gehen. — Ja, das hoff' ich auch! ſagte
Lothario, die Dichter muͤſſen nur nicht nachgeben, ſon¬
dern die Theater poetiſch aushungern, ſie an ihrer eige¬
nen Miſere und Langweiligkeit allmaͤhlig verſchmach¬
ten laſſen und unterdeß draußen friſch und keck die
Welt auf ihre eigne Hand dramatiſiren. Das Publi¬
kum iſt ſo dumm gerade nicht, wie es ausſieht. Iſt
es erſt im Buch an die urſpruͤngliche Schoͤnheit wie¬
der gewoͤhnt, ſo wird es auch die Buͤhnen ſchon zwin¬
gen, ſich zu accommodiren. Aus der alten guten
Poeſie kann ſich ein neues Theater bilden, nimmer¬
mehr aber eine neue Poeſie aus den kranken Geluͤſten
des Publikums und der Pedanterei der Theatermaſchi¬
niſten. Und uͤberhaupt, junger Menſch, fuhr er fort,
wollt Ihr ein Dichter werden — und ich meine, Ihr
habt die ungluͤckliche Dispoſition dazu — ſo muͤßt Ihr
Euch ein fuͤr allemal daran gewoͤhnen, fuͤr die Hand¬
voll Geſcheuter im Lande zu dichten und nach den
andern nicht zu fragen. Vor allem aber muͤßt Ihr
Euch hier von uns Komoͤdianten und Frauenzimmern
losmachen, denn wer ſich ſo in der Rumpelkammer des
Lebens herumtreibt, dem fliegen die Fledermaͤuſe an
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/155>, abgerufen am 25.11.2024.
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