hab' ich gegeben, und nicht einen Buchstaben ändere ich an dem ganzen Stück! -- Hiermit schleuderte er das Manuscript zornig auf den Tisch und ging rasch in den Garten fort, und es war ihm in einiger Ent¬ fernung, als hörte er die Schauspieler hinter sich lachen.
In diesem heftig bewegten Zustande begegnete er Lothario'n, der ihm sehr bald die ganze Geschichte abgefragt hatte und darauf in ein tolles Gelächter ausbrach. Darf man erfahren, worüber Sie lachen? fragte Otto empfindlich. Weil Sie, erwiederte Lotha¬ rio, durch diese glückliche Begebenheit hoffentlich auf den nächsten Weg gerathen sind, sich der theatralischen Flausen gänzlich zu entschlagen. Otto sah ihn ver¬ wundert an. Aber Lothario ließ sich nicht irre ma¬ chen. Ueberlegt doch nur selbst, fuhr er fort, was wollen sie denn eigentlich! Ein großer, starker Kerl, der plötzlich herausstürzt und recitativisch schreit: ich fürcht' mich vor dem Tode nicht! ein Posaunenstoß oder ein Paar Striche über die große Baßgeige dazu -- das ist ein Held. Ein zimperlich Ding, etwas verliebt und etwas tugendhaft und sehr geschnürt, das in Jamben spricht und mit den Logen kokettirt -- das ist eine Jungfrau. Ein Korb voll Kaldaunen, der nach Tische zur Verdauung Poesie treibt und in Romeo und Julie eines gemalten Pomeranzenbaums bedarf, um sich nach Italien zu versetzen: das ist das
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hab' ich gegeben, und nicht einen Buchſtaben aͤndere ich an dem ganzen Stuͤck! — Hiermit ſchleuderte er das Manuſcript zornig auf den Tiſch und ging raſch in den Garten fort, und es war ihm in einiger Ent¬ fernung, als hoͤrte er die Schauſpieler hinter ſich lachen.
In dieſem heftig bewegten Zuſtande begegnete er Lothario'n, der ihm ſehr bald die ganze Geſchichte abgefragt hatte und darauf in ein tolles Gelaͤchter ausbrach. Darf man erfahren, woruͤber Sie lachen? fragte Otto empfindlich. Weil Sie, erwiederte Lotha¬ rio, durch dieſe gluͤckliche Begebenheit hoffentlich auf den naͤchſten Weg gerathen ſind, ſich der theatraliſchen Flauſen gaͤnzlich zu entſchlagen. Otto ſah ihn ver¬ wundert an. Aber Lothario ließ ſich nicht irre ma¬ chen. Ueberlegt doch nur ſelbſt, fuhr er fort, was wollen ſie denn eigentlich! Ein großer, ſtarker Kerl, der ploͤtzlich herausſtuͤrzt und recitativiſch ſchreit: ich fuͤrcht' mich vor dem Tode nicht! ein Poſaunenſtoß oder ein Paar Striche uͤber die große Baßgeige dazu — das iſt ein Held. Ein zimperlich Ding, etwas verliebt und etwas tugendhaft und ſehr geſchnuͤrt, das in Jamben ſpricht und mit den Logen kokettirt — das iſt eine Jungfrau. Ein Korb voll Kaldaunen, der nach Tiſche zur Verdauung Poeſie treibt und in Romeo und Julie eines gemalten Pomeranzenbaums bedarf, um ſich nach Italien zu verſetzen: das iſt das
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hab' ich gegeben, und nicht einen Buchſtaben aͤndere
ich an dem ganzen Stuͤck! — Hiermit ſchleuderte er
das Manuſcript zornig auf den Tiſch und ging raſch
in den Garten fort, und es war ihm in einiger Ent¬
fernung, als hoͤrte er die Schauſpieler hinter ſich
lachen.
In dieſem heftig bewegten Zuſtande begegnete er
Lothario'n, der ihm ſehr bald die ganze Geſchichte
abgefragt hatte und darauf in ein tolles Gelaͤchter
ausbrach. Darf man erfahren, woruͤber Sie lachen?
fragte Otto empfindlich. Weil Sie, erwiederte Lotha¬
rio, durch dieſe gluͤckliche Begebenheit hoffentlich auf
den naͤchſten Weg gerathen ſind, ſich der theatraliſchen
Flauſen gaͤnzlich zu entſchlagen. Otto ſah ihn ver¬
wundert an. Aber Lothario ließ ſich nicht irre ma¬
chen. Ueberlegt doch nur ſelbſt, fuhr er fort, was
wollen ſie denn eigentlich! Ein großer, ſtarker Kerl,
der ploͤtzlich herausſtuͤrzt und recitativiſch ſchreit: ich
fuͤrcht' mich vor dem Tode nicht! ein Poſaunenſtoß
oder ein Paar Striche uͤber die große Baßgeige dazu
— das iſt ein Held. Ein zimperlich Ding, etwas
verliebt und etwas tugendhaft und ſehr geſchnuͤrt, das
in Jamben ſpricht und mit den Logen kokettirt —
das iſt eine Jungfrau. Ein Korb voll Kaldaunen,
der nach Tiſche zur Verdauung Poeſie treibt und in
Romeo und Julie eines gemalten Pomeranzenbaums
bedarf, um ſich nach Italien zu verſetzen: das iſt das
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/154>, abgerufen am 23.11.2024.
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