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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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ein. Er wußte, daß es der nemliche sey, der die
schöne Wiese vor Leontins Schlosse durchschnitt, und
folgte ihm daher auf einem Fußstege die Höhen hin¬
ab. Da erblickte er nach einem langen Wege uner¬
wartet auch die berüchtigte Waldmühle im Grunde
wieder. Wie anders, Gespensterhaft und voll wun¬
derbarer Schrecken hatte ihm damals die phantasti¬
sche Nacht diese Gegend ausgebildet, die heut recht
behaglich im Sonnenscheine vor ihm lag. Der Bach
rauschte melankolisch an der alten Mühle vorüber,
die halbverfallen dastand, und schon lange verlassen
zu seyn schien; das Rad war zerbrochen und stand
still.

Auf der einen Seite der Mühle war ein schö¬
ner, lichtgrüner Grund, über welchem frische Eichen
ihre kühlen Hallen woben. Dort sah Friedrich ein
Mädchen in einem reinlichen, weißen Kleide auf
dem Boden sitzen, halb mit dem Rücken nach ihm
gekehrt. Er hörte das Mädchen singen und konnte
deutlich folgende Worte verstehen:

In einem kühlen Grunde,
Da geht ein Mühlenrad,
Mein' Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnet hat.
Sie hat mir Treu' versprochen,
Gab mir ein'n Ring dabey,
Sie hat die Treu' gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwey.

ein. Er wußte, daß es der nemliche ſey, der die
ſchöne Wieſe vor Leontins Schloſſe durchſchnitt, und
folgte ihm daher auf einem Fußſtege die Höhen hin¬
ab. Da erblickte er nach einem langen Wege uner¬
wartet auch die berüchtigte Waldmühle im Grunde
wieder. Wie anders, Geſpenſterhaft und voll wun¬
derbarer Schrecken hatte ihm damals die phantaſti¬
ſche Nacht dieſe Gegend ausgebildet, die heut recht
behaglich im Sonnenſcheine vor ihm lag. Der Bach
rauſchte melankoliſch an der alten Mühle vorüber,
die halbverfallen daſtand, und ſchon lange verlaſſen
zu ſeyn ſchien; das Rad war zerbrochen und ſtand
ſtill.

Auf der einen Seite der Mühle war ein ſchö¬
ner, lichtgrüner Grund, über welchem friſche Eichen
ihre kühlen Hallen woben. Dort ſah Friedrich ein
Mädchen in einem reinlichen, weißen Kleide auf
dem Boden ſitzen, halb mit dem Rücken nach ihm
gekehrt. Er hörte das Mädchen ſingen und konnte
deutlich folgende Worte verſtehen:

In einem kühlen Grunde,
Da geht ein Mühlenrad,
Mein' Liebſte iſt verſchwunden,
Die dort gewohnet hat.
Sie hat mir Treu' verſprochen,
Gab mir ein'n Ring dabey,
Sie hat die Treu' gebrochen,
Mein Ringlein ſprang entzwey.
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[356/0362] ein. Er wußte, daß es der nemliche ſey, der die ſchöne Wieſe vor Leontins Schloſſe durchſchnitt, und folgte ihm daher auf einem Fußſtege die Höhen hin¬ ab. Da erblickte er nach einem langen Wege uner¬ wartet auch die berüchtigte Waldmühle im Grunde wieder. Wie anders, Geſpenſterhaft und voll wun¬ derbarer Schrecken hatte ihm damals die phantaſti¬ ſche Nacht dieſe Gegend ausgebildet, die heut recht behaglich im Sonnenſcheine vor ihm lag. Der Bach rauſchte melankoliſch an der alten Mühle vorüber, die halbverfallen daſtand, und ſchon lange verlaſſen zu ſeyn ſchien; das Rad war zerbrochen und ſtand ſtill. Auf der einen Seite der Mühle war ein ſchö¬ ner, lichtgrüner Grund, über welchem friſche Eichen ihre kühlen Hallen woben. Dort ſah Friedrich ein Mädchen in einem reinlichen, weißen Kleide auf dem Boden ſitzen, halb mit dem Rücken nach ihm gekehrt. Er hörte das Mädchen ſingen und konnte deutlich folgende Worte verſtehen: In einem kühlen Grunde, Da geht ein Mühlenrad, Mein' Liebſte iſt verſchwunden, Die dort gewohnet hat. Sie hat mir Treu' verſprochen, Gab mir ein'n Ring dabey, Sie hat die Treu' gebrochen, Mein Ringlein ſprang entzwey.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/362>, abgerufen am 22.11.2024.