Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

So endigte Rudolph seine Erzählung, welche
die beyden Grafen in eine nachdenkliche Stille ver¬
senkt hatte. Leontin hatte sich, als Rudolph das
Schloß der Angelina beschrieb, an jenen kurzen Be¬
such erinnert, den er nach dem Brande mit Frie¬
drich'n auf dem Schlosse der weißen Frau abgelegt,
und konnte sich der Vermuthung nicht erwehren,
daß diese vielleicht Angelina selber war. -- Es war
unterdeß dunkel geworden, der Mond trat eben
über den einsamen Bergen hervor. Ihr wißt nun
alles, gute Nacht! sagte Rudolph schnell und gieng
von ihnen fort. Sie sahen ihm lange nach, wie
sein langer, dunkler Schatten sich zwischen den ho¬
hen Bäumen verlohr.

Als sie wieder oben in ihrem Zimmer waren,
ergriff Leontin Mariens Guitarre, die sie dort ver¬
gessen hatte, und sang über den stillen Kreis der
Wälder hinaus:

Nächtlich dehnen sich die Stunden,
Unschuld schläft in stiller Bucht,
Fernab ist die Welt verschwunden,
Die das Herz in Träumen sucht.
Und der Geist tritt auf die Zinne,
Und noch stiller wird's umher,
Schauet mit dem starren Sinne
In das Wesenlose Meer.
Wer ihn sah bey Wetterblicken
Steh'n in seiner Rüstung blank:
Den mag nimmermehr erquicken
Reichen Lebens frischer Drang. --

So endigte Rudolph ſeine Erzählung, welche
die beyden Grafen in eine nachdenkliche Stille ver¬
ſenkt hatte. Leontin hatte ſich, als Rudolph das
Schloß der Angelina beſchrieb, an jenen kurzen Be¬
ſuch erinnert, den er nach dem Brande mit Frie¬
drich'n auf dem Schloſſe der weißen Frau abgelegt,
und konnte ſich der Vermuthung nicht erwehren,
daß dieſe vielleicht Angelina ſelber war. — Es war
unterdeß dunkel geworden, der Mond trat eben
über den einſamen Bergen hervor. Ihr wißt nun
alles, gute Nacht! ſagte Rudolph ſchnell und gieng
von ihnen fort. Sie ſahen ihm lange nach, wie
ſein langer, dunkler Schatten ſich zwiſchen den ho¬
hen Bäumen verlohr.

Als ſie wieder oben in ihrem Zimmer waren,
ergriff Leontin Mariens Guitarre, die ſie dort ver¬
geſſen hatte, und ſang über den ſtillen Kreis der
Wälder hinaus:

Nächtlich dehnen ſich die Stunden,
Unſchuld ſchläft in ſtiller Bucht,
Fernab iſt die Welt verſchwunden,
Die das Herz in Träumen ſucht.
Und der Geiſt tritt auf die Zinne,
Und noch ſtiller wird's umher,
Schauet mit dem ſtarren Sinne
In das Weſenloſe Meer.
Wer ihn ſah bey Wetterblicken
Steh'n in ſeiner Rüſtung blank:
Den mag nimmermehr erquicken
Reichen Lebens friſcher Drang. —
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0451" n="445"/>
          <p>So endigte Rudolph &#x017F;eine Erzählung, welche<lb/>
die beyden Grafen in eine nachdenkliche Stille ver¬<lb/>
&#x017F;enkt hatte. Leontin hatte &#x017F;ich, als Rudolph das<lb/>
Schloß der Angelina be&#x017F;chrieb, an jenen kurzen Be¬<lb/>
&#x017F;uch erinnert, den er nach dem Brande mit Frie¬<lb/>
drich'n auf dem Schlo&#x017F;&#x017F;e der weißen Frau abgelegt,<lb/>
und konnte &#x017F;ich der Vermuthung nicht erwehren,<lb/>
daß die&#x017F;e vielleicht Angelina &#x017F;elber war. &#x2014; Es war<lb/>
unterdeß dunkel geworden, der Mond trat eben<lb/>
über den ein&#x017F;amen Bergen hervor. Ihr wißt nun<lb/>
alles, gute Nacht! &#x017F;agte Rudolph &#x017F;chnell und gieng<lb/>
von ihnen fort. Sie &#x017F;ahen ihm lange nach, wie<lb/>
&#x017F;ein langer, dunkler Schatten &#x017F;ich zwi&#x017F;chen den ho¬<lb/>
hen Bäumen verlohr.</p><lb/>
          <p>Als &#x017F;ie wieder oben in ihrem Zimmer waren,<lb/>
ergriff Leontin Mariens Guitarre, die &#x017F;ie dort ver¬<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en hatte, und &#x017F;ang über den &#x017F;tillen Kreis der<lb/>
Wälder hinaus:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l rendition="#et">Nächtlich dehnen &#x017F;ich die Stunden,</l><lb/>
              <l>Un&#x017F;chuld &#x017F;chläft in &#x017F;tiller Bucht,</l><lb/>
              <l>Fernab i&#x017F;t die Welt ver&#x017F;chwunden,</l><lb/>
              <l>Die das Herz in Träumen &#x017F;ucht.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l rendition="#et">Und der Gei&#x017F;t tritt auf die Zinne,</l><lb/>
              <l>Und noch &#x017F;tiller wird's umher,</l><lb/>
              <l>Schauet mit dem &#x017F;tarren Sinne</l><lb/>
              <l>In das We&#x017F;enlo&#x017F;e Meer.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l rendition="#et">Wer ihn &#x017F;ah bey Wetterblicken</l><lb/>
              <l>Steh'n in &#x017F;einer Rü&#x017F;tung blank:</l><lb/>
              <l>Den mag nimmermehr erquicken</l><lb/>
              <l>Reichen Lebens fri&#x017F;cher Drang. &#x2014;</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[445/0451] So endigte Rudolph ſeine Erzählung, welche die beyden Grafen in eine nachdenkliche Stille ver¬ ſenkt hatte. Leontin hatte ſich, als Rudolph das Schloß der Angelina beſchrieb, an jenen kurzen Be¬ ſuch erinnert, den er nach dem Brande mit Frie¬ drich'n auf dem Schloſſe der weißen Frau abgelegt, und konnte ſich der Vermuthung nicht erwehren, daß dieſe vielleicht Angelina ſelber war. — Es war unterdeß dunkel geworden, der Mond trat eben über den einſamen Bergen hervor. Ihr wißt nun alles, gute Nacht! ſagte Rudolph ſchnell und gieng von ihnen fort. Sie ſahen ihm lange nach, wie ſein langer, dunkler Schatten ſich zwiſchen den ho¬ hen Bäumen verlohr. Als ſie wieder oben in ihrem Zimmer waren, ergriff Leontin Mariens Guitarre, die ſie dort ver¬ geſſen hatte, und ſang über den ſtillen Kreis der Wälder hinaus: Nächtlich dehnen ſich die Stunden, Unſchuld ſchläft in ſtiller Bucht, Fernab iſt die Welt verſchwunden, Die das Herz in Träumen ſucht. Und der Geiſt tritt auf die Zinne, Und noch ſtiller wird's umher, Schauet mit dem ſtarren Sinne In das Weſenloſe Meer. Wer ihn ſah bey Wetterblicken Steh'n in ſeiner Rüſtung blank: Den mag nimmermehr erquicken Reichen Lebens friſcher Drang. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/451
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/451>, abgerufen am 21.11.2024.