Sie mich aus dem Feuer getragen haben. -- Hier hielt sie eine Weile inne, dann fuhr sie wieder fort: Die Flamme ist nun verloschen. Wenn der Tag kommt, ist alles wieder gut und ruhig, wie sonst. Jeder geht wieder gelassen an seine alte Ar¬ beit und denkt nicht mehr daran. Ich werde diese Nacht niemals vergessen.
Sie sah bey diesen Worten Gedankenvoll vor sich hin. Leontin hielt sich nicht länger, er zog sie an sich und wollte sie küssen. Sie aber wehrte ihn ab und sah ihn sonderbar an. -- So saßen sie noch lange, wenig sprechend, nebeneinander, bis endlich Julien die Augen zusanken. Er fühlte ihr ruhiges, gleichförmiges Athmen an seiner Brust. Er hielt sie fest im Arme und saß so träumerisch die übrige Nacht hindurch.
Die Gewitter hatten sich indeß ringsum verzo¬ gen, ein labender Duft stieg aus den erquickten Feldern, Kräutern und Bäumen. Aurora stand schon hoch über den Wäldern. Da weckte der kühle Morgenwind Julien aus dem Schlummer. Der Rausch der Nacht war verflogen; sie erschrack über ihre Stellung in Leontins Armen und bemerkte nun, da es überall licht war, mit Erröthen, daß sie halb bloß war. Leontin hob das schöne, ver¬ schlafene Kind hoch vor sich in den frischen Morgen hinein, während sie ihr Gesicht mit beyden Händen bedeckte. Darauf sprang sie fort von ihm und eilte ins Haus, wo so eben alles anfieng, sich zu er¬ muntern.
Sie mich aus dem Feuer getragen haben. — Hier hielt ſie eine Weile inne, dann fuhr ſie wieder fort: Die Flamme iſt nun verloſchen. Wenn der Tag kommt, iſt alles wieder gut und ruhig, wie ſonſt. Jeder geht wieder gelaſſen an ſeine alte Ar¬ beit und denkt nicht mehr daran. Ich werde dieſe Nacht niemals vergeſſen.
Sie ſah bey dieſen Worten Gedankenvoll vor ſich hin. Leontin hielt ſich nicht länger, er zog ſie an ſich und wollte ſie küſſen. Sie aber wehrte ihn ab und ſah ihn ſonderbar an. — So ſaßen ſie noch lange, wenig ſprechend, nebeneinander, bis endlich Julien die Augen zuſanken. Er fühlte ihr ruhiges, gleichförmiges Athmen an ſeiner Bruſt. Er hielt ſie feſt im Arme und ſaß ſo träumeriſch die übrige Nacht hindurch.
Die Gewitter hatten ſich indeß ringsum verzo¬ gen, ein labender Duft ſtieg aus den erquickten Feldern, Kräutern und Bäumen. Aurora ſtand ſchon hoch über den Wäldern. Da weckte der kühle Morgenwind Julien aus dem Schlummer. Der Rauſch der Nacht war verflogen; ſie erſchrack über ihre Stellung in Leontins Armen und bemerkte nun, da es überall licht war, mit Erröthen, daß ſie halb bloß war. Leontin hob das ſchöne, ver¬ ſchlafene Kind hoch vor ſich in den friſchen Morgen hinein, während ſie ihr Geſicht mit beyden Händen bedeckte. Darauf ſprang ſie fort von ihm und eilte ins Haus, wo ſo eben alles anfieng, ſich zu er¬ muntern.
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Sie mich aus dem Feuer getragen haben. — Hier
hielt ſie eine Weile inne, dann fuhr ſie wieder
fort: Die Flamme iſt nun verloſchen. Wenn der
Tag kommt, iſt alles wieder gut und ruhig, wie
ſonſt. Jeder geht wieder gelaſſen an ſeine alte Ar¬
beit und denkt nicht mehr daran. Ich werde dieſe
Nacht niemals vergeſſen.
Sie ſah bey dieſen Worten Gedankenvoll vor
ſich hin. Leontin hielt ſich nicht länger, er zog ſie
an ſich und wollte ſie küſſen. Sie aber wehrte ihn
ab und ſah ihn ſonderbar an. — So ſaßen ſie noch
lange, wenig ſprechend, nebeneinander, bis endlich
Julien die Augen zuſanken. Er fühlte ihr ruhiges,
gleichförmiges Athmen an ſeiner Bruſt. Er hielt ſie
feſt im Arme und ſaß ſo träumeriſch die übrige
Nacht hindurch.
Die Gewitter hatten ſich indeß ringsum verzo¬
gen, ein labender Duft ſtieg aus den erquickten
Feldern, Kräutern und Bäumen. Aurora ſtand
ſchon hoch über den Wäldern. Da weckte der kühle
Morgenwind Julien aus dem Schlummer. Der
Rauſch der Nacht war verflogen; ſie erſchrack über
ihre Stellung in Leontins Armen und bemerkte
nun, da es überall licht war, mit Erröthen, daß
ſie halb bloß war. Leontin hob das ſchöne, ver¬
ſchlafene Kind hoch vor ſich in den friſchen Morgen
hinein, während ſie ihr Geſicht mit beyden Händen
bedeckte. Darauf ſprang ſie fort von ihm und eilte
ins Haus, wo ſo eben alles anfieng, ſich zu er¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/149>, abgerufen am 27.11.2024.
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