Otto zürnte wie ein Mädchen. Lothario aber, in seinem kühnen Wesen, griff wie ein eisiger Morgen¬ wind durch alle Saiten seiner wunden Seele. Auch hatte es Otto ja mit eigenen Augen gesehen: Kordel¬ chen war treulos, das Brettergerüst seines geträumten Bühnenruhms zertrümmert, er kam sich nach den heu¬ tigen Erfahrungen nun selbst hier kahl und erbärmlich vor. Und so geschah es, daß er, ehe sie noch das Ende des Gartens erreichten, dem harten Freunde mit dem Ungestüm eines frischen Entschlusses die Hand darauf gab, sogleich weiter zu reisen, um ungestört und mit strengem Ernste ganz der Dichtkunst zu leben. -- Nun fehlte es aber wieder am nöthigen Reisegeld zur Ausführung eines so löblichen Vorsatzes. -- Lo¬ thario machte bei dieser Bemerkung eine lebhafte Be¬ wegung und schien einen raschen Vorschlag auf dem Herzen zu haben, schwieg aber plötzlich. -- Da stan¬ den sie so eben vor Dryanders Thür. Halt! sagte er, hier wohnt Fortuna's Hofnarr, da wollen wir anklo¬ pfen, kommen Sie nur geschwind.
Mit diesen Worten drängte er den Zögernden in das Haus hinein. Ein Bedienter empfing sie in der Vorstube und wollte anmelden. Der Schauspieler schob ihn aber lächelnd zur Seite und trat ohne wei¬ teres in das Zimmer. Hier war durch tief herabhän¬ gende, grünseidene Gardinen ein künstliches Halblicht verbreitet, ein zierlicher, bronzener Opferaltar auf dem
Otto zuͤrnte wie ein Maͤdchen. Lothario aber, in ſeinem kuͤhnen Weſen, griff wie ein eiſiger Morgen¬ wind durch alle Saiten ſeiner wunden Seele. Auch hatte es Otto ja mit eigenen Augen geſehen: Kordel¬ chen war treulos, das Brettergeruͤſt ſeines getraͤumten Buͤhnenruhms zertruͤmmert, er kam ſich nach den heu¬ tigen Erfahrungen nun ſelbſt hier kahl und erbaͤrmlich vor. Und ſo geſchah es, daß er, ehe ſie noch das Ende des Gartens erreichten, dem harten Freunde mit dem Ungeſtuͤm eines friſchen Entſchluſſes die Hand darauf gab, ſogleich weiter zu reiſen, um ungeſtoͤrt und mit ſtrengem Ernſte ganz der Dichtkunſt zu leben. — Nun fehlte es aber wieder am noͤthigen Reiſegeld zur Ausfuͤhrung eines ſo loͤblichen Vorſatzes. — Lo¬ thario machte bei dieſer Bemerkung eine lebhafte Be¬ wegung und ſchien einen raſchen Vorſchlag auf dem Herzen zu haben, ſchwieg aber ploͤtzlich. — Da ſtan¬ den ſie ſo eben vor Dryanders Thuͤr. Halt! ſagte er, hier wohnt Fortuna's Hofnarr, da wollen wir anklo¬ pfen, kommen Sie nur geſchwind.
Mit dieſen Worten draͤngte er den Zoͤgernden in das Haus hinein. Ein Bedienter empfing ſie in der Vorſtube und wollte anmelden. Der Schauſpieler ſchob ihn aber laͤchelnd zur Seite und trat ohne wei¬ teres in das Zimmer. Hier war durch tief herabhaͤn¬ gende, gruͤnſeidene Gardinen ein kuͤnſtliches Halblicht verbreitet, ein zierlicher, bronzener Opferaltar auf dem
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Otto zuͤrnte wie ein Maͤdchen. Lothario aber, in
ſeinem kuͤhnen Weſen, griff wie ein eiſiger Morgen¬
wind durch alle Saiten ſeiner wunden Seele. Auch
hatte es Otto ja mit eigenen Augen geſehen: Kordel¬
chen war treulos, das Brettergeruͤſt ſeines getraͤumten
Buͤhnenruhms zertruͤmmert, er kam ſich nach den heu¬
tigen Erfahrungen nun ſelbſt hier kahl und erbaͤrmlich
vor. Und ſo geſchah es, daß er, ehe ſie noch das
Ende des Gartens erreichten, dem harten Freunde mit
dem Ungeſtuͤm eines friſchen Entſchluſſes die Hand
darauf gab, ſogleich weiter zu reiſen, um ungeſtoͤrt
und mit ſtrengem Ernſte ganz der Dichtkunſt zu leben.
— Nun fehlte es aber wieder am noͤthigen Reiſegeld
zur Ausfuͤhrung eines ſo loͤblichen Vorſatzes. — Lo¬
thario machte bei dieſer Bemerkung eine lebhafte Be¬
wegung und ſchien einen raſchen Vorſchlag auf dem
Herzen zu haben, ſchwieg aber ploͤtzlich. — Da ſtan¬
den ſie ſo eben vor Dryanders Thuͤr. Halt! ſagte er,
hier wohnt Fortuna's Hofnarr, da wollen wir anklo¬
pfen, kommen Sie nur geſchwind.
Mit dieſen Worten draͤngte er den Zoͤgernden in
das Haus hinein. Ein Bedienter empfing ſie in der
Vorſtube und wollte anmelden. Der Schauſpieler
ſchob ihn aber laͤchelnd zur Seite und trat ohne wei¬
teres in das Zimmer. Hier war durch tief herabhaͤn¬
gende, gruͤnſeidene Gardinen ein kuͤnſtliches Halblicht
verbreitet, ein zierlicher, bronzener Opferaltar auf dem
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/156>, abgerufen am 22.11.2024.
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