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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Gesichte des Kindes Maria so sehr aufgefallen wa¬
ren. --

Verwirrt durch so viele sich durchkreutzende,
uralte Erinnerungen, ritt er auf das Mädchen zu,
da sie eben ihr Lied geendigt hatte. Sie aber, von
dem Geräusche aufgeschreckt, sprang, ohne sich weiter
umzusehen, fort, und war bald in dem Walde ver¬
schwunden.

Da sah er auf der Anhöhe, wohin sich das
Mädchen geflüchtet, eine andere weibliche Gestalt
zwischen den Bäumen erscheinen, groß, schön und
herrlich. -- Es war Friedrich'n, als begrüsse ihn
sein ganzes vergangenes Leben hier, wie in einem
Traume, noch einmal in tausend schönwirrenden
Verwandlungen; denn je näher er dem Berge
kam, je deutlicher glaubte er in jener Gestalt Ju¬
lien wieder zu erkennen. Er stieg vom Pferde und
eilte die Anhöhe hinauf, wo unterdeß die liebliche
Erscheinung sich wieder verlohren hatte.

Oben fand er sie ruhig auf dem Boden sitzend,
es war wirklich Julie. Stille, stille! sagte sie, als
er näher trat, nicht weniger überrascht, als er, und
wies auf Leontin, der, neben ihr an einem Baume
angelehnt, eingeschlummert lag. Er war auffallend
blaß, sein linker Arm ruhte in einer Binde. Frie¬
drich betrachtete verwundert bald Leontin bald Ju¬
lien. Julien schien dabey das Unschickliche ihrer
einsamen Lage mit Leontin einzufallen, und sie sah
erröthend in den Schooß.

Geſichte des Kindes Maria ſo ſehr aufgefallen wa¬
ren. —

Verwirrt durch ſo viele ſich durchkreutzende,
uralte Erinnerungen, ritt er auf das Mädchen zu,
da ſie eben ihr Lied geendigt hatte. Sie aber, von
dem Geräuſche aufgeſchreckt, ſprang, ohne ſich weiter
umzuſehen, fort, und war bald in dem Walde ver¬
ſchwunden.

Da ſah er auf der Anhöhe, wohin ſich das
Mädchen geflüchtet, eine andere weibliche Geſtalt
zwiſchen den Bäumen erſcheinen, groß, ſchön und
herrlich. — Es war Friedrich'n, als begrüſſe ihn
ſein ganzes vergangenes Leben hier, wie in einem
Traume, noch einmal in tauſend ſchönwirrenden
Verwandlungen; denn je näher er dem Berge
kam, je deutlicher glaubte er in jener Geſtalt Ju¬
lien wieder zu erkennen. Er ſtieg vom Pferde und
eilte die Anhöhe hinauf, wo unterdeß die liebliche
Erſcheinung ſich wieder verlohren hatte.

Oben fand er ſie ruhig auf dem Boden ſitzend,
es war wirklich Julie. Stille, ſtille! ſagte ſie, als
er näher trat, nicht weniger überraſcht, als er, und
wies auf Leontin, der, neben ihr an einem Baume
angelehnt, eingeſchlummert lag. Er war auffallend
blaß, ſein linker Arm ruhte in einer Binde. Frie¬
drich betrachtete verwundert bald Leontin bald Ju¬
lien. Julien ſchien dabey das Unſchickliche ihrer
einſamen Lage mit Leontin einzufallen, und ſie ſah
erröthend in den Schooß.

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[358/0364] Geſichte des Kindes Maria ſo ſehr aufgefallen wa¬ ren. — Verwirrt durch ſo viele ſich durchkreutzende, uralte Erinnerungen, ritt er auf das Mädchen zu, da ſie eben ihr Lied geendigt hatte. Sie aber, von dem Geräuſche aufgeſchreckt, ſprang, ohne ſich weiter umzuſehen, fort, und war bald in dem Walde ver¬ ſchwunden. Da ſah er auf der Anhöhe, wohin ſich das Mädchen geflüchtet, eine andere weibliche Geſtalt zwiſchen den Bäumen erſcheinen, groß, ſchön und herrlich. — Es war Friedrich'n, als begrüſſe ihn ſein ganzes vergangenes Leben hier, wie in einem Traume, noch einmal in tauſend ſchönwirrenden Verwandlungen; denn je näher er dem Berge kam, je deutlicher glaubte er in jener Geſtalt Ju¬ lien wieder zu erkennen. Er ſtieg vom Pferde und eilte die Anhöhe hinauf, wo unterdeß die liebliche Erſcheinung ſich wieder verlohren hatte. Oben fand er ſie ruhig auf dem Boden ſitzend, es war wirklich Julie. Stille, ſtille! ſagte ſie, als er näher trat, nicht weniger überraſcht, als er, und wies auf Leontin, der, neben ihr an einem Baume angelehnt, eingeſchlummert lag. Er war auffallend blaß, ſein linker Arm ruhte in einer Binde. Frie¬ drich betrachtete verwundert bald Leontin bald Ju¬ lien. Julien ſchien dabey das Unſchickliche ihrer einſamen Lage mit Leontin einzufallen, und ſie ſah erröthend in den Schooß.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/364>, abgerufen am 21.05.2024.