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[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

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gekennzeichneten Gehirnerschlaffung anhaften, warum sollte der nicht auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift auf eine bestimmte Region der Stadt beschränkt werden dürfen? Wie man Coupes für Raucher und für Nichtraucher hat, so könnte man auch musikalische und nichtmusikalische Häuser, Straßen und Stadtviertel haben.

Dem Einwand, daß heutzutage Musik beinahe in allen Familien betrieben wird, daher denn sämmtliche Einwohner sich in das musikalische Viertel zurückziehen müßten, will ich sofort begegnen. Familien, in denen täglich zwei und meinetwegen auch drei Stunden musicirt wird, könnten von der Verbannung in das Musikviertel befreit bleiben, vorausgesetzt, daß diese Musikübung in die Zeit fiele, wo der normale Staatsbürger aufgehört hat zu arbeiten: daß heißt in die Abendstunden. Wer aber am Vormittag über dem Kopf des Gelehrten, des Forschers, dem er dadurch vielleicht die Lösung eines großen Problems verdirbt, Tantam-Schläge riskiren will und Triller und Coloraturen -- fort mit dem ins Musikviertel! Er ist ein Schlot-Erbauer, ein qualmender Essenmann, ein trommelfellzermarternder Kupferschmied, ein homo leprosus!

Wenn man bedenkt, daß aller materielle Fortschritt der Menschheit von den geistigen Operationen abhängt, die sich am Schreibtisch, im Laboratorium, im Bibliothekszimmer vollziehen, so wird man sich kaum getrauen, die ungeheure Schädigung abzuschätzen, die der Civilisation lediglich aus der conventionellen Rücksichtslosigkeit der Musik erwachsen. Und nur weil die Rücksichtslosigkeit conventionell, das heißt allgemein gutgenannt und gleichsam heilig und unverletzlich ist, nur deßhalb verschließt sich vielleicht ein Teil unserer Leser gegen die innerliche Berechtigung unserer Attacke. Auch

gekennzeichneten Gehirnerschlaffung anhaften, warum sollte der nicht auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift auf eine bestimmte Region der Stadt beschränkt werden dürfen? Wie man Coupés für Raucher und für Nichtraucher hat, so könnte man auch musikalische und nichtmusikalische Häuser, Straßen und Stadtviertel haben.

Dem Einwand, daß heutzutage Musik beinahe in allen Familien betrieben wird, daher denn sämmtliche Einwohner sich in das musikalische Viertel zurückziehen müßten, will ich sofort begegnen. Familien, in denen täglich zwei und meinetwegen auch drei Stunden musicirt wird, könnten von der Verbannung in das Musikviertel befreit bleiben, vorausgesetzt, daß diese Musikübung in die Zeit fiele, wo der normale Staatsbürger aufgehört hat zu arbeiten: daß heißt in die Abendstunden. Wer aber am Vormittag über dem Kopf des Gelehrten, des Forschers, dem er dadurch vielleicht die Lösung eines großen Problems verdirbt, Tantam-Schläge riskiren will und Triller und Coloraturen — fort mit dem ins Musikviertel! Er ist ein Schlot-Erbauer, ein qualmender Essenmann, ein trommelfellzermarternder Kupferschmied, ein homo leprosus!

Wenn man bedenkt, daß aller materielle Fortschritt der Menschheit von den geistigen Operationen abhängt, die sich am Schreibtisch, im Laboratorium, im Bibliothekszimmer vollziehen, so wird man sich kaum getrauen, die ungeheure Schädigung abzuschätzen, die der Civilisation lediglich aus der conventionellen Rücksichtslosigkeit der Musik erwachsen. Und nur weil die Rücksichtslosigkeit conventionell, das heißt allgemein gutgenannt und gleichsam heilig und unverletzlich ist, nur deßhalb verschließt sich vielleicht ein Teil unserer Leser gegen die innerliche Berechtigung unserer Attacke. Auch

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[49/0051] gekennzeichneten Gehirnerschlaffung anhaften, warum sollte der nicht auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift auf eine bestimmte Region der Stadt beschränkt werden dürfen? Wie man Coupés für Raucher und für Nichtraucher hat, so könnte man auch musikalische und nichtmusikalische Häuser, Straßen und Stadtviertel haben. Dem Einwand, daß heutzutage Musik beinahe in allen Familien betrieben wird, daher denn sämmtliche Einwohner sich in das musikalische Viertel zurückziehen müßten, will ich sofort begegnen. Familien, in denen täglich zwei und meinetwegen auch drei Stunden musicirt wird, könnten von der Verbannung in das Musikviertel befreit bleiben, vorausgesetzt, daß diese Musikübung in die Zeit fiele, wo der normale Staatsbürger aufgehört hat zu arbeiten: daß heißt in die Abendstunden. Wer aber am Vormittag über dem Kopf des Gelehrten, des Forschers, dem er dadurch vielleicht die Lösung eines großen Problems verdirbt, Tantam-Schläge riskiren will und Triller und Coloraturen — fort mit dem ins Musikviertel! Er ist ein Schlot-Erbauer, ein qualmender Essenmann, ein trommelfellzermarternder Kupferschmied, ein homo leprosus! Wenn man bedenkt, daß aller materielle Fortschritt der Menschheit von den geistigen Operationen abhängt, die sich am Schreibtisch, im Laboratorium, im Bibliothekszimmer vollziehen, so wird man sich kaum getrauen, die ungeheure Schädigung abzuschätzen, die der Civilisation lediglich aus der conventionellen Rücksichtslosigkeit der Musik erwachsen. Und nur weil die Rücksichtslosigkeit conventionell, das heißt allgemein gutgenannt und gleichsam heilig und unverletzlich ist, nur deßhalb verschließt sich vielleicht ein Teil unserer Leser gegen die innerliche Berechtigung unserer Attacke. Auch

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Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/51>, abgerufen am 23.11.2024.