Gegen Mitternacht ohngefähr, fuhr die Alte fort, hörte ich ein leises Händeklatschen vor dem Hause. Ich öffnete leise die Lade meines Guckfen¬ sters und sah einen großen Mann, bewaffnet und in einen langen Mantel vermummt, unter Angeli¬ nen's Fenster steh'n, seitwärts im Gebüsch hielt ein Wagen mit Bedienten und vier Pferden. In dem¬ selben Augenblicke kam auch Angelina, ihr Kind auf dem Arme, unten zum Hause heraus. Der fremde Herr küßte sie und hob sie geschwind in den Wagen, der pfeilschnell davonrollte. Eh' ich mich besann, herauslief und schrie, war alles in der di¬ cken Finsterniß verschwunden. --
Auf diesen verzweifelten Bericht der Alten stürzte ich in das Zimmer hinauf. Alles lag noch wie sonst umher, sie hatte nichts mitgenommen als ihr Kind. Ein Bild, das nach ihr kopirt war, stand noch ruhig auf der Staffeley, wie ich es ver¬ lassen. Auf dem Tische daneben lag ein ungeheue¬ rer Haufen von Goldstücken. Wüthend und ausser mir, warf ich alle das Gold, das Bild und alle andere Bilder und Zeichnungen hinterdrein zum Fenster hinaus. Die Alte tanzte unten mit widrig vor Staunen und Gier verzerrten Gebehrden wie eine Hexe zwischen dem Goldregen herum, und ich glaubte da auf einmal in ihren Zügen dieselbe Zi¬ geunerin zu erkennen, die mir damals an dem Gar¬ tengitter prophezeit hatte. -- Ich eilte zu ihr hin¬ ab, aber sie hatte sich bereits mit dem Golde ver¬ lohren. -- Ich lud nun meine Pistolen, warf mich
Gegen Mitternacht ohngefähr, fuhr die Alte fort, hörte ich ein leiſes Händeklatſchen vor dem Hauſe. Ich öffnete leiſe die Lade meines Guckfen¬ ſters und ſah einen großen Mann, bewaffnet und in einen langen Mantel vermummt, unter Angeli¬ nen's Fenſter ſteh'n, ſeitwärts im Gebüſch hielt ein Wagen mit Bedienten und vier Pferden. In dem¬ ſelben Augenblicke kam auch Angelina, ihr Kind auf dem Arme, unten zum Hauſe heraus. Der fremde Herr küßte ſie und hob ſie geſchwind in den Wagen, der pfeilſchnell davonrollte. Eh' ich mich beſann, herauslief und ſchrie, war alles in der di¬ cken Finſterniß verſchwunden. —
Auf dieſen verzweifelten Bericht der Alten ſtürzte ich in das Zimmer hinauf. Alles lag noch wie ſonſt umher, ſie hatte nichts mitgenommen als ihr Kind. Ein Bild, das nach ihr kopirt war, ſtand noch ruhig auf der Staffeley, wie ich es ver¬ laſſen. Auf dem Tiſche daneben lag ein ungeheue¬ rer Haufen von Goldſtücken. Wüthend und auſſer mir, warf ich alle das Gold, das Bild und alle andere Bilder und Zeichnungen hinterdrein zum Fenſter hinaus. Die Alte tanzte unten mit widrig vor Staunen und Gier verzerrten Gebehrden wie eine Hexe zwiſchen dem Goldregen herum, und ich glaubte da auf einmal in ihren Zügen dieſelbe Zi¬ geunerin zu erkennen, die mir damals an dem Gar¬ tengitter prophezeit hatte. — Ich eilte zu ihr hin¬ ab, aber ſie hatte ſich bereits mit dem Golde ver¬ lohren. — Ich lud nun meine Piſtolen, warf mich
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Gegen Mitternacht ohngefähr, fuhr die Alte
fort, hörte ich ein leiſes Händeklatſchen vor dem
Hauſe. Ich öffnete leiſe die Lade meines Guckfen¬
ſters und ſah einen großen Mann, bewaffnet und
in einen langen Mantel vermummt, unter Angeli¬
nen's Fenſter ſteh'n, ſeitwärts im Gebüſch hielt ein
Wagen mit Bedienten und vier Pferden. In dem¬
ſelben Augenblicke kam auch Angelina, ihr Kind
auf dem Arme, unten zum Hauſe heraus. Der
fremde Herr küßte ſie und hob ſie geſchwind in den
Wagen, der pfeilſchnell davonrollte. Eh' ich mich
beſann, herauslief und ſchrie, war alles in der di¬
cken Finſterniß verſchwunden. —
Auf dieſen verzweifelten Bericht der Alten
ſtürzte ich in das Zimmer hinauf. Alles lag noch
wie ſonſt umher, ſie hatte nichts mitgenommen als
ihr Kind. Ein Bild, das nach ihr kopirt war,
ſtand noch ruhig auf der Staffeley, wie ich es ver¬
laſſen. Auf dem Tiſche daneben lag ein ungeheue¬
rer Haufen von Goldſtücken. Wüthend und auſſer
mir, warf ich alle das Gold, das Bild und alle
andere Bilder und Zeichnungen hinterdrein zum
Fenſter hinaus. Die Alte tanzte unten mit widrig
vor Staunen und Gier verzerrten Gebehrden wie
eine Hexe zwiſchen dem Goldregen herum, und ich
glaubte da auf einmal in ihren Zügen dieſelbe Zi¬
geunerin zu erkennen, die mir damals an dem Gar¬
tengitter prophezeit hatte. — Ich eilte zu ihr hin¬
ab, aber ſie hatte ſich bereits mit dem Golde ver¬
lohren. — Ich lud nun meine Piſtolen, warf mich
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/436>, abgerufen am 23.11.2024.
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