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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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und melankolisch zu sprechen, daß es ihr durch die
Seele gieng, wobey sie öfters ausrief: wär' ich
doch lieber ins Kloster gegangen! Dann sagte sie
wieder lustig: bin ich nicht ein schöner Jäger? Dar¬
auf sey sie hinaufgegangen, habe, während schon
alles schlief, noch immerfort Licht gebrannt und am
offnen Fenster allerley zur Laute gesungen. Beson¬
ders habe sie folgendes Liedchen zum öftern wie¬
derholt, welches auch mir gar wohl bekannt war,
da es Angelina von mir gelernt hatte:

"Ich hab' geseh'n ein Hirschlein schlank
Im Waldesgrunde steh'n,
Nun ist mir draussen weh' und bang,
Muß ewig nach ihm geh'n.
Frischauf, ihr Waldgesellen mein!
Ins Horn, ins Horn frischauf!
Das lockt so hell, das lockt so fein,
Aurora thut sich auf."
Das Hirschlein führt den Jägersmann,
In grüner Waldesnacht,
Thalunter schwindelnd und bergan
Zu niegeseh'ner Pracht.
"Wie rauscht schon abendlich der Wald,
Die Brust mir schaurig schwellt!
Die Freunde fern, der Wind so kalt,
So tief und weit die Welt!"
Es lockt so tief, es lockt so fein
Durch's dunkelgrüne Haus,
Der Jäger irrt und irrt allein,
Find't nimmermehr heraus. --

und melankoliſch zu ſprechen, daß es ihr durch die
Seele gieng, wobey ſie öfters ausrief: wär' ich
doch lieber ins Kloſter gegangen! Dann ſagte ſie
wieder luſtig: bin ich nicht ein ſchöner Jäger? Dar¬
auf ſey ſie hinaufgegangen, habe, während ſchon
alles ſchlief, noch immerfort Licht gebrannt und am
offnen Fenſter allerley zur Laute geſungen. Beſon¬
ders habe ſie folgendes Liedchen zum öftern wie¬
derholt, welches auch mir gar wohl bekannt war,
da es Angelina von mir gelernt hatte:

„Ich hab' geſeh'n ein Hirſchlein ſchlank
Im Waldesgrunde ſteh'n,
Nun iſt mir drauſſen weh' und bang,
Muß ewig nach ihm geh'n.
Friſchauf, ihr Waldgeſellen mein!
Ins Horn, ins Horn friſchauf!
Das lockt ſo hell, das lockt ſo fein,
Aurora thut ſich auf.“
Das Hirſchlein führt den Jägersmann,
In grüner Waldesnacht,
Thalunter ſchwindelnd und bergan
Zu niegeſeh'ner Pracht.
„Wie rauſcht ſchon abendlich der Wald,
Die Bruſt mir ſchaurig ſchwellt!
Die Freunde fern, der Wind ſo kalt,
So tief und weit die Welt!“
Es lockt ſo tief, es lockt ſo fein
Durch's dunkelgrüne Haus,
Der Jäger irrt und irrt allein,
Find't nimmermehr heraus. —
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[429/0435] und melankoliſch zu ſprechen, daß es ihr durch die Seele gieng, wobey ſie öfters ausrief: wär' ich doch lieber ins Kloſter gegangen! Dann ſagte ſie wieder luſtig: bin ich nicht ein ſchöner Jäger? Dar¬ auf ſey ſie hinaufgegangen, habe, während ſchon alles ſchlief, noch immerfort Licht gebrannt und am offnen Fenſter allerley zur Laute geſungen. Beſon¬ ders habe ſie folgendes Liedchen zum öftern wie¬ derholt, welches auch mir gar wohl bekannt war, da es Angelina von mir gelernt hatte: „Ich hab' geſeh'n ein Hirſchlein ſchlank Im Waldesgrunde ſteh'n, Nun iſt mir drauſſen weh' und bang, Muß ewig nach ihm geh'n. Friſchauf, ihr Waldgeſellen mein! Ins Horn, ins Horn friſchauf! Das lockt ſo hell, das lockt ſo fein, Aurora thut ſich auf.“ Das Hirſchlein führt den Jägersmann, In grüner Waldesnacht, Thalunter ſchwindelnd und bergan Zu niegeſeh'ner Pracht. „Wie rauſcht ſchon abendlich der Wald, Die Bruſt mir ſchaurig ſchwellt! Die Freunde fern, der Wind ſo kalt, So tief und weit die Welt!“ Es lockt ſo tief, es lockt ſo fein Durch's dunkelgrüne Haus, Der Jäger irrt und irrt allein, Find't nimmermehr heraus. —

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/435>, abgerufen am 27.11.2024.