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[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

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die Bemerkung, die vielleicht manchem aus der Lippe schwebt: nicht alle, die da Musik treiben, seien doch Stümper und schreckenerregende Dilettanten, auch diese Bemerkung schwächt uns die Wucht der musikalischen Vergewaltigung keineswegs ab. Selbst Rubinstein oder Bülow, wenn er das Herrlichste vortrüge, was die gottbegnadetsten Meister deutscher Nation geschaffen haben, würden mich doch nur so lange fesseln, als ich im Stande wäre, ihren künstlerischen Productionen ohne Rückhalt zu lauschen. Sobald ich jedoch lesen, studiren, arbeiten will, muß ich in einem Staate, der seine Bürger gegen die Uebergriffe fremder Interessen schützt, in der Lage sein, diesen Tonwellen zu entfliehen; und wenn Rubinstein oder Bülow über mir wohnte, so würde mir all ihr Talent und alle Großartigkeit der von ihnen gestalteten Schöpfungen nicht über den Jammer hinweghelfen, daß ich der Sklave einer von mir nicht gewollten tumultuarischen Leistung bin, die, wenn ich nicht andächtig zuhören kann, für mich keine Musik mehr ist, sondern ruhestörender Lärm.*)

"Allerdings gibt es ja Leute", sagt Schopenhauer, "welche hierüber (d. h. über die Antipathie gegen ruhestörenden Lärm) in souveräner Gleichgültigkeit lächeln; das sind jedoch eben die, welche auch unempfindlich gegen Gründe, gegen Gedanken, gegen Dichtungen und Kunstwerke, kurz, gegen geistige Eindrücke jeder Art sind: denn es liegt an der zähen Beschaffenheit und handfesten Textur ihrer Gehirnmasse. Hingegen finde ich Klagen über die Pein, welche denkenden

*) Der Kaiser Alexander Severus war Dilettant auf der Tuba; aber der Mann besaß soviel Anstandsgefühl, sich stets, wenn er dies schwerdröhnende Instrument bließ, in seine entlegensten Gemächer zurückzuziehen.

die Bemerkung, die vielleicht manchem aus der Lippe schwebt: nicht alle, die da Musik treiben, seien doch Stümper und schreckenerregende Dilettanten, auch diese Bemerkung schwächt uns die Wucht der musikalischen Vergewaltigung keineswegs ab. Selbst Rubinstein oder Bülow, wenn er das Herrlichste vortrüge, was die gottbegnadetsten Meister deutscher Nation geschaffen haben, würden mich doch nur so lange fesseln, als ich im Stande wäre, ihren künstlerischen Productionen ohne Rückhalt zu lauschen. Sobald ich jedoch lesen, studiren, arbeiten will, muß ich in einem Staate, der seine Bürger gegen die Uebergriffe fremder Interessen schützt, in der Lage sein, diesen Tonwellen zu entfliehen; und wenn Rubinstein oder Bülow über mir wohnte, so würde mir all ihr Talent und alle Großartigkeit der von ihnen gestalteten Schöpfungen nicht über den Jammer hinweghelfen, daß ich der Sklave einer von mir nicht gewollten tumultuarischen Leistung bin, die, wenn ich nicht andächtig zuhören kann, für mich keine Musik mehr ist, sondern ruhestörender Lärm.*)

„Allerdings gibt es ja Leute“, sagt Schopenhauer, „welche hierüber (d. h. über die Antipathie gegen ruhestörenden Lärm) in souveräner Gleichgültigkeit lächeln; das sind jedoch eben die, welche auch unempfindlich gegen Gründe, gegen Gedanken, gegen Dichtungen und Kunstwerke, kurz, gegen geistige Eindrücke jeder Art sind: denn es liegt an der zähen Beschaffenheit und handfesten Textur ihrer Gehirnmasse. Hingegen finde ich Klagen über die Pein, welche denkenden

*) Der Kaiser Alexander Severus war Dilettant auf der Tuba; aber der Mann besaß soviel Anstandsgefühl, sich stets, wenn er dies schwerdröhnende Instrument bließ, in seine entlegensten Gemächer zurückzuziehen.
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[50/0052] die Bemerkung, die vielleicht manchem aus der Lippe schwebt: nicht alle, die da Musik treiben, seien doch Stümper und schreckenerregende Dilettanten, auch diese Bemerkung schwächt uns die Wucht der musikalischen Vergewaltigung keineswegs ab. Selbst Rubinstein oder Bülow, wenn er das Herrlichste vortrüge, was die gottbegnadetsten Meister deutscher Nation geschaffen haben, würden mich doch nur so lange fesseln, als ich im Stande wäre, ihren künstlerischen Productionen ohne Rückhalt zu lauschen. Sobald ich jedoch lesen, studiren, arbeiten will, muß ich in einem Staate, der seine Bürger gegen die Uebergriffe fremder Interessen schützt, in der Lage sein, diesen Tonwellen zu entfliehen; und wenn Rubinstein oder Bülow über mir wohnte, so würde mir all ihr Talent und alle Großartigkeit der von ihnen gestalteten Schöpfungen nicht über den Jammer hinweghelfen, daß ich der Sklave einer von mir nicht gewollten tumultuarischen Leistung bin, die, wenn ich nicht andächtig zuhören kann, für mich keine Musik mehr ist, sondern ruhestörender Lärm. *) „Allerdings gibt es ja Leute“, sagt Schopenhauer, „welche hierüber (d. h. über die Antipathie gegen ruhestörenden Lärm) in souveräner Gleichgültigkeit lächeln; das sind jedoch eben die, welche auch unempfindlich gegen Gründe, gegen Gedanken, gegen Dichtungen und Kunstwerke, kurz, gegen geistige Eindrücke jeder Art sind: denn es liegt an der zähen Beschaffenheit und handfesten Textur ihrer Gehirnmasse. Hingegen finde ich Klagen über die Pein, welche denkenden *) Der Kaiser Alexander Severus war Dilettant auf der Tuba; aber der Mann besaß soviel Anstandsgefühl, sich stets, wenn er dies schwerdröhnende Instrument bließ, in seine entlegensten Gemächer zurückzuziehen.

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Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/52>, abgerufen am 04.05.2024.