Mein dunkler, wilder, halbunwillkührlicher Trieb war nun erfüllt. Finsterer, als die Nacht um mich, eilte ich den Garten hinab. Ein Kahn stand unten am Ufer des Stromes angebunden. Ich stieg hinein und ließ ihn den Strom hinabfah¬ ren. Die Nacht vergieng, die Sonne gierig auf und wieder unter, ich saß und fuhr noch immer¬ fort.
Den anderen Morgen verlohr sich der Strom zwischen wilden, einsamen Wäldern und Schluften. Der Hunger trieb mich ans Land. Es war diese Gegend hier. Ich fand nach einigem Herumirren das Schloß, das ihr gesehen. Ein alter, verrück¬ ter Einsiedler wohnte damals dann, von dessen früherem Lebenslaufe ich nie etwas erfahren konn¬ te. Es gefiel nur gar wohl in dieser Wuste und ich blieb bey ihm. Kurze Zeit darauf starb der Alte und hinterließ mir seine alten Bücher, sein verfallenes Schloß und eine Menge Goldes in den Kellern. Ich hätte nun wieder in die Welt zuruck¬ kehren können mit dem Schatze, zum allgemeinen Nutzen und Vergnügen. Aber ich passe nirgends mehr in die Welt hinein. Die Welt ist ein gro¬ ßer, unermeßlicher Magen und braucht leichte, weiche, bewegliche Menschen, die sie in ihren viel¬ fach-verschlungenen, langweiligen Kanälen verar¬ beiten kann. Ich tauge nicht dazu, und sie wirft solche Gesellen wieder aus, wie unverdauliches Ei¬ sen, fest, kalt, formlos und ewig unfruchtbar. --
Mein dunkler, wilder, halbunwillkührlicher Trieb war nun erfüllt. Finſterer, als die Nacht um mich, eilte ich den Garten hinab. Ein Kahn ſtand unten am Ufer des Stromes angebunden. Ich ſtieg hinein und ließ ihn den Strom hinabfah¬ ren. Die Nacht vergieng, die Sonne gierig auf und wieder unter, ich ſaß und fuhr noch immer¬ fort.
Den anderen Morgen verlohr ſich der Strom zwiſchen wilden, einſamen Wäldern und Schluften. Der Hunger trieb mich ans Land. Es war dieſe Gegend hier. Ich fand nach einigem Herumirren das Schloß, das ihr geſehen. Ein alter, verrück¬ ter Einſiedler wohnte damals dann, von deſſen früherem Lebenslaufe ich nie etwas erfahren konn¬ te. Es gefiel nur gar wohl in dieſer Wuſte und ich blieb bey ihm. Kurze Zeit darauf ſtarb der Alte und hinterließ mir ſeine alten Bücher, ſein verfallenes Schloß und eine Menge Goldes in den Kellern. Ich hätte nun wieder in die Welt zuruck¬ kehren können mit dem Schatze, zum allgemeinen Nutzen und Vergnügen. Aber ich paſſe nirgends mehr in die Welt hinein. Die Welt iſt ein gro¬ ßer, unermeßlicher Magen und braucht leichte, weiche, bewegliche Menſchen, die ſie in ihren viel¬ fach-verſchlungenen, langweiligen Kanälen verar¬ beiten kann. Ich tauge nicht dazu, und ſie wirft ſolche Geſellen wieder aus, wie unverdauliches Ei¬ ſen, feſt, kalt, formlos und ewig unfruchtbar. —
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Mein dunkler, wilder, halbunwillkührlicher
Trieb war nun erfüllt. Finſterer, als die Nacht
um mich, eilte ich den Garten hinab. Ein Kahn
ſtand unten am Ufer des Stromes angebunden.
Ich ſtieg hinein und ließ ihn den Strom hinabfah¬
ren. Die Nacht vergieng, die Sonne gierig auf
und wieder unter, ich ſaß und fuhr noch immer¬
fort.
Den anderen Morgen verlohr ſich der Strom
zwiſchen wilden, einſamen Wäldern und Schluften.
Der Hunger trieb mich ans Land. Es war dieſe
Gegend hier. Ich fand nach einigem Herumirren
das Schloß, das ihr geſehen. Ein alter, verrück¬
ter Einſiedler wohnte damals dann, von deſſen
früherem Lebenslaufe ich nie etwas erfahren konn¬
te. Es gefiel nur gar wohl in dieſer Wuſte und
ich blieb bey ihm. Kurze Zeit darauf ſtarb der
Alte und hinterließ mir ſeine alten Bücher, ſein
verfallenes Schloß und eine Menge Goldes in den
Kellern. Ich hätte nun wieder in die Welt zuruck¬
kehren können mit dem Schatze, zum allgemeinen
Nutzen und Vergnügen. Aber ich paſſe nirgends
mehr in die Welt hinein. Die Welt iſt ein gro¬
ßer, unermeßlicher Magen und braucht leichte,
weiche, bewegliche Menſchen, die ſie in ihren viel¬
fach-verſchlungenen, langweiligen Kanälen verar¬
beiten kann. Ich tauge nicht dazu, und ſie wirft
ſolche Geſellen wieder aus, wie unverdauliches Ei¬
ſen, feſt, kalt, formlos und ewig unfruchtbar. —
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/450>, abgerufen am 24.11.2024.
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