Weit in die Welt hinaus, Und singen meine Weisen Und geh'n von Haus zu Haus.
Ich möcht' als Reiter fliegen,
Wohl in die blut'ge Schlacht, Um stille Feuer liegen, Im Feld bey dunkler Nacht.
Hör' ich das Mühlrad gehen,
Ich weiß nicht, was ich will -- Ich möcht' am liebsten sterben, Da wär's auf einmal still.
Diese Worte, so aus tiefster Seele herausge¬ sungen, kamen Friedrich'n in dem Munde eines Mädchens sehr seltsam vor. Wie erstaunt, ja wun¬ derbar erschüttert aber war er, als sich das Mäd¬ chen, während des Gesanges, ohne ihn zu bemer¬ ken, einmal flüchtig umwandte, und er bey dem Sonnenstreif, der durch die Zweige grade auf ihr Gesicht fiel, nicht nur eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Mädchen, das ihm damals in der Mühle hinaufgeleuchtet, bemerkte, sondern in dieser Klei¬ dung und Umgebung vielmehr jenes wunderschöne Kind aus längstverklungener Zeit wiederzusehen glaubte, mit der er als kleiner Knabe so oft zu Hause im, Garten gespielt, und die er seitdem nie wiedergesehen hatte. Jetzt fiel es ihm auch plötzlich wie Schuppen von den Augen, daß dieß dieselben Züge seyen, die ihm in dem verlassenen Gebirgs¬ schlosse auf dem Bilde der heiligen Anna in dem
Ich möcht' als Spielmann reifen
Weit in die Welt hinaus, Und ſingen meine Weiſen Und geh'n von Haus zu Haus.
Ich möcht' als Reiter fliegen,
Wohl in die blut'ge Schlacht, Um ſtille Feuer liegen, Im Feld bey dunkler Nacht.
Hör' ich das Mühlrad gehen,
Ich weiß nicht, was ich will — Ich möcht' am liebſten ſterben, Da wär's auf einmal ſtill.
Dieſe Worte, ſo aus tiefſter Seele herausge¬ ſungen, kamen Friedrich'n in dem Munde eines Mädchens ſehr ſeltſam vor. Wie erſtaunt, ja wun¬ derbar erſchüttert aber war er, als ſich das Mäd¬ chen, während des Geſanges, ohne ihn zu bemer¬ ken, einmal flüchtig umwandte, und er bey dem Sonnenſtreif, der durch die Zweige grade auf ihr Geſicht fiel, nicht nur eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Mädchen, das ihm damals in der Mühle hinaufgeleuchtet, bemerkte, ſondern in dieſer Klei¬ dung und Umgebung vielmehr jenes wunderſchöne Kind aus längſtverklungener Zeit wiederzuſehen glaubte, mit der er als kleiner Knabe ſo oft zu Hauſe im, Garten geſpielt, und die er ſeitdem nie wiedergeſehen hatte. Jetzt fiel es ihm auch plötzlich wie Schuppen von den Augen, daß dieß dieſelben Züge ſeyen, die ihm in dem verlaſſenen Gebirgs¬ ſchloſſe auf dem Bilde der heiligen Anna in dem
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Ich möcht' als Spielmann reifen
Weit in die Welt hinaus,
Und ſingen meine Weiſen
Und geh'n von Haus zu Haus.
Ich möcht' als Reiter fliegen,
Wohl in die blut'ge Schlacht,
Um ſtille Feuer liegen,
Im Feld bey dunkler Nacht.
Hör' ich das Mühlrad gehen,
Ich weiß nicht, was ich will —
Ich möcht' am liebſten ſterben,
Da wär's auf einmal ſtill.
Dieſe Worte, ſo aus tiefſter Seele herausge¬
ſungen, kamen Friedrich'n in dem Munde eines
Mädchens ſehr ſeltſam vor. Wie erſtaunt, ja wun¬
derbar erſchüttert aber war er, als ſich das Mäd¬
chen, während des Geſanges, ohne ihn zu bemer¬
ken, einmal flüchtig umwandte, und er bey dem
Sonnenſtreif, der durch die Zweige grade auf ihr
Geſicht fiel, nicht nur eine auffallende Aehnlichkeit
mit dem Mädchen, das ihm damals in der Mühle
hinaufgeleuchtet, bemerkte, ſondern in dieſer Klei¬
dung und Umgebung vielmehr jenes wunderſchöne
Kind aus längſtverklungener Zeit wiederzuſehen
glaubte, mit der er als kleiner Knabe ſo oft zu
Hauſe im, Garten geſpielt, und die er ſeitdem nie
wiedergeſehen hatte. Jetzt fiel es ihm auch plötzlich
wie Schuppen von den Augen, daß dieß dieſelben
Züge ſeyen, die ihm in dem verlaſſenen Gebirgs¬
ſchloſſe auf dem Bilde der heiligen Anna in dem
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/363>, abgerufen am 22.11.2024.
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